Deutsche wissen immer alles besser! – Teil 1

Deutsche wissen immer alles besser! – Teil 1

Deutsche wissen immer alles besser! – Teil 1

Ein Artikel von Ulrich van der Heyden

Wer glaubt, dass die weltweite Blamage Deutschlands durch die deutsche Außenpolitik gegen Ende des Jahres 2022, als die Fußballweltmeisterschaft in Katar die Zeitungsseiten und TV-Sendungen beherrschte, beendet sein könnte, wird eines Besseren belehrt. Es geht munter weiter, wirft man einen Blick auf die (nicht nur Außen-)Politik der Ampel-Regierung. Einige der heutigen Politiker wollen die Folgen nicht erkennen, oder sie erkennen sie einfach nicht. Von Ulrich van der Heyden.

Die Kritik an der intellektuellen Kompetenz von Politikern soll jedoch nicht im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen stehen, sondern es soll genügen anzudeuten, warum sich vor etwa einem Jahr viele deutsche Bürger über ihre Politiker geärgert und fremdgeschämt haben, insbesondere darüber, was kurz vor der Fußballweltmeisterschaft von jenen, begleitet von einem Shitstorm in den Mainstream-Medien, über angebliche Ungeheuerlichkeiten in dem arabischen Emirat vermeldet wurde und dann sogar vor Ort ablief. Das verwunderte dann schon, wenngleich eigentlich schon jedem Interessierten jahrelang klar war, dass Katar kein Hort der Demokratie ist. Dennoch wurde trotz nachgewiesener Korruption die Weltmeisterschaft (WM) aus finanziellen Gründen dorthin vergeben. Es gab genug Zeit, sich für Boykott, Ausrichtung der Spiele an anderen Orten oder – was auch immer im Rahmen der Möglichkeiten denkbar gewesen wäre – anders zu entscheiden. Das tat man jedoch nicht, denn es winkte ein Maximalprofit für einige Inverstoren und Sportmanager.

Unmittelbar vor Beginn der Spiele stellten Politiker und die sie hofierenden Medien vorgeblich überrascht fest, dass die Kataris sich nicht an das hielten, was den Deutschen in ihrem Sendungsbewusstsein vorschwebte. Dabei konnte jeder wissen, dass nur zehn Prozent der 2,7 Millionen Bürger des Landes von Geburt aus Kataris waren, die anderen gelten als Arbeitsmigranten. Es wäre keine Schwierigkeit gewesen, herauszufinden, dass diese nicht als gleichberechtigte Staatsbürger betrachtet und behandelt werden. Warum tat man aber dennoch überrascht, als man sich mit einer anderen Kultur konfrontiert sah? Offensichtlich tat man dies, weil es einfacher ist, sich über Lappalien bis hin zu angeblichem oder wirklichem Unrecht in anderen Ländern demonstrativ zu erregen, als sich mit Ungerechtigkeiten und Problemen im eigenen Land zu befassen.

Die Missbilligung einer fremden Kultur, in der Alkoholgenuss und offene Präsentation von Homosexualität nicht erwünscht, ja verboten sind, schienen vor Beginn der WM in hiesigen Redaktions- und Wohnstuben das Hauptthema geworden zu sein. Die Überraschung angesichts anderer Kulturen, Wertevorstellungen und Mentalitäten in einem anderen Teil der Welt erschien indes von Anfang an heuchlerisch. Denn am deutschen Wesen sollte doch schon seit der Kaiserzeit vor mehr als eineinhalb Jahrhunderten die Welt genesen. Die Möglichkeit, sich von der WM zurückzuziehen, war offensichtlich vorüber; das wurde dann schon bald auf sportliche Weise in der Gruppenphase von anderen Fußballmannschaften erzwungen.

Nunmehr sah man sich in Politikerkreisen und Redaktionsstuben einem Dilemma ausgesetzt. Das inzwischen so beliebte Verhängen von Sanktionen und Boykotts war in diesem Fall nicht mehr möglich und aus ökonomischen Gründen auch nicht gewollt. Selbst wenn man von den nun kritisierten Verhältnissen in der absoluten Monarchie am Persischen Golf angeblich nichts wissen wollte, wuchs die Erkenntnis, dass Deutschland zukünftig auf das Öl der Kataris angewiesen sein wird. Einen dadurch notwendig gewordenen politischen Spagat versuchte die inzwischen selbst in ihrem Amt umstrittene Außenministerin Annalena Baerbock, wobei sie bekanntlich wiederholt in den internationalen Medien keinen guten Eindruck hinterließ. Der an der Berliner Humboldt-Universität lehrende Herfried Münkler gestand in einem Interview:

„Mich hat ihre Praxis der Menschenrechtsperformation nie überzeugt […] man kann zum Beispiel nicht gleichzeitig bei den Kataris Gas kaufen und sich am Fußball dort echauffieren. Es macht keinen Sinn, in dem einen Raum von Menschenrechten zu reden und im anderen hemmungslos Interessenökonomie zu betreiben.“[1]

Allzu bemerkenswert ist es allerdings nicht, dass die im Nahen Osten erneut unter Beweis gestellte, moralisch getünchte deutsche Besserwisserei verwundert oder verärgert und zum Teil auch mit Abscheu in den Ländern des heute so genannten globalen Südens zur Kenntnis genommen wurde. Nicht nur die Kataris, sondern auch die anderen im Arabischen Kooperationsrat zusammengeschlossenen Golf-Anrainerstaaten wiesen in einem Statement die den Überheblichkeitscharakter, vor allem der deutschen Innenministerin Nancy Faeser, deutlich machende Kritik scharf zurück und verwahrten sich gegen eine Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten.[2] Dieser an kolonial-paternalistisches Handeln der deutschen Politiker erinnernde Versuch der Einmischung einer ehemaligen Kolonialmacht in die Politik eines außereuropäischen Staates, verbunden mit der Abwertung von dessen traditioneller Kultur und Wertevorstellungen, ist in der sich immer noch dekolonisierenden Welt nicht gut angekommen. Das wurde insbesondere von einigen internationalen Beobachtern als ganz eindeutig kolonialistisches Gehabe gewertet.

Titelbild: Shutterstock / Prazis Images


[«1] Reich, Anja: Interview mit Herfried Münkler, in: Berliner Zeitung, 5.12.2022.

[«2] Vgl. Vor Besuch von Faeser. Katar verbittet sich Einmischung, in: Der Tagesspiegel, 1. November 2022.

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