Macht Erfolg glücklich?

Macht Erfolg glücklich?

Macht Erfolg glücklich?

Udo Brandes
Ein Artikel von Udo Brandes

In der neoliberalen Wettbewerbsgesellschaft, in der täglich auf Facebook, Instagram und Co. um Likes konkurriert wird, ist Erfolg ein zentrales Statuskriterium. Der Soziologe Sighart Neckel meint sogar: „Kaum je ist es so alltäglich geworden, sich beruflich oder privat gegenseitig Erfolgsbilanzen zu präsentieren, um die Wertigkeit des eigenen Selbst zu betonen und den persönlichen Vorrang zu unterstreichen.“ Aber macht Erfolg auch glücklich? Unser Autor Udo Brandes hat sich dazu in seinem Buch „Wenn die Jagd nach Erfolg das Leben zur Hölle macht“ Gedanken gemacht. Im Folgenden können Sie den entsprechenden Auszug aus seinem Buch lesen.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Kennen Sie den Film Ist das Leben nicht schön? Dieser Film wurde 1946 produziert. James Stewart spielt darin einen Mann namens George Bailey, der in der US-Kleinstadt Bedford Falls aufgewachsen ist und sich immer Träumen von großen Reisen und Abenteuern hingegeben hat. Doch die Umstände haben sich immer wieder gegen ihn verschworen, so dass er ein Gefangener seines Heimatortes geblieben ist.

Aus George Baileys Sicht ist sein Leben in beschämend engen und kleinen Verhältnissen steckengeblieben. Und jetzt steht ihm auch noch ein Skandal bevor. Denn in der genossenschaftlichen Baugesellschaft, die er als Geschäftsführer leitet, sind 8.000 Dollar verloren gegangen. Dass er den Verlust der 8.000 Dollar nicht verschuldet hat, sondern sein Onkel, nützt ihm nichts, denn es steht eine Revision ins Haus. Er ist deshalb so verzweifelt, dass er sich umbringen will. Im entscheidenden Moment – George Bailey ist gerade in einen eiskalten, reißenden Fluss gesprungen, um sich zu ertränken – erscheint ein Bote des Himmels und zieht ihn aus dem Wasser.

In der weiteren Handlung lässt dieser Engel George Bailey die Welt erleben, wie sie sich entwickelt hätte, wenn er nie geboren worden wäre. Von einer Sekunde zur anderen ist Bedford Falls eine Welt, in der niemand mehr George Baily kennt. Und er selbst kennt auch Bedford Falls kaum wieder. Die Stadt und das Leben vieler Menschen dort hat sich zum Schlechten verändert. George wird langsam klar, dass er mit seinem Leben einen großen Einfluss auf das Leben der Menschen in Bedford Falls gehabt hat. Um ein Beispiel zu nennen: Der Apotheker, bei dem er als Jugendlicher als Laufjunge arbeitete, erhält eines Tages, als er gerade ein bestelltes Medikament zusammenmixen will, die Nachricht, dass sein Sohn im Krieg gefallen ist. Unter diesem Schock stehend passiert ihm ein schlimmer Fehler: Er verwechselt zwei Flaschen und mixt, ohne dies zu bemerken, Zyankali in ein bestelltes Medikament. George Bailey bemerkt dies und macht ihn darauf aufmerksam. Da es in diesem imaginierten Bedford Falls, dass der Engel George zeigt, George nicht gegeben hat, musste der Apotheker für 20 Jahre ins Gefängnis. Als George ihn in einer Kneipe sieht, ist er ein verwahrloster und verachteter Obdachloser.

Und der Engel zeigt George Bailey noch weitere Beispiele, die ihm klar machen, dass sein vermeintlich verpfuschtes Leben viel erfüllter gewesen war, als er es wahrgenommen hatte: Weil er nur noch darauf fixiert war, was er in seinem Leben alles nicht erreicht oder verpasst hatte oder was schiefgelaufen war – und das Wertvolle in seinem Leben nicht mehr sah: Seine Frau und seine Kinder liebten ihn über alles, und viele Menschen in der Stadt mochten und schätzten ihn sehr. Und ohne ihn wäre Bedford Falls eine andere, schlechtere Welt geworden. Aber George Bailey hatte nur noch das gesehen, was in seinem Leben nicht so war, wie er es sich mal erträumt hatte. Und so konnte er sich selbst über Kleinigkeiten maßlos ärgern, wie etwa den kaputten Knauf am Treppengeländer in seinem Haus, der immer abfiel, sobald man ihn anfasste. Dieser kaputte Knauf war für George Bailey wie ein Symbol für sein ganzes Leben, für alles, was darin nicht so war, wie es hätte sein sollen. Der zu erwartende Skandal wegen der fehlenden 8.000 Dollar war da nur der letzte Tropfen, der für ihn das Fass zum Überlaufen brachte.

Als George Bailey mit Hilfe des Engels begreift, dass er den falschen Dingen viel zu viel Bedeutung beigemessen und das Gute und Schöne in seinem Leben nicht mehr gesehen hatte, fleht er den Engel an, ihm sein altes Leben zurückzugeben, so wie es war. Und der Engel gibt es ihm auch zurück. George Bailey läuft dann voller Freude zu seinem Haus und will die Treppe nach oben stürmen, weil er es nicht erwarten kann, seine Familie in die Arme zu schließen. Und wieder fällt der Knauf am Treppengeländer runter. Dieses Mal wird George Bailey nicht wütend, sondern hebt den Knauf auf und küsst ihn voller Freude, bevor er ihn wieder am Treppengeländer befestigt. Er hat sein altes Leben zurück! Ein Leben, das er jetzt, so wie es ist, mit allen Unzulänglichkeiten, nicht nur vollständig annehmen kann, sondern mit dem er jetzt von ganzem Herzen übereinstimmt.

In der Zeit seiner Abwesenheit hat sich in der Stadt herumgesprochen, dass George Bailey wegen der verlorenen gegangenen 8.000 Dollar in Not ist. Die Bürger haben deshalb für ihn gesammelt. Als er zuhause überglücklich seine Familie in die Arme schließt, kommen sie mit einem ganzen Waschkorb voll gesammelten Geldes zu ihm. George Bailey ist gerettet!

Im Waschkorb mit dem Geld ist auch ein Buch, das George Bailey herausnimmt und aufschlägt. Dort steht eine Widmung des Engels Clarence, der ihn rettete und neuen Lebensmut gab: „Lieber George! Denke immer daran: Ein Mann, der Freunde hat, ist kein Versager! (….) Alles Gute. Clarence.“

Ich finde, besser als diese Szene es ausdrückt, kann man nicht auf den Punkt bringen, was das Leben lebenswert macht – und warum man dafür nicht unbedingt außergewöhnliche Erfolge braucht.

Auszug aus „Wenn die Jagd nach Erfolg das Leben zur Hölle macht“ von Udo Brandes, erschienen bei Amazon und dort als Taschenbuch und E-Book erhältlich.

Der Film „Ist das Leben nicht schön“ wird meistens in der Weihnachtszeit auf ARD oder ZDF gezeigt. Er ist auch auf DVD erhältlich.

Titelbild: Liberty Films

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Audio-Podcast Wertedebatte

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