Olaf Scholz zu Gaza: Israel ist dem Völkerrecht verpflichtet und handelt dementsprechend

Olaf Scholz zu Gaza: Israel ist dem Völkerrecht verpflichtet und handelt dementsprechend

Olaf Scholz zu Gaza: Israel ist dem Völkerrecht verpflichtet und handelt dementsprechend

Florian Warweg
Ein Artikel von: Florian Warweg

Am 14. November gab Bundeskanzler Olaf Scholz eine Pressekonferenz im Bundeskanzleramt, in welcher er in Bezug auf die Lage im Gazastreifen und israel-kritischen Äußerungen des türkischen Präsidenten Erdogan erklärte, Israel sei „ein Land, das sich den Menschenrechten und dem Völkerrecht verpflichtet fühlt und in seinen Aktionen auch dementsprechend handelt“. Die NachDenkSeiten wollten auf der aktuellen BPK wissen, ob die bisher durch israelische Vergeltungsschläge getöteten 102 UN-Mitarbeiter und 47 Journalisten für den Kanzler auch in die Rubrik „dem Völkerrecht verpflichtet fühlt“ fallen und auf welcher Informationsgrundlage die Bundesregierung Vorwürfe der UN zurückweist, Israel würde mit seinem militärischen Vorgehen in Gaza Völkerrecht brechen. Von Florian Warweg.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Der Hohe Kommissar für Menschenrechte der Vereinten Nationen, der österreichische Diplomat Volker Türk, übt seit Wochen scharfe Kritik am militärischen Vorgehen Israels und spricht von „verheerenden humanitären und menschenrechtlichen Auswirkungen” sowie „Bruch des Kriegsvölkerrechts“. Ähnlich äußern sich Vertreter aller UN-Organisationen, die im Gazastreifen in humanitären Missionen tätig sind, wie beispielsweise UNRWA oder OCHA, das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten, welches vom britischen Berufsdiplomaten Martin Griffiths geleitet wird. Der aktuelle OCHA-Lagebericht zu Gaza mit Stand 14. November spricht davon, dass innerhalb von 39 Tagen 102 UN-Mitarbeiter und 47 Journalisten im Rahmen der israelischen Militäroperation getötet worden sind.

Selbst westliche Verbündete wie die norwegische Regierung bewerten die Art des israelischen Vorgehens als „Verstoß gegen das Kriegsvölkerrecht“ und erklären öffentlich, dass es Aufgabe von Den Haag sein werde, zu klären, ob Israel mit seinem derzeitigen Vorgehen Kriegsverbrechen begehe.

Völlig im Gegensatz dazu stehen die Aussagen des bundesdeutschen Kanzlers, der erst am 14. November in Bezug auf die Lage in Gaza erklärte, Israel sei ein Land, „das sich den Menschenrechten, dem Völkerrecht verpflichtet fühlt und in seinen Aktionen so handelt“. Weiter erklärte er:

„Deswegen sind die Vorwürfe, die da gegen Israel erhoben werden, absurd. Und daran kann es gar kein Zweifel geben.“

Vor diesem Hintergrund wollten die NachDenkSeiten wissen, auf welcher Informationsgrundlage Kanzler, Auswärtiges Amt und Regierungssprecher regelmäßig die Einschätzung von UN-Vertretern abstreiten, dass Israel im Gazastreifen Völkerrecht bricht und ob die dreistelligen Opferzahlen von UN-Mitarbeitern und die Zahlen im mittleren zweistelligen Bereich von getöteten Journalisten durch israelischen Beschuss auch als völkerrechtskonform eingeschätzt werden:

Protokollauszug von der Bundespressekonferenz am 15. November 2023:

Frage Warweg
Herr Hebestreit, ich würde gerne noch einmal auf die Pressekonferenz am 14. November, die Sie schon erwähnt haben, zurückkommen. Der Kanzler hat dort erklärt ‑ ich zitiere ‑, Israel sei „ein Land, das sich den Menschenrechten und dem Völkerrecht verpflichtet fühlt und in seinen Aktionen auch dementsprechend handelt“. Jetzt sind mit Stand 14. November nach UNOCHA-Angaben 102 UN-Mitarbeiter und 47 Journalisten durch israelische Vergeltungsschläge getötet worden. Da würde mich interessieren, ob diese Tötung in einem dreistelligen Bereich von UN-Mitarbeitern und einem mittleren zweistelligen Bereich von Journalisten für den Kanzler auch in diesen Bereich ‑ „dem Völkerrecht verpflichtet fühlt“ ‑ fällt.

Regierungssprecher Hebestreit
Ich will das hier überhaupt nicht kategorisieren. Der Bundeskanzler hat gesagt, wie der Staat Israel grundsätzlich handelt. Wir haben es im Moment mit einer Kriegssituation zu tun. Wir haben es damit zu tun, dass die Hamas Israel überfallen hat, dass sie mehr als tausend Menschen ‑ ich glaube, inzwischen liegt die Zahl bei 1200 ‑ bestialisch umgebracht hat und dass immer noch mehr als 200 Geiseln dort gefangen gehalten werden. Das sind Frauen, das sind alte Menschen, das sind auch Männer und es sind Kinder, die dort ohne ihre Eltern seit mehr als fünf Wochen festgehalten werden. Die Hamas hätte jederzeit die Möglichkeit, da auch ein Zeichen der Versöhnung, wenn man so will, ein Zeichen der Abrüstung zu setzen. Im Gegenteil, der Beschuss Israels geht weiter; es ist eine fortgesetzte Kriegssituation, die dort herrscht. Gleichzeitig bleibt der Aufruf an die israelische Seite, sich an den Rahmen des humanitären Völkerrechts zu halten.

Wenn man vergleicht, wie die Hamas gegen Israel vorgeht und wie Israel gegen die Hamas vorgeht, dann kann zumindest ich Unterschiede erkennen. Zu einer allgemeinen Einzelfallbeurteilung kann ich von dieser Stelle nichts beitragen; das tut mir leid für Sie.

Zusatzfrage Warweg
Aber die allgemeine Tendenz ist ja derzeit, dass sowohl Volker Türk als UN-Hochkommissar für Menschenrechte als auch alle involvierten UN-Organisationen sehr deutlich davon sprechen, dass Israel mit der Art des militärischen Vorgehens im Gazastreifen Völkerrecht bricht. Bisher zumindest hat die Bundesregierung sich in der BPK hingestellt und gesagt: Nö, wir sehen das anders. Da würde mich schon interessieren: Auf welcher Grundlage kommt die Bundesregierung zu dem Schluss ‑ im Gegensatz zur Einschätzung von eigentlich allen UN-Organisationen und auch vielen internationalen Partnerstaaten Deutschlands ‑, dass Israel im Gazastreifen Völkerrecht nicht bricht?

Hebestreit
Ich werde hier nicht in eine Thematik, wer was an der Stelle genau sagt, einsteigen. Das ist eine sehr schwierige Situation; es ist eine Kriegssituation, in der wir uns befinden. Das ist ein bewaffneter Konflikt, der fortgesetzt geführt wird. Die Aufforderung, die wir auch an dieser Stelle mehrfach gemacht haben ‑ auch meine Kolleginnen und Kollegen, die, wenn ich nicht hier bin, hier sitzen ‑, war immer auch die Aufforderung, dass die Regeln des humanitären Völkerrechts gelten müssen und dass sich alle Seiten daran halten müssen. Wir wissen, wer sich überhaupt nicht daran hält: Das ist die Hamas. Wir wissen auch, dass Israel bemüht ist. Wenn es Situationen gibt, die verurteilungswürdig sind, dann wird auch das verurteilt werden. Es ist aber nicht am Regierungssprecher oder an der Bundesregierung, das von hier aus zu beurteilen. Insofern kann ich Ihnen auch an der Stelle wieder nicht weiterhelfen, Herr Warweg.

Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 15. November 2023

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