In den Medien wird über die verschiedenen Reden zum G20-Video-Gipfel berichtet. Die Reden spiegeln das Scheitern der europäischen Sicherheitspolitik seit 1992 und der Wolfowitz-Doktrin wider. Man wird eine dauerhafte Spaltung Europas nur verhindern können, wenn alle politische Aufmerksamkeit einer Fragestellung gewidmet wird: Gibt es ein Bekenntnis aller Akteure zu dem Grundsatz der „gleichen Sicherheit für alle Staaten in Europa“ oder nicht? Dieser Grundsatz darf nicht und zu keinem Zeitpunkt gegen die Souveränität des Staates oder die „freie Wahl von Bündnissen“ ausgespielt werden. Von Willy Wimmer.
Auch im innerstaatlichen Verfassungsrecht gilt der Grundsatz, dass Kernbestandteile von Verfassungen unter Umständen Einschränkungen der Kernbereiche durch andere Rechtsbestimmungen hinnehmen müssen.
Je länger der Krieg in der Ukraine dauert, umso deutlicher werden die Fragestellungen, aus welchen Gründen Kernakteure dieses Krieges diesen Krieg führen und ein Ende des Krieges zu verhindern trachten. Zu diesen Fragestellungen zählt auch die Fortdauer der 1945 und in den Folgejahren geschaffenen Weltordnung. Diese Fragestellung geht nicht nur geographisch weit über Europa hinaus und bildet die Grundlage für einen Krisengürtel mit dem Potential eines alles vernichtenden Globalkrieges. In dem Maße, wie diese Fragestellungen allgemein sichtbar werden, ist es geradezu unmöglich, im Rahmen der etablierten diplomatischen Strukturen Lösungsansätze für die offenkundigen Probleme zu finden.
Das EU-Europa scheidet für konstruktive Lösungsansätze deshalb erkennbar aus, weil die Rolle der amerikanischen Führungsmacht in den von NATO, EU und Weltbank manifesten Strukturen überdominant ist. Russland hat seit dem Wiener Kongress 1814 eine Lösungskompetenz für die grundlegenden Fragen der europäischen und damit auch globalen Sicherheit. Die Vereinigten Staaten müssen sich entscheiden, für was und für welche Ziele sie das verbleibende Potential nutzen.
Willy Wimmer, 23. November 2023
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