Der Vorfall zwischen Wirtschaftsminister Habeck und aufgebrachten Bürgern wird genau so genutzt, wie es zu erwarten war: zur Dämonisierung von sich anbahnenden Protesten. Militante Protestformen sind abzulehnen – und das nicht nur, weil sie der jeweiligen „Sache“ offensichtlich Schaden zufügen. Auf eine Überhöhung der nun kommenden Bauernproteste sollte vorerst verzichtet werden – aber ein Recht zum Protest haben sie allemal. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
Der Vorfall, bei dem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vergangene Woche von Demonstranten am Verlassen einer Fähre gehindert wurde, entwickelt genau die Wirkung, die man hätte voraussehen können: Mit der Episode könnten die ganzen nun kommenden Proteste überschattet und diffamiert werden.
(Aktualisierung 22.01.2024: Der im Folgenden genutzte Begriff „Militanz“ ist angesichts der inzwischen verfügbaren Berichte im Zusammenhang mit dem Vorfall an der Fähre nicht haltbar.)
Ich möchte betonen, dass ich die Wut, die hinter dem Handeln der aufgebrachten Bürger beim „Fährenvorfall“ steht, sehr gut nachvollziehen kann. Aber trotzdem möchte ich solche Handlungen nicht nur aus taktischen Gründen zurückweisen: Ich stehe solchen personalisierten Protestformen an der Grenze zur Militanz ganz prinzipiell sehr kritisch gegenüber. Ich möchte darum hier wiederholen, was ich gerade im Artikel Bauernproteste: Alle Räder stehen still – Aber auch die Analyse zur Episode an der Fähre geschrieben habe:
„Ich finde die Wut, die sich in solchen Vorgängen äußert, nachvollziehbar – aber Militanz ist meiner Meinung nach strikt abzulehnen. Das gilt für mich aus ganz prinzipiellen Gründen. Aber es ist zusätzlich zu bedenken, dass gewalttätiger Protest oft eine Steilvorlage ist, um Proteste zu verteufeln und dann niederzuschlagen. Nochmals zusätzlich ist es eine ablenkende Personalisierung, wenn sich Proteste etwa wegen der Energiepolitik gegen konkrete Personen und ihr Privatleben richten und nicht gegen die Politik dahinter.“
„Knollen-Mob“ und „Nazi-Bauern“
Die im Absatz angesprochene Verteufelung läuft nun auf Hochtouren: So verbreitet der Spiegel auf „X“: „Der motorisierte Mistgabelmob ist nur schwer vom Kurs abzubringen“. Die taz beschreibt einen „Mähdrescher-Mob“. Bei Tichy wurden noch mehr solcher Ausfälle gesammelt: Da sprechen Journalisten von „Kartoffel-Mob“, „Nazi-Bauern“ und es fallen Aussagen wie: „Traktor fahren macht offenbar dumm“. Demnach lässt sich Nikolaus Blome (RTL) über den „Kartoffel-Mob an der Fähre“ aus. Moderator Micky Beisenherz spricht vom „Knollenmob“. Der langjährige ARD-Chefredakteur Rainald Becker habe bei „X“ geschrieben: „Traktorfahren macht offenbar dumm.“ Seinen Beitrag habe er mittlerweile gelöscht. Konstantin von Notz, Bundestagsabgeordneter für die Grünen, erklärte demnach, dass der Protest „von extrem Rechten u. Putin Fans“ mitinitiiert worden sei. Martin Habersaat, SPD-Landtagsabgeordneter in Schleswig-Holstein, sprach laut dem Artikel von „Nazi-Bauern“. Außerdem würden einige Politiker nun so tun, als sei das Land gerade noch einmal einem Putschversuch von der Schippe gesprungen: Die grüne Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt schreibe vom „Morgen danach“, Landwirtschaftsminister Cem Özdemir wiederum erklärte im ARD-Morgenmagazin, die Blockierer von Schlüttsiel hätten „feuchte Träume von Umstürzen“.
Die Spalter warnen vor der Spaltung
Angesichts der als Reaktion auf den Vorfall dramatisch formulierten Warnungen vor Radikalisierungen und Spaltungen in unserer Gesellschaft muss aber gesagt werden: Die Spaltung der Gesellschaft wurde in den vergangenen Jahren sehenden Auges und trotz zahlreicher Warnungen, wie sie etwa auf den NachDenkSeiten formuliert wurden, in Kauf genommen und in unverantwortlicher Weise vorangetrieben, um Andersdenkende mundtot zu machen. Diese Entwicklung besteht schon lange, während der Corona-Politik wurde sie nochmals zusätzlich und radikal zugespitzt. Einmal mehr erleben wir gerade die Taktik „Haltet den Dieb!“: Die für die Spaltung der Gesellschaft zu allererst verantwortlichen Journalisten und Politiker ringen die Hände und beklagen eine (einfach so „entstandene“) Spaltung der Gesellschaft.
Aber treten die Bauern nun an, um gegen diese Entwicklungen einzutreten? Bislang distanzieren sie sich von Äußerungen, die dem nun anstehenden Bauernprotest eine „allgemeine“ politische Bedeutung beimessen sollen. Es ist, wie ich in diesem Artikel geschrieben habe, das gute Recht der Bauern, für ihre eigenen beruflichen Interessen einzutreten. Mehr sollte von den kommenden Protesten (vorerst) noch nicht erwartet werden.
Titelbild: Juergen Nowak / shutterstock.com
Bauernproteste: Alle Räder stehen still – Aber auch die Analyse