Seit Kaiser Wilhelms Zeiten liebt die Welt uns Deutsche wegen unserer Bescheidenheit und unserem zurückhaltenden Auftreten auf dem internationalen Parkett. Oder etwa nicht? Zumindest könnte man den Eindruck haben, dass die deutsche Außenpolitik erpicht darauf ist, wieder auf wilhelminischen Pfaden zu wandeln. Nun hat Deutschland, so der SPIEGEL, „als erstes Land der Welt“ eine Klimaaußenpolitik-Strategie vorgelegt. Von Deutschland lernen, heißt siegen lernen? Gerade beim Thema „Energiewende“ kann dies jedoch nur ein schlechter Witz sein. Von Jens Berger.
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Lesen Sie dazu auch den Hintergrundartikel „Die Energiewende stockt – dies ist ein politisches Versagen und ökologisches sowie ökonomisches Desaster“
Was soll die Welt eigentlich genau von Deutschland lernen? Wie man ein selbsterklärtes energiepolitisches Ziel nach dem anderen reißt? Wie man auf Drängen der Fossil-Energielobby die eigenen Greentech-Unternehmen vor die Hunde gehen lässt und hunderttausende Arbeitsplätze vernichtet? Wie man alles auf Wärmepumpen und E-Mobilität setzt, ohne die Netze für diese neuen Abnahmeprofile umzubauen? Oder soll die Welt von Deutschland lernen, wie man durch die eigene Sanktionspolitik einen Schlüsselenergieträger für die Energiewende wie das Erdgas so teuer macht, dass die eigene Industrie ins Ausland und die eigenen Wähler zu einer Klimawandelskeptiker-Partei abwandern? Oder soll die Welt von uns lernen, wie man die Energiewende für die Haushalte und die Unternehmen vollkommen ohne Not so teuer macht, dass der Begriff „Energiewende“ weitläufig negativ assoziiert wird? Oder denkt man sogar tatsächlich, dass man mit gutem Beispiel vorangeht und die erneuerbaren Energien vorbildlich ausbaut? Nun ja, schauen wir uns dazu doch mal ein paar Zahlen an.
Zubau Windkraft
Eigentlich sollten in diesem Jahr nach Plänen der Bundesregierung Windkraftanlagen mit einer Gesamtleistung von fünf Gigawatt ans Netz gehen. Stand heute sind es lt. den Daten der Bundesnetzagentur jedoch nur 2,9 Gigawatt – also etwa 58 Prozent des Ausbauziels. Zum Vergleich: Im Jahr 2017 gingen noch rund 5,5 Gigawatt Windenergie ans Netz. Das Ausbauziel liegt zurzeit bei äußerst bescheidenen vier Gigawatt pro Jahr. Die eigenen Ziele werden übrigens Onshore und Offshore verfehlt. Offshore ging die letzte Windkraftanlage im Mai dieses Jahres in Betrieb. Zurzeit erzeugen die Offshore-Windparks rund acht Gigawatt pro Jahr. 2030, also bereits in etwas mehr als sechs Jahren, soll dieser Wert bei 30 Gigawatt, 2045 bei 70 Gigawatt liegen. Um das 2030-Ziel zu erreichen, wäre bei der Offshore-Windenergie ein Ausbau von 3,7 Gigawatt pro Jahr nötig. Für 2023 wird der Wert bei 0,2 Gigawatt liegen. Bei der gesamten Windenergie sieht das EEG 2023 ab 2026 einen Ausbau von 10 Gigawatt vor; in drei Jahren soll sich der Ausbau also faktisch verdreifachen. Diese Ziele sind nicht erreichbar.
China wird in diesem Jahr übrigens Windkraftanlagen mit einer Gesamtkapazität von mehr als 40 Gigawatt ans Netz nehmen. In zwei Jahren nimmt China also mehr Windenergieanlagen ans Netz, als Deutschland insgesamt installiert hat.
Zubau Photovoltaik
Aktuell sind in Deutschland rund 76 Gigawatt an Photovoltaikleistung installiert – um die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens zu erreichen, wäre rund das Zehnfache davon nötig. Immerhin steigt hierzulande die jährlich neu installierte Leistung seit dem Jahr 2016 wieder an und in diesem Jahr werden lt. Bundesnetzagentur fast 10 Gigawatt PV-Kapazität neu ans Netz gehen. Das ist sicher keine Hiobsbotschaft und übertrifft sogar das Ausbauziel. Das liegt jedoch mit neun Gigawatt in diesem Jahr auch sehr niedrig. Das EEG 2023 sieht ab 2026 einen jährlichen Zubau von 22 Gigawatt pro Jahr vor, was beim heutigen Wert wie eine unerreichbare Vision wirken.
Wenn man dann noch bedenkt, dass in China alleine zwischen Januar und Oktober diesen Jahres 142 Gigawatt PV-Kapazität ans Netz gingen, also mehr als doppelt so viel, wie in Deutschland insgesamt installiert sind, relativiert sich dieser „Rekordwert“. Allein der chinesische Kapazitätszubau bei der Photovoltaik in einem Jahr entspricht übrigens bei konservativer Rechnung der Leistung von dreißig AKWs.
Zurzeit sind mehr als 35 Prozent der weltweit installierten Gesamtleistung der regenerativen Energien in China, beim Zubau beträgt der chinesische Anteil fast 50 Prozent. Deutschland liegt beim Zubau bei mageren 3,2 Prozent, das ist weniger als der deutsche Anteil am weltweiten Bruttoinlandsprodukt. Beim Zubau regenerativer Energien ist Deutschland also im globalen Maßstab kein Vorreiter, sondern schlicht und einfach unterdurchschnittlich.
Lernen vom Klassenclown?
Diese Zahlen machen deutlich: Die globale Energiewende findet nicht in Deutschland, sondern in China statt. Noch in diesem Jahr wird China 1.400 Gigawatt Kapazität an erneuerbaren Energien am Netz haben. Alle deutschen Kraftwerke – regenerativ und fossil – zusammen haben eine installierte Nettoleistung in Höhe von 239 Gigawatt. Allein der chinesische Zubau der regenerativen Energien in diesem Jahr erreicht mit 191 Gigawatt schon fast diesen Wert.
Aber die Klimaaußenpolitik-Strategie soll ja nicht nur Zeichen setzen, sondern „helfen“. Aber wie? Die Rede ist dabei vor allem von „Solidarität“. Solidarität ist gut, vor allem, wenn sie nichts kostet. Großartig andere Optionen hätte Deutschland ohnehin nicht, da die Musik in Sachen Energiewende nicht mehr im Herzen Europas, sondern im Reich der Mitte spielt. China ist der Klassenprimus, Deutschland ist mit seinen großmäuligen Äußerungen eher der Klassenclown.
Aber China ist nicht nur auf nationaler wie internationaler Ebene Vorreiter in Sachen Energiewende, sondern hat auch die dazugehörige Wirtschaft aufgebaut. Solarpanels und Windräder kamen noch vor zwanzig Jahren aus Deutschland. Heute kommen sie aus China; für Wärmepumpen und Elektroautos wird dies in wenigen Jahren auch gelten. „Wir“ haben es verbockt und das war kein Schicksal, sondern ist Folge einer vollkommen desaströsen Politik.
Aber immerhin kann Deutschland ja noch gute Tipps geben, wie man es nicht machen sollte, und auch ein schlechtes Beispiel hat ja seine Daseinsberechtigung. Ob Annalena Baerbock das genauso sieht, ist jedoch fraglich.
Titelbild: Screenshot ZDF Heute Journal