Die Cancel-Kultur in Deutschland überschreitet aktuell die Hemmschwelle der De-Legitimierung der Friedensbewegung, wie das im Kontext des Ukraine-Krieges schon begonnen hatte. Jüngstes Beispiel: Die Stadt Bremen hat kürzlich einen Link zum Bremer Friedensforum auf ihrer Website gelöscht, mit einer fragwürdigen Begründung. Von Bernhard Trautvetter.
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Die Stadt Bremen löschte kürzlich den Link zum Bremer Friedensforum auf ihrer Website. Diese Maßnahme war gegenüber dem Bremer Friedensforum vorab nicht kommuniziert worden. Ein Pressesprecher des Wirtschaftssenators des von SPD, Grünen und LINKEN gebildeten Senats begründete den Schritt auf Nachfragen per Mail unter anderem damit, dass das Bremer Friedensforum eine Erklärung des Bundesausschusses Friedensratschlag auf ihrer Website präsentiere, deren Formulierungen „den Staat Israel, israelische Staatsbürger und Jüdinnen und Juden diffamieren“ würden.
Es werde „unter anderem beispielsweise von einem brutalen, völkerrechtswidrigen Vorgehen gegen die palästinensische Bevölkerung gesprochen und davon, dass es kriminelle und rassistische Praktiken der israelischen Besatzungstruppen und radikaler Siedlerorganisationen sowie tägliche Provokationen und terroristische Angriffe von ‚Zionisten‘, Siedlern und Besatzungstruppen gibt oder dass eine gewaltsame Besatzungspolitik der derzeitigen rechtsradikalen Netanjahu-Regierung der Grund für die Angriffe der Hamas vom 07.10.2023 darstelle; Israel sei ein Apartheid- und Unterdrückerstaat, der der eigentliche Täter in der nahöstlichen Tragödie sei“.
Diese Darstellung belegt die Stadt nicht mit Zitaten aus der Erklärung des Friedensratschlags, sondern sie folgert ihre Behauptung aus Interpretationen, die sie auf Basis ihres Verständnisses der Erklärung aufstellt.
Die Erklärung des Bundesausschusses geht zwar in der Tat nicht explizit auf die Gräueltaten der Hamas-Kämpfer vom 7. Oktober ein, aber das tun auch andere weltweit anerkannte Texte nicht, so die von der UNO-Generalversammlung kürzlich angenommene Resolution für eine sofortige Waffenruhe im Gazastreifen. Die Cancel-Kultur in Deutschland überschreitet aktuell die Hemmschwelle der De-Legitimierung der Friedensbewegung, wie das im Kontext des Ukraine-Krieges schon begonnen hatte, als Olaf Scholz von „gefallenen Engeln aus der Hölle“ und Wolf Biermann sowie andere von ‚Schein-‚ oder gar ‚Lumpenpazifisten‘‚ oder auch ‚Second-hand-Kriegsverbrechern‘ sprachen.
Hier folgen die Stellen der inkriminierten Erklärung des Bundesausschusses Friedensratschlag, auf die die Stadt Bremen interpretierend Bezug nimmt:
„Der Angriff hat eine Vorgeschichte, die in der völkerrechtswidrigen Besatzungspolitik israelischer Regierungen seit 1967 zu suchen ist und immer wieder zu Gewaltausbrüchen zwischen den Konfliktparteien führte. Versuche, den Konflikt durch eine Zwei-Staaten-Lösung zu entschärfen, wurden von israelischer Seite wieder und wieder blockiert.
Entwicklungen, die eine Annäherung von einzelnen arabischen Staaten und Israel anbahnen und die Interessen der Palästinenser dabei übergehen, sowie die gewaltsame Besatzungspolitik der derzeitigen rechtsradikalen Netanjahu-Regierung, die seit Jahresbeginn etwa 300 palästinensische Todesopfer im Westjordanland forderte, bilden den provokatorischen Hintergrund für den Angriff aus dem Gazastreifen auf israelisches Territorium.
Erst am Vorabend des Angriffs hatten israelische Siedler zum wiederholten Mal und unter dem Schutz der Armee die Kleinstadt Huwara in einem pogromähnlichen Überfall angegriffen und einen 16jährigen getötet. Der israelische Finanzminister Betalel Smotrich hatte angekündigt, die Stadt auslöschen zu wollen. Ohne die Asymmetrie von Gewalt und Gewaltanwendung in diesem Konflikt zu benennen und zu bekämpfen, wird eine Lösung nicht möglich sein…“
Terror und strukturelle Gewalt
Die Erwähnung der Tatsache, dass der Hamas-Terror vom 7. Oktober eine Vorgeschichte hat, stellt zum einen keine Unterstützung der Verbrechen dar, sie diffamiert auch niemanden, auch nicht den Staat Israel. In Israel regiert seit der Ermordung des friedensorientierten Ministerpräsidenten Israels Itzak Rabin 1995 Netanjahu, dessen Machtpolitik selbst rechtsextreme Minister einbezieht. Hier ein Zitat aus dem ZDF-Beleg-Dokument als Beweis:
„Hinzu kommen geplante Neuregelungen, die dem möglichen Sicherheitsministers Itamar Ben Gvir, Chef der ultrarechten Partei Jüdische Kraft, die Befehlsgewalt über die Grenzpolizei auch im Westjordanland und Ost-Jerusalem geben würde. Ihm wurde wiederholt vorgeworfen, dass er Spannungen mit den Palästinensern anheize.
Die israelische Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Miara verurteilte die geplanten Gesetzesreformen der künftigen Regierung scharf. Das von der Regierung angestrebte Vorhaben gefährde das demokratische System im Land.“
Die Besatzungspolitik der Regierung Netanjahu, die mit dem Friedensabkommen, das Itzak Rabin ausgehandelt hatte, bricht, verstößt natürlich gegen das Völkerrecht, wie z.B. die Resolution 242 des Weltsicherheitsrates von 1967. Darin hieß es, die israelische Armee müsse sich „aus Gebieten, die … besetzt wurden,“ zurückziehen und zwar unter der „Achtung und Anerkennung der Souveränität, territorialen Unversehrtheit und politischen Unabhängigkeit eines jeden Staates in der Region und seines Rechts, innerhalb sicherer und anerkannter Grenzen frei von Androhung oder Akten der Gewalt in Frieden zu leben“.
Diese Verpflichtung zu verletzen, ist bereits ein Ausdruck von struktureller Gewalt. Der Bundesausschuss Friedensratschlag kritisiert die Handlungen der Netanjahu-Regierung, ohne dass er sich dabei der Israelfeindlichkeit schuldig macht. Die Aussage, ohne „die Asymmetrie von Gewalt und Gewaltanwendung in diesem Konflikt zu benennen und zu bekämpfen, wird eine Lösung nicht möglich sein“, trifft auch die Interessen der Menschen, die in Israel leben, denn sie haben wie alle Menschen das Bedürfnis, in Sicherheit für sich und ihre Familien eine perspektivreiche Zukunft aufzubauen. Dies wird ohne eine Lösung der Krisen, die der Eskalation zugrunde liegen, ohne Kompromisse, die die Interessen aller Seiten mit einbeziehen, unmöglich sein.
Wer Frieden will, muss Kompromisse finden
Die Diffamierung der Friedensbewegung, wie sie von der Stadt Bremen exerziert wird, untergräbt die Demokratie hierzulande, sie stärkt die auf militärische Macht statt auf Lösung setzenden Kräfte und sie diffamiert jene, denen der unberechtigte Vorwurf gemacht wird, sie seien es, die diffamieren. Das Bestreben der Friedensbewegung, statt mit Gewalt mit Diplomatie – wie es Itzak Rabin und Yassir Arafat zuwege gebracht hatten – Konflikte zu vermeiden und zu lösen, ist die Antwort auf viele Weltkonflikte. Dazu gehört auch der Konflikt um die NATO-Mitgliedschaft osteuropäischer Staaten inklusive der Ukraine, die mit internationalem Recht bricht und die zur Vorgeschichte der Kampfhandlungen in ukrainischen Regionen unweit der russischen Westgrenze gehören.
Wer den Frieden will, hat angesichts dieser Zusammenhänge die Aufgabe, eine einseitige Parteinahme zu vermeiden, und er muss auf dem Weg zu Kompromissen Lösungen für die Konflikte finden, die als dessen Vorgeschichte dem Töten und Zerstören zugrunde liegen.
Titelbild: Fabian Junge/shutterstock.com