Das östliche Mittelmeer gehört zu den Regionen, in denen in den letzten Jahrzehnten die wohl weltweit größten neuen Öl- und vor allem Gasfelder entdeckt wurden. Die Erschließung und der Transport des Erdgases sind jedoch kompliziert, ist die Region doch ein geopolitischer Brennpunkt. Nichtsdestotrotz spielt vor allem die EU, die Alternativen zu russischen Energieimporten sucht, mit hohem Einsatz im mediterranen Energiepoker mit und gerät damit in einen weiteren Interessenkonflikt zu den USA. Auch vor Gaza befinden sich Erdgasvorkommen, die eigentlich noch in diesem Jahr erschlossen werden sollten. Da wundert es kaum, dass es im Internet Stimmen gibt, die die jüngste Eskalation in der Region in eine Verbindung mit dem internationalen Energiepoker bringen. Doch das ist zu weit hergeholt. Spannend ist die Debatte aber auch so. Von Jens Berger.
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Bis zur Jahrtausendwende galt das östliche Mittelmeer energiepolitisch als eher uninteressante Region. Das änderte sich in den folgenden Jahren rasant. Nachdem zunächst kleinere Lagerstätten gefunden wurden, kam es in den Jahren 2010 bis 2015 zu bemerkenswerten Funden, und noch heute werden fast im Monatstakt neue Erdgasfelder in der Region entdeckt. Südlich von Zypern stieß man auf das Aphrodite Gasfeld mit geschätzt 129 Mrd. Kubikmetern Erdgas. Etwas südlicher fand man das Leviathan Gasfeld mit geschätzt 450 Mrd. Kubikmetern, das Tamar Gasfeld mit geschätzt 307 Mrd. Kubikmetern und das Zohr Gasfeld, das mit 850 Mrd. Kubikmetern das zurzeit größte bekannte Erdgasvorkommen im Mittelmeer ist. Leviathan und Tamar liegen in der israelischen Wirtschaftszone, Zohr liegt in der ägyptischen Wirtschaftszone.
Quelle: Al Jazeera
Der US Geological Survey schätzt, das sich im östlichen Mittelmeer Lagerstätten mit bis zu 3.500 Mrd. Kubikmetern Erdgas befinden. Um dies einmal ins Verhältnis zu setzen: Dies entspricht den Gasvorkommen Algeriens und übersteigt sogar die Reserven des russischen Stockmann-Feldes sowie des Hugoton-Feldes in Kansas, Oklahoma und Texas, das als das größte Gasfeld der USA gilt. Weltweit werden die Vorkommen im östlichen Mittelmeer jedoch von den westsibirischen Feldern Jamburg und Urengoi (3,9 bzw. 6,3 Billionen Kubikmeter) und vor allem dem wahrlich gigantischen South-Pars-Feld mit seinen 35 Billionen Kubikmetern, die sich Iran und Katar teilen, in den Schatten gestellt.
Man sollte jedoch vermeiden, hier Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Während zum Beispiel die westsibirischen Felder zusammenhängend und bereits erschlossen sind und fördern, gleichen die Felder im östlichen Mittelmeer eher einem Flickenteppich, sind technisch teils schwer zu erschließen und verfügen zumindest zurzeit noch über keine Transportinfrastruktur, die für eine optimierte Förderung nötig wäre. Und dies hat vor allem politische Gründe.
Für fast jedes einzelne Feld im östlichen Mittelmeer gibt es ein eigenes geopolitisches Problem. So haben sich Israel und der Libanon beispielsweise lange über die Frage der genauen Seegrenzen gestritten. Die UN entschied letztlich im Sinne Israels, und nun hat der Libanon angefangen, seine eigene Wirtschaftszone in Parzellen aufzuteilen, die man von professionellen Explorer-Firmen untersuchen lässt. Zwischen Israel und Ägypten wiederum ist weniger die Grenzziehung als mehr der Transport ein politisches Problem. Ägypten ist einerseits selbst Energieimporteur, aber auf der anderen Seite auch der wichtigste Energielieferant Israels, was innenpolitisch nicht gerade unproblematisch ist, da die Muslimbrüder diese Form des Handels „mit dem Feind“ immer wieder kritisieren.
Ist die Lage in der Levante kompliziert, ist sie im Gebiet rund um die Insel Zypern ein einziges Minenfeld. Hier prallen nicht nur die alten Feinde Türkei und Griechenland aufeinander. Die Türkei erkennt hier grundsätzlich die Seegrenzen und Wirtschaftszonen Zyperns nicht an, da diese die nur von der Türkei anerkannte „Republik“ Nordzypern nicht im von Ankara erwünschten Maße berücksichtigen. Der immer noch nicht gelöste Syrien-Konflikt stellt ein weiteres Problem dar, und selbst das etwas weiter entfernte Libyen spielt – zusammen mit der Türkei – eine problematische Rolle, da mögliche Pipelines in Richtung Italien und Kreta die libysche Wirtschaftszone kreuzen.
Man könnte also zusammenfassend sagen: Die schiere Größe der Erdgasvorkommen im östlichen Mittelmeer ist zwar beachtlich, einer großformatigen Ausbeutung samt internationalem Export stehen jedoch zahlreiche eingefrorene und heiße lokale geopolitische Konflikte im Weg. Und die großen geopolitischen Konflikte spielen hier auch noch mit hinein. Russland hat generell kein gesteigertes Interesse daran, dass Akteure aus dem östlichen Mittelmeer als internationale Konkurrenten auftreten. Gleiches gilt paradoxerweise für die USA, die zurzeit mit ihrer äußerst lukrativen und politisch einflussreichen Rolle als einer der weltgrößten Exporteure von Flüssiggas sehr zufrieden sind und daher im Mittelmeer auf Zeit spielen und kein Interesse daran haben, den Export des dortigen Erdgases per Pipeline oder LNG zu befördern.
Hier gibt es einen klaren Konflikt zwischen den USA und der EU, der sich auch auf Unternehmensebene zeigt. Während US-Unternehmen wie Exxon und Chevron vor allem bei den israelischen Feldern eine wichtige Rolle spielen, sind die europäischen Multis ENI (Italien), Total (Frankreich) und BP (Großbritannien) vor allem bei den zypriotischen und den ägyptischen Feldern involviert und haben hier ein großes Interesse daran, das dort geförderte Gas über Pipelines und LNG-Terminals in die EU zu transportieren.
Geopolitische Interessen haben auch die Anrainerstaaten. Israels oberstes Interesse ist es, selbst energieautark zu werden und über Exporte nach Jordanien und Ägypten einen politischen Hebel auf diese Staaten auszuüben. Erst in zweiter Linie geht es Israel um Exporterlöse in weit entfernte Drittstaaten. Ägypten wiederum geht es zunächst auch darum, unabhängig von Energieimporten zu werden. Anders als Israel baut man in Ägypten jedoch auch massive LNG-Export-Kapazitäten auf, um Deviseneinnahmen zu generieren. Hier arbeitet man mit der EU Hand in Hand. Geld ist auch der wichtigste Faktor für Zypern, das gerne Energielieferant für die EU werden will. Und da die Türkei eine Pipelineverbindung nach Westen verhindert, setzt man in Zypern nun auf schwimmende LNG-Terminals; auch hier sind EU-Unternehmen mit Unterstützung Brüssels mit im Boot. Ein echter „Gamechanger“ wird das Erdgas aus dem östlichen Mittelmeer jedoch in absehbarer Zeit nicht werden. Dafür sind die Exportkapazitäten schlicht zu klein.
Diese Hintergrundinformationen sind wichtig, wenn man die Perspektiven für die Gasfelder vor Gaza betrachtet. Auch dort wurden bereits im Jahre 2000 von der mittlerweile zum Shell-Konzern gehörenden britischen BG mit Gaza Marine I und II zwei Gasfelder gefunden. Diese beiden Felder sind mit einem geschätzten Vorkommen von 30 Mrd. Kubikmeter eher klein und bilden weniger als ein Prozent der Vorkommen in der gesamten Region. Hinzu kommen massive politische Probleme. Im Rahmen der Oslo-Abkommen wurden die Förderrechte im Seegebiet vor Gaza der Palästinensischen Autonomiebehörde zugesprochen. Über die Förderung wird also von palästinensischer Seite nicht von der Hamas in Gaza, sondern von der Fatah entschieden, deren Vertretungsanspruch im Gazastreifen gar nicht anerkannt wird.
Nichtsdestotrotz hatten sich die Vertreter der Palästinensischen Autonomiebehörde, Israels und Ägyptens wenige Woche vor den Angriffen der Hamas auf Israel 23 Jahre nach der Entdeckung des Gasfeldes Gaza Marine nun darauf verständigt, das Feld zu erschließen. Der Deal sah vor, dass Israel das Feld erschließt und den Großteil des geförderten Gases den Palästinensern im Westjordanland und Gaza zur Energieerzeugung überlässt. Theoretisch hätten die Palästinenser damit zwei noch zu errichtende Gaskraftwerke in Gaza und Jenin betreiben können. Die Einnahmen aus der Gasförderung wären der Palästinensischen Autonomiebehörde zugeflossen – Korruption und Kleptokratie inklusive.
Ob dieser Deal, der über die Köpfe der Hamas hinweg gegen deren Willen beschlossen wurde, nun noch Bestand hat, ist fraglich. Es ist aber auch gut möglich, dass man Gaza einfach aus dem Vertrag hinausnimmt und die für Gaza vorgesehene Menge an Gas künftig über Ägypten auf dem Weltmarkt verkauft. Die Kleptokraten rund um Palästinenserpräsident Mahmud Abbas würden dies sicher gerne sehen. Dies ist aber keine Frage von Wochen oder Monaten, sondern von vielen Jahren, da das Gaza-Marine-Feld ohnehin erst einmal für viel Geld erschlossen werden müsste und die Transportinfrastruktur ebenso wenig existiert wie die Kraftwerke auf palästinensischer Seite, die das geförderte Gas in Strom umwandeln sollen.
Die Gasförderung vor Gaza ist also eher vage Zukunftsmusik und vor allem ein regionalpolitisches und kein geopolitisches Thema. Dafür sind die Vorkommen viel zu klein und unbedeutend – vor allem im Vergleich zu den wirklich großen Vorkommen, die an anderer Stelle im östlichen Mittelmeer gefunden und die zurzeit erschlossen werden. Dass die Frage der Gasförderung für die Hamas oder Israel ein wie auch immer geartetes Motiv für die Kriegsführung ist, kann man getrost als Spökenkiekerei einordnen.
Viel spannender sind die Fragen, die sich im Kontext mit den Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer für die europäische Gasversorgung ergeben. Neben den Anrainerstaaten ist die EU der einzige große Akteur, der ein echtes Interesse an einer möglichst weitreichenden Ausbeutung dieser Vorkommen samt Aufbau einer Transportinfrastruktur hat. Hier kollidieren die Interessen der EU teils frontal mit den Interessen der USA, Russlands und der Türkei. Eine Schlichtung der geopolitischen Konflikte in der Region wäre also aus energiepolitischer Sicht im obersten Interesse Europas. Hier kann man bereits jetzt sagen, dass diese Perspektive durch die militärische Eskalation der letzten Wochen mehr und mehr schwindet. Eine weitere geopolitische Niederlage für Europa – nicht die erste und sicherlich auch nicht die letzte, wenn man sich nicht endlich von den USA emanzipiert, die auch hier diametral andere Interessen haben.
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