Der neue Präsident Argentiniens, Javier Milei, hat dem Land anlässlich seiner Amtseinführung seine Agenda und sein Regierungskabinett vorgestellt. „Heute beginnt in Argentinien eine neue Ära, heute endet eine lange Ära des Niedergangs, und wir beginnen mit dem Wiederaufbau des Landes”, erklärte der sich selbst als „anarchokapitalistisch” bezeichnende Milei. Der Weg einer Schocktherapie sei dafür der einzig mögliche. Von Stephan Hollensteiner.
Die Zeremonie am Sonntag, bei der auch seine Stellvertreterin Victoria Villaruel von der rechten Partei La Libertad Avanza (LLA) ins Amt eingeführt wurde, sollte sich von den üblichen Gebräuchen abheben. Die Antrittsrede, die seit 1983 immer im Abgeordnetenhaus vorgetragen wurde, hielt Milei vor dem großen Treppenaufgang des Kongressgebäudes, zwischen den am Rand platzierten Ehrengästen und mit Blick auf die auf dem Platz versammelte, fahnenschwenkende Menge. Nach Ansicht von Beobachtern wollte Milei damit, anknüpfend an seine Kritik an der „Kaste” der traditionellen politischen Eliten, die er im Wahlkampf als „Parasiten” beschimpft hatte, seine enge Verbindung zum „Volk” zum Ausdruck bringen.
In seiner 30-minütigen Rede kündigte Milei einen Zeitenwechsel für Argentinien an, das seiner Ansicht nach das „schlimmste Erbe der Geschichte” und das „Modell der Verschwendung der letzten 100 Jahre” zu überwinden habe. „Keine Regierung übernimmt eine schlimmere Situation als wir”, so Milei, der den Kirchnerismus für Haushaltsdefizit und Wirtschaftsmisere verantwortlich machte. Damit kennzeichnete er die nach den Präsidenten Néstor Kirchner und Cristina Fernández de Kirchner (Amtszeit zusammen 2003 bis 2015) benannte staatsinterventionistische Richtung des Peronismus.
„Leider muss ich Ihnen sagen, dass es kein Geld gibt”, so Milei. Deshalb gebe es keine Alternative zu Anpassung und Schocktherapie. Dies werde sich negativ auf die Beschäftigung, auf die Reallöhne sowie die Zahl der Armen und Bedürftigen auswirken. Es werde Inflation geben. Dies sei jedoch „die letzte bittere Medizin, die den Wiederaufbau Argentiniens einleitet. Am Ende des Weges wird Licht sein”, versprach er.
Das erste von Milei unterzeichnete Präsidialdekret („Decreto de Necesidad y Urgencia”) betraf die Struktur des neuen Kabinetts, das die Anzahl der Ministerien auf neun halbiert und etliche Sekretariate mit Ministerrang umfasst. Damit kippte er zugleich ein Dekret des Ex-Präsidenten Mauricio Macri (2015-19), das die Besetzung hochrangiger Exekutivämter mit Familienmitgliedern verbot, um Vetternwirtschaft vorzubeugen. Damit wurde die Berufung von Mileis Schwester Karina Milei zu seiner Generalsekretärin ermöglicht.
Mileis Kabinett besteht aus den Ressorts Wirtschaft, Außenbeziehungen, Sicherheit, Justiz, Inneres, Gesundheit, Verteidigung sowie den beiden „Superministerien” Infrastruktur – das die bisherigen Ressorts Transport, öffentlicher Bau, Bergbau, Energie und Kommunikation umfasst – und Humankapital, das die bisherigen Ressorts soziale Entwicklung, Arbeit und Bildung vereint.
Entgegen Mileis Rhetorik kommen viele neue Minister aus der „Kaste” etablierter Politiker oder Wirtschaftslenker. Einige Schlüsselfiguren gelten als „Macristas”, Getreue des früheren neoliberalen Präsidenten Macri oder Granden seiner konservativen PRO-Partei, wie Wirtschaftsminister Luis Caputo oder Verteidigungsminister Luis Petri. Einige sind radikale Wirtschaftsliberale wie Außenministerin Diana Mondino. Sandra Pettovello, die Ministerin für Humankapital, ist völlig unerfahren in der politischen Exekutive.
Anknüpfend an seine Antrittsrede plant Milei ein Maßnahmenpaket, das explizit an die von Präsident Carlos Menem (1989-99) erlassenen „liberalen” Reformen anknüpft. Das Paket soll die Deregulierung der Wirtschaft, die Vereinfachung des Steuersystems, Flexibilität im Arbeitsrecht, Privatisierung staatseigener Unternehmen und Verschlankung der öffentlichen Verwaltung bewirken. Die von Cristina Kirchner 2009 eingeführten offenen und obligatorischen PASO-Vorwahlen sollen wieder abgeschafft werden. Der neue Präsident soll auch planen, Parlamentssitzungen systematisch außerordentlich einzuberufen, um Mehrheiten bei nur 15 Prozent eigener LLA-Abgeordneter zu erreichen.
Außenministerin Mondino kündigte an, dass Argentinien schnell der Organisation für Zusammenarbeit und wirtschaftliche Entwicklung (OECD) beitreten wolle. Auf die aktuell 38 Mitgliedstaaten und ihre Partner entfallen rund 80 Prozent von Welthandel und weltweiten Investitionen. In die multilaterale Organisation, in der die lateinamerikanischen Schwellenländer Mexiko, Costa Rica, Kolumbien und Chile Mitglieder sind, wollte das Land bereits unter Ex-Präsident Macri eintreten.
Der Antrittsrede Mileis wohnten mehrere Staatsoberhäupter bei. Aus Lateinamerika nahmen die Präsidenten von Chile (Gabriel Boric), Ecuador (Daniel Noboa), Paraguay (Santiago Peña) und Uruguay (Luis Lacalle Pou) teil, aus Europa Spaniens König Felipe VI, Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán wie auch der Präsident der Ukraine Wolodymyr Selenskyj. Brasiliens Ex-Präsident Jaír Bolsonaro, der sich schon am Vorabend mit Milei und einer Gruppe rechtsnationalistischer Abgeordneter beider Länder ausgetauscht hatte, war ebenfalls anwesend.
Vor der Abendgala fand ein interreligiöser Gottesdienst in der Catedral Metropolitana von Buenos Aires statt. Daran nahm auch der orthodoxe Rabbiner teil, den Milei als seinen religiösen Inspirator bezeichnet hat und der nun Botschafter in Israel werden soll. Der Erzbischof von Buenos Aires, Monseñor Jorge Ignacio García Cuerva, leitete die Zeremonie. Er erinnerte an einen Satz von dem im Wahlkampf von Milei heftig kritisierten Papst Franziskus: „Ohne Liebe gibt es keine Freiheit.”
Dieser Artikel erschien zuerst auf Amerika21.
Titelbild: Javier Milei bei seiner Amtseinführung am 10. Dezember 2023 in Buenos Aires