Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Schattenhaushalten stellt die Bundesregierung vor massive Probleme. Der Haushalt für 2024 liegt erst einmal auf Eis und es kracht im Gebälk der Ampel. Mindestens 80 Milliarden Euro fehlen für das kommende Jahr, will man auf der Ausgabenseite keine Kürzungen vornehmen. Doch auch radikale Kürzungen würden diese Summe nicht einbringen, weshalb neue – diesmal verfassungskonforme – Tricksereien wohl unvermeidlich sind. Dennoch wird vor allem die FDP die Haushaltskrise nutzen, um die Axt an den Sozialstaat zu legen. Das alles wäre überhaupt nicht nötig, doch niemand spricht über die drei Elefanten im Raum: Die Krise ist hausgemacht! Ohne die übertriebenen Coronamaßnahmen, die Sanktionspolitik und die als „Zeitenwende“ beschönigten Aufrüstungsorgien hätte der Haushalt auch ganz ohne Tricksereien und zusätzliche Neuverschuldung kein Loch, das man nun durch Kürzungen zumindest zum Teil stopfen „muss“. Von Jens Berger.
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Dass die Bundesregierung euphemistisch als „Sondervermögen“ bezeichnete Schattenhaushalte führt, ist nicht neu. Schon die Kredite aus dem 1949 verabschiedeten Marshallplan wurden als „ERP-Sondervermögen“ parallel zu den öffentlichen Haushalten geführt. Einen regelrechten Aufschwung erhielten solche Schattenhaushalte jedoch erst durch die Einführung der Schuldenbremse im Jahr 2009. Nachdem der Staat sich ohne Not, getrieben durch den neoliberalen Zeitgeist, selbst bei der Neuverschuldung über die regulären Haushalte beschnitten hat, wurden immer mehr langfristige schuldenfinanzierte Programme aus den regulären Haushalten in Schattenhaushalte überführt. Der jetzt vom Bundesverfassungsgericht monierte Klima- und Transformationsfonds ist auch keine Erfindung der Ampel, sondern wurde bereits 2010 von der schwarz-gelben Regierung eingeführt. Nicht der Fonds als solcher, sondern die „zweckfremde“ Übertragung von Kreditermächtigungen aus einem anderen „Sondervermögen“, das zur Entlastung der Wirtschaft durch die Folgen der Coronamaßnahmen aufgelegt wurde, wurde nun vom Bundesverfassungsgericht für nicht verfassungsgemäß erklärt. Legt man die Begründung auch an andere Schattenhaushalte an, kann nicht nur der Klima- und Transformationsfonds, sondern auch der 2020 als Hilfsfonds gegen die Folgen der Coronamaßnahmen aufgelegte 200 Milliarden Euro umfassende Wirtschaftsstabilisierungsfonds in dieser Form nicht weitergeführt werden. Konkret fehlen nun 60 Milliarden Euro für den Klima- und Transformationsfonds und 20 Milliarden Euro aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds, die für 2024 für Ausgaben eingeplant wurden, die nicht in Verbindung zu den Coronamaßnahmen stehen.
Hier ist der erste Zwischenruf nötig. Die staatlichen Hilfsgelder für die Wirtschaft im Zuge der Coronamaßnahmen waren im Kern absolut richtig. Das gilt aber natürlich nicht die Maßnahmen selbst, die diese „Hilfen“ erst nötig gemacht haben. Wenn wir also jetzt die Kürzungsdebatten führen, zu denen wir später im Text kommen, sollten wir immer vor Augen haben, dass diese zu einem gewissen Teil immer noch mit den Kosten für die Coronapolitik der Bundesregierung in Verbindung stehen. Das ist der erste Elefant im Raum, den niemand sehen will und über den niemand spricht. Ein neoliberales Mantra lautet, „There is no free lunch“, es gibt also nichts umsonst. Dieses Mantra ist zwar falsch; wenn man sich wie die Bundesregierung an die Regeln des Neoliberalismus hält, trifft dieser Satz jedoch leider zu.
Es sind aber keinesfalls nur die finanziellen Spätschäden der Coronapolitik. Bereits ein flüchtiger Blick auf die Haushaltsplanung zeigt, wodurch die Löcher entstanden sind, die jetzt über Tricksereien und Kürzungen geschlossen werden müssen. Im Mai hatte ich bereits einen Artikel verfasst, in dem ich die Kosten der deutschen Kriegspolitik überschlagen habe. Heraus kamen gigantische 577 Milliarden Euro. Damals fragte ich: Wer soll das bezahlen? Die Rechnung bekommen wir zumindest zum Teil nun präsentiert.
Im Haushalt für 2024 sind 51,8 Milliarden Euro für den Verteidigungshaushalt vorgesehen. Weitere 19,2 Milliarden Euro werden über einen weiteren Schattenhaushalt finanziert. Macht zusammen 71 Milliarden Euro – und dies sind nur die Kosten für ein einziges Jahr und es handelt sich auch nur um die direkt zuzuordnenden Kosten. Zum Vergleich: Noch 2018 lagen die Gesamtkosten für den Verteidigungsbereich bei 38,5 Milliarden. Wenn man sparen will, wären da also schon mal mindestens 32,5 Milliarden Euro zu holen. Hinzu kommen die acht Milliarden Euro, die im Bundeshaushalt 2024 für die direkte Militärhilfe für die Ukraine vorgesehen sind. Dieser Posten wurde einen Tag vor dem Karlsruher Urteil erst mal in Torschlusspanik kurzerhand verdoppelt. Allein durch Streichung der Mehrausgaben im Verteidigungsbudget im Vergleich zu 2018 und durch Wegfall der Militärhilfen für die Ukraine wären also bereits mehr als 40 Milliarden Euro Einsparpotential möglich. Doch darüber spricht ja niemand. Das ist der zweite Elefant im Raum.
Der dritte Elefant sind die Kosten, die sich direkt und indirekt aus der Sanktionspolitik ergeben. Ohne die steigenden Energiekosten wäre der übergroße Teil der nun verfassungswidrig über Schattenhaushalte laufenden Subventionen ja gar nicht nötig. Würde Deutschland weiterhin preiswertes Erdgas aus Russland beziehen, müsste es beispielsweise keinen einzigen Cent für die Strom- und Gaspreisbremse, für die Strompreiskompensation für die Industrie oder die Defizite aus dem Wegfall der EEG-Umlage geben.
Quelle: Bundesfinanzministerium
Aber auch indirekt haben die Sanktionen massive Folgen für die Staatsfinanzen. 2021 zahlte der Bund in der Niedrigzinsphase gerade einmal 3,85 Milliarden Euro für die Zinslast seiner Schulden. 2023 werden es dank Zinswende bereits 39,84 Milliarden sein und hier geht es nur um den regulären Haushalt, die Zinsausgaben für die Schattenhaushalte sind hier noch gar nicht erfasst. Die höheren Zinsen sind nicht vom Himmel gefallen, sondern eine direkte Folge der Zinserhöhungen durch die EZB, die nach der eigenwilligen Logik der Notenbanker mit der Bekämpfung der Inflation begründet wurden, die wiederum eine direkte Folge der Energiepreiserhöhungen ist. Ohne Sanktionen keine höheren Energiepreise. Ohne höhere Energiepreise keine Inflation, also keine Zinserhöhungen. Der Zusammenhang zwischen Sanktionspolitik und höheren Zinsausgaben ist also indirekt, aber kausal.
Rechnet man nun die Summe dieser drei „Elefanten im Raum“ zusammen, kommt man auf ziemlich genau die Summe, die 2024 durch den Wegfall der Sondervermögen nun auf anderem Wege umverteilt werden muss. Und selbst das ist nur die halbe Wahrheit, da ohne Sanktionen und ohne höhere Energiepreise ja auch ein Großteil der Subventionen, die über diese Schattenhaushalte bezahlt werden, wegfallen würde.
Um es auf den Punkt zu bringen: Ohne die übertriebenen Coronamaßnahmen und ohne die nur noch selbstmörderisch zu nennende Sanktions- und Kriegspolitik müssten wir nicht über das Stopfen von Haushaltslücken reden, sondern hätten einen Bundeshaushalt, der dicke Überschüsse hätte. Es war und ist die Politik der Ampel und ihrer Vorgängerkoalition, die uns den ganzen Kladderadatsch eingebrockt hat.
Nun hat die Bundesregierung ein massives Budgetproblem. Es ist nicht möglich, die Ausgaben aus den Schattenhaushalten einfach einzustellen, da ein Großteil der Subventionen für 2024 bereits vertraglich zugesichert ist, die Empfänger also einen Rechtsanspruch darauf haben – woher der Bund das Geld nimmt, um die nun entstehenden Löcher in den Schattenhaushalten zu stopfen, kann ihnen egal sein. Natürlich könnte man ganz einfach, wie André Tautenhahn es auf den NachDenkSeiten gefordert hat, die Schuldenbremse abschaffen. Leider ist das eher unwahrscheinlich, sind Ampel und Opposition doch zu großen Teilen derart neoliberal indoktriniert, dass sie eine solche Lösung nicht einmal in Betracht ziehen. Realistisch gesehen hat der Bund nun zwei Optionen. Er kann – diesmal mit einem verfassungskonformen Gesetz – einen neuen Schattenhaushalt mit Kreditermächtigungen gründen, auf den dann die von Karlsruhe kritisierten Ausgaben übertragen werden. Oder die Bundesregierung kann ganz einfach für 2023 und 2024 den „Notfall“ erklären und die Schuldenbremse aushebeln. Dies wäre übrigens das vierte Mal in Folge. Mit frischem Geld könnte man dann über den Bundeszuschuss die Schattenhaushalte ausgleichen und nicht verfassungskonforme Ausgaben in die regulären Haushalte verschieben. All das wäre kein großes Problem, wenn das Finanzministerium nicht in FDP-Hand wäre.
Die Liberalen wüten nämlich bereits und sehen in der Haushaltskrise ihre einmalige Chance, den Sozialstaat noch weiter abzubauen. Dazu muss man aber wissen, dass der Spielraum für Einsparungen selbst beim großen Sozialbudget eigentlich nur sehr klein ist, da ein Großteil der Ausgaben sich aus einem Rechtsanspruch herleitet. Empfänger von Bürgergeld und Wohngeld haben beispielsweise einen Rechtsanspruch auf eine finanzielle Grundsicherung, die zumindest dem Existenzminimum entspricht. Auch das hat das Bundesverfassungsgericht mehr als einmal klar formuliert. Ähnlich verhält es sich mit den Bundeszuschüssen für die Rentenversicherung. Hier geht es um versicherungsfremde Leistungen, wie z.B. die Witwen- und die Grundrente oder die Anwartschaften im Erziehungsurlaub oder dem ehemaligen Wehrdienst. Für die jetzigen Bezieher von Rente sind diese Leistungen nicht kürzbar, da der Rechtsanspruch bereits besteht. Was die FDP allerdings durchsetzen kann, sind indirekte Kürzungen für die Zukunft und vor allem ein Abbau der Reserven der Sozialversicherungen.
So verfügt die Rentenversicherung beispielsweise über eine Nachhaltigkeitsrücklage in Höhe von 44,5 Milliarden Euro. Wenn der Bund die Zuschüsse einseitig kürzt, die Anwartschaften aber bleiben, schmilzt diese Rücklage schneller als ein Eis in der Sahara. Die Folge: Schon bald wird die Rentendebatte zurückkehren. Soll der Beitragssatz – natürlich zulasten der Arbeitnehmer – steigen? Sollen die Leistungen gekürzt werden? Soll das Renteneintrittsalter erhöht werden? Ähnlich sieht es übrigens bei der gesetzlichen Krankenkasse aus. Auch hier würden Kürzungen der Bundeszuschüsse in den nächsten Jahren zu einer Unterfinanzierung führen.
Um es klar zu sagen: Das alles hat nichts, aber auch gar nichts mit der aktuellen Haushaltskrise zu tun, da es um Ausgaben und Einnahmen geht, die nicht in diesem oder im nächsten Jahr anfallen, sondern weit, zum Teil sogar sehr weit, in der Zukunft liegen. Die FDP wäre aber nicht die FDP, wenn sie diese historische – und hausgemachte(!) – Situation nicht nutzen würde, um den Abbau der Sozialsysteme zu forcieren. Und die Grünen und die SPD können – vorausgesetzt, sie wollen das überhaupt – nicht viel dagegen tun. Über ihnen schwebt schließlich das Damoklesschwert Koalitionsbruch und Neuwahlen; und daran können alle Beteiligten bei den derzeitigen Umfragewerten kein Interesse haben.
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