Es war absehbar, dass die neue Partei von Sahra Wagenknecht massiven Gegenwind bekommen wird. Eine der wirksamsten Methoden der Niedermache ist die Veröffentlichung von – wider Erwarten – schlechten Umfragen. Seit Ende letzten Jahres sind reihenweise solche Meldungen erschienen. Enttäuschend geringe 4 Prozent, sogar 3 Prozent werden prognostiziert. Ich beobachte diese Methode seit 1965 und möchte den NachDenkSeiten-Leserinnen und -Lesern ein paar Beispiele schildern. Albrecht Müller.
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Zu Beginn und als Belege für die jetzt begonnene Kampagne weise ich auf ein Bündel solcher Meldungen hin. Die erste mir aufgefallene Meldung dieser Art stammt von Mitte Dezember 2023 im Der Westen. Siehe hier: Droht Wagenknecht ein Desaster? Neue Partei kriegt „nicht mehr als 3 Prozent“ – Die Zeit meinte am 11. Januar: Das Bündnis der ehemaligen Linkenpolitikerin Sahra Wagenknecht (BSW) liegt bei vier Prozent. Ähnliches meldete der Stern und noch einmal der Stern und dann auch die Frankfurter Rundschau am 12. Januar.
Wenn das keine Kampagne ist?!
Die Manipulation mit Umfragen hat eine lange Tradition
Auf den NachDenkSeiten haben wir solche Versuche immer wieder skizziert und aufgespießt. Auf zwei Vorgänge dieser Art gehe ich im Folgenden ein:
- Die Bundestagswahl 1965
Diesen Vorgang habe ich noch nicht als Mitwirkender in der Bonner Politik verfolgen können, aber von außen beobachtet. Die SPD war die gesamten Fünfzigerjahre über und auch noch anfangs der sechziger Jahre bei Bundestagswahlen nicht so erfolgreich, um in der westdeutschen Regierung mitzuwirken oder gar den Bundeskanzler zu stellen. 1965 aber machte sie sich große Hoffnungen. Damals gab es noch keine für Wahlkämpfe zuständige Abteilung im Vorstand der SPD. Wahlkämpfe und die dafür notwendigen Analysen lagen in den Händen des stellvertretenden Vorsitzenden Herbert Wehner. Dieser und seine Entourage glaubten 1965 an einen Sieg der SPD, jedenfalls an die Möglichkeit eines Regierungswechsels. Diese Siegeszuversicht war von Frau Noelle-Neumann vom Institut Allensbach genährt worden.
Das Ergebnis sah dann aber so aus:
Die SPD hatte zwar Zugewinne erzielt. Aber der Abstand zur CDU/CSU war so groß, dass an einen Regierungswechsel nicht zu denken war. Elisabeth Noelle-Neumann, die Chefin des Instituts Allensbach, die selbst die Vorstellung eines Kopf-an-Kopf-Rennens genährt hatte, erklärte hinterher, die Entscheidung sei erst im Wahlkampf gefallen. Tatsächlich wusste dieses Institut, das die Kopf-an-Kopf-Prognosen nicht realistisch waren. Ich zitiere aus einem einschlägigen NachDenkSeiten-Beitrag vom 20. September 2021:
1965 schien die SPD so wie heute auf der Siegerstraße. Es wurde allenthalben, auch mit Unterstützung des CDU-Bundesgeschäftsführers, des Meinungsforschungsinstituts Emnid und der Meinungsforscherin Noelle-Neumann aus Allensbach, der Eindruck erweckt, es gebe ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen SPD und der Union. Das Wahlergebnis war dann ganz anders: die CDU/CSU lag bei 47,6 % Prozent, die SPD mit 39,3 % weit dahinter. Offensichtlich hat man die Parole vom möglichen Sieg der SPD und von der Niederlage der CDU/CSU ausgegeben, um CDU/CSU-Wähler zu mobilisieren. „Im Fernsehen brüstete sich der CDU-Geschäftsführer Josef Hermann Dufhues, die Kopf-an-Kopf-Propaganda sei eine Wahllist gewesen, um die Bürger an die Urne zu bringen.“ So berichtete „Der Spiegel“ am 28.9.1965, eine Woche nach der Wahl. Ausführlich siehe Anhang.
Bitte beachten Sie solche Erfahrungen, wenn Sie heute die veröffentlichten Prognosen über die Chancen der neuen Partei lesen. Bevor ich das nächste Beispiel und den nächsten Beleg über die Manipulationen schildere, weise ich auf zwei mit der Veröffentlichung von Umfragewerten verbundene Spekulationen bzw. Überlegungen hin:
Zum ersten: Umfrageergebnisse werden von interessierten Parteien und Medien veröffentlicht, um einen sogenannten Bandwagon-Effekt auszulösen. Gute Umfragen sollen signalisieren, dass es lohnt, die zur Debatte stehende Partei zu wählen.
Zum zweiten: Bedrohliche Umfragen sollen den potentiellen Anhängern einer Partei signalisieren, dass sie wählen gehen müssen oder sich anders entscheiden müssen. Das war wohl der Fall beim skizzierten Bundestagswahlkampf 1965. Den potentiellen Wählern der Union wurde signalisiert, dass die Kanzlermehrheit der Union gefährdet sein könnte. Damit wurden ihre Anhänger zur Wahl motiviert. Und potentielle Wechselwähler wurden vermutlich damit auch gewarnt, ein solches Risiko einzugehen.
- Konkrete Erfahrungen mit bestellbaren Umfrageergebnissen
Nach Beendigung meiner Tätigkeit als Leiter der Planungsabteilung im Bundeskanzleramt war ich freiberuflich in der politischen Beratung tätig. Dazu gehörten auch Wahlkämpfe, und unter anderen der Wahlkampf 1985 in Nordrhein-Westfalen. Wir trafen uns regelmäßig in einer kleinen Gruppe. Bei einer der letzten Sitzungen fragte der verantwortliche Wahlkampfleiter zum Abschied und mit Hinweis auf ein bevorstehendes Gespräch mit dem für die NRW-SPD tätigen Umfrageinstitut, was für ein Ergebnis für die SPD wir empfehlen würden. Soll es eher siegesgewiss oder eher bedrohlich ausfallen? Wir waren einvernehmlich dafür, das Umfrageinstitut solle ein eher bedrohliches Ergebnis bringen. So geschah es dann auch.
Und so sah dann das Wahlergebnis aus. Es war ganz klar auch ein Ergebnis des oben erwähnten Mitzieh-, des Bandwagon-Effekts:
Jene, die jetzt in diesen Tagen schlechte Prognosen für das Bündnis Sahra Wagenknecht, BSW, veröffentlichen, verfolgen offensichtlich einen negativen Bandwagon-Effekt. Ihre Botschaft, es lohnt sich nicht, auf diese Partei zu setzen, weil sie auf der Verliererstraße sei.
Ich weiß natürlich auch nicht genau, wie realistische Prognosen aussehen, würde aber nach dem Eindruck aus Gesprächen und früheren Meldungen die auch schon einmal veröffentlichten Zahlen mit ca. 12 Prozent für realistisch halten. Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist das Potenzial ziemlich im Fluss. Diese Einschätzung ist auch der Grund dafür, dass wie oben berichtet und belegt mit der Veröffentlichung von angeblich realistischen Prognosen Stimmung und Meinung gemacht wird.