Nachdem Ende des letzten Jahrhunderts von Lobbyisten der privaten Altersvorsorge begonnen worden war, die demographische Entwicklung zu einem großen Problem hochzustilisieren, um so für die Riester-Rente, die Rürup-Rente und anderen Produkte der Privatvorsorge zu werben, kam immerhin eine kritische Diskussion in Gang, die den ganzen Privatvorsorge-Zauber als unangebracht entlarvte. Kern der kritischen Auseinandersetzung, an der die NachDenkSeiten maßgeblich beteiligt waren, war die unumstößliche Aussage, dass die Änderung des Systems der Altersvorsorge nichts an der demographischen Entwicklung ändern könne und deshalb solche Versuche untauglich seien. Immerhin, diese unsere Argumentation hat gesessen und unserem Land vorübergehend Ruhe gebracht. Jetzt wird offensichtlich das gleiche schräge Lied neu gesungen. So gestern Abend bei Lanz. Albrecht Müller.
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Hauptwortführer der Dramatisierung der demographischen Entwicklung waren der Vorsitzende der Jungen Union Winkel und ein Mensch, der gerade ein zum Thema passendes Buch geschrieben hatte, das offensichtlich mit dieser Sendung beworben werden sollte. Der Titel des Buches sieht so aus:
Die Grafik signalisiert schon die angebliche Dramatik der demographischen Entwicklung. Die alten Menschen werden geschmäht. Sie gefährden „unsere Zukunft“, so wird behauptet. Und es wird unterstellt, sie beherrschten die Republik. Offenbar verkauft sich diese Dummheit wieder gut, wie schon vor 25 Jahren.
Es folgt der Versuch, in wenigen Strichen zu zeigen und zu belegen, warum die neue Dramatisierung genauso unsinnig ist wie die frühere:
Erstens: Die demographische Veränderung ist nicht sprunghaft und schon deshalb nicht besorgniserregend. Es sind langsam vonstattengehende Veränderungen. Eine Gesellschaft kann sich auf solche Veränderungen einstellen.
Zweitens: Die Kennzeichnung unseres Landes als AltenRepublik zeugt zugleich von Dummheit wie auch von demagogischem Geschick.
Drittens: Die „Hilfe“ in dieser angeblichen demographischen Not muss nicht bei der Erhöhung der Geburtenrate gesucht werden, wie der Junge-Union-Vorsitzende in der Sendung suggeriert hat. Außerdem: Deutschland ist ein ausgesprochen dicht besiedeltes Land. Wir haben jedenfalls kein besonderes Interesse daran, die Bevölkerungsdichte zu erhöhen.
Viertens: Wenn es mit der Produktivität unserer Volkswirtschaft auch nur annähernd so weitergeht, wie es bisher war, dann sind die zusätzlichen Belastungen der jüngeren Generation durch eine Veränderung der Zahlenrelation von Alt und Jung locker zu tragen, und damit locker wegzustecken.
Fünftens: Außer der Arbeitsproduktivität gäbe es noch andere Stellschrauben, zum Beispiel den Abbau der Arbeitslosigkeit, die Öffnung des Zugangs zum Arbeitsmarkt für alle Frauen, die gerne arbeiten wollen, usw. Und auch die leichte Erhöhung des Beitragssatzes ist eine durchaus mögliche Stellschraube.
Sechstens: In der Sendung Lanz wurde der Eindruck erweckt, die Teilfinanzierung der Renten durch Bundeszuschüsse sei quasi ein Bruch des Gedankens des Generationenvertrags, der hinter der Finanzierung und Regelung der Rentenversicherung stehe. Und es wurde unterschwellig behauptet, die Bundeszuschüsse seien eine neuerliche Erfindung. Das ist nicht so. Diese Bundeszuschüsse gibt es schon lange. Die Bundeszuschüsse sind zudem sehr berechtigt, weil die Rentenversicherung schon seit Langem mit sogenannten versicherungsfremden Leistungen belastet ist. Dazu gibt es in diesem Artikel ausführliche Informationen. Hier eine kurze Zusammenfassung:
In der gesetzlichen Rentenversicherung sind zum Thema versicherungsfremde Leistungen folgende Sachverhalte festzustellen: Versicherungsfremde Leistungen erfüllen Aufgaben der gesamten Gesellschaft, Aufgaben, die alle ihre Berechtigung haben. Versicherungsfremde Leistungen gibt es seit 1957. Ebenfalls seit 1957 sind die Zahlungen des Bundes zu gering, um die versicherungsfremden Leistungen in vollem Umfang zu finanzieren. Seit 1957 haben die verschiedenen Bundesregierungen insgesamt rund 700 Mrd. Euro auf diese Weise zweckentfremdet. Es besteht ein Schattenhaushalt, der ausschließlich von Versichertenbeiträgen finanziert wird. Politiker, Selbständige und Beamte beteiligen sich nicht, …
Dass sich das ZDF und damit ein öffentlich-rechtliches Medium, bezahlt von den Zwangsbeiträgen der Rentenversicherten, als Mittel für die neue Dramatisierung hergibt, ist der eigentliche Skandal des gesamten Vorgangs. Typisch für das Vorgehen ist auch, dass niemand in die Runde eingeladen wurde, der oder die die bisherige Aufklärungsarbeit zum Thema mitgetragen hat. Rainer Hank, früher einmal Leiter der Wirtschafts- und Finanzredaktion der FAZ, war eine rühmliche Ausnahme der Aufgeklärtheit, wenn auch bescheidener Aufgeklärtheit, in der Lanz-Runde. Allein das spricht Bände.
Auch noch interessant im Gesamtzusammenhang ist die Tatsache, dass der schriftliche und in der vergangenen Nacht veröffentlichte Bericht des ZDF zu der Sendung vor allem den Vorsitzenden der Jungen Union zu Wort kommen lässt. Das ist so unglaublich wie die gesamte Sendung.
Titelbild: Screenshot ZDF