Seit Februar 2023 verfasst der ukrainische Oppositionelle und Jurist Maxim Goldarb (Union der Linken Kräfte) regelmäßig unter der Rubrik „Stimmen aus der Ukraine“ für die NachDenkSeiten Artikel zur Lage in seiner Heimat. Er schrieb unter anderem über Korruption im Verteidigungsministerium, zunehmende totalitäre Tendenzen sowie die Verfolgung jeder Art von linker Opposition. Kurz nach seinem letzten Artikel auf den NDS durchsuchte der ukrainische Geheimdienst seine Wohnung in Kiew und die Staatsanwaltschaft klagte ihn in Folge wegen „Informationstätigkeiten zugunsten des Aggressors“ an. Dafür drohen ihm bis zu 15 Jahre Haft. Die NachDenkSeiten fragten auf der Bundespressekonferenz, ob der Bundesregierung dieser Fall bekannt sei und wie diese grundsätzlich das aktuelle Vorgehen der ukrainischen Regierung gegen Regierungskritiker bewertet. Aufschlussreich auch die Reaktion gewisser Kollegen in der BPK auf diese Frage. Von Florian Warweg.
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Wie die NachDenkSeiten erstmals am 6. November berichteten, drohen ihrem ukrainischen Gastautor Maxim Goldarb bis zu 15 Jahre Haft wegen angeblicher „Informationstätigkeiten zugunsten des Aggressors“. Über den Fall wurde auch schon von ukrainischen Medien wie beispielsweise der Ukrajinska Prawda berichtet.
Dort wird ihm unter anderem mit Verweis auf die Aussagen der Kiewer Staatsanwaltschaft vorgeworfen, dass er „aktiv“ ukrainische Behörden kritisiere und den aktuellen Weg der Entwicklung der Ukraine hinterfrage. Auch auf der offizielle Seite des ukrainischen Inlandsgeheimdienstes SBU sowie auf der offiziellen Facebook-Seite der Staatsanwaltschaft Kiews wird über den Fall berichtet.
Neben der Veröffentlichung von Artikeln werden ihm auch Aussagen auf seinem YouTube-Kanal zur Last gelegt:
„Auf seinem eigenen YouTube-Kanal veröffentlicht der Angeklagte auch manipulative, verzerrte Informationen über Ereignisse und historische Fakten im Zusammenhang mit der Ukraine, fördert Thesen der russischen Propaganda über die gemeinsame Geschichte und Helden, kritisiert aktiv die Behörden und verurteilt den aktuellen Entwicklungsweg der Ukraine.“
Vor diesem Hintergrund fragten die NachDenkSeiten auf der Bundespressekonferenz nach, ob der Bundesregierung der Fall Maxim Goldarb bekannt sei und wie sie allgemein das aktuelle Vorgehen der ukrainischen Regierung gegen regierungskritische Politiker und Journalisten einschätzt. Ebenso wollten die NachDenkSeiten wissen, wie es Kanzler Scholz bewertet, dass alle potenziellen Schwesterparteien der SPD in der Ukraine verboten sind und ob er sich für eine Aufhebung dieser Parteiverbote einsetzt:
Hintergrund zum Verbot linker Parteien unter Selenskyi und zur Einordnung der Suggestivfrage des Kollegen Tilo Jung
Im März 2022 erfolgte auf Grundlage eines Präsidenten-Dekrets das Verbot von 11 fast ausnahmslos linken Parteien, unter anderem der „Linken Opposition“, der „Progressiven sozialistischen Partei der Ukraine“, der „Sozialdemokratischen Partei der Ukraine“ sowie der „Union der linken Kräfte“. Im weiteren Verlauf wurde dann auch die Tätigkeit der sozialdemokratisch ausgerichteten und mit Abstand größten ukrainischen Oppositionspartei „Oppositionsplattform für das Leben“ verboten. Bei den Parlamentswahlen 2019 hatte diese 44 Mandate geholt und ausgerechnet in Kriwij Rig, der Heimatstadt des amtierenden ukrainischen Präsidenten, hatte im Dezember 2020 Konstantin Pawlow von der Oppositionsplattform die Wahlen zum Bürgermeister der Stadt haushoch gewonnen. Sehr zum Missfallen von Selenskyi.
Die Frankfurter Rundschau (FR) titelte dazu Anfang April 2022 „Kritik an Selenkyjs Verbot unliebsamer Parteien“. Im Artikel heißt es unter anderem, es stände der Vorwurf im Raum, „Selenskyj nutze den russischen Angriffskrieg als Vorwand, um gegen linke Parteien vorzugehen“. Die FR befragte in diesem Zusammenhang den Soziologen Volodymyr Ishchenko vom Osteuropa-Institut der Freien Universität, der frei heraus verkündet:
„Die Ukraine hat eine Geschichte des Verbietens wichtiger linker Parteien“
Weiter wird dann ausgeführt, dass Parteienverbote in der Ukraine „nichts Neues“ wären und ja bereits 2015 drei linke Parteien permanent verboten worden sein, darunter auch die größte kommunistische Partei.
Gegenüber der taz erklärte der Soziologe vom Osteuropa-Institut der FU, ebenfalls befragt zu der Verbotswelle gegen linke Parteien in der Ukraine:
„In Deutschland hat man noch nicht begriffen, in welchem Umfang man in der Ukraine die Freiheit einschränkt.“
So viel zur Einordnung der Frage des Kollegen Tilo Jung und der von ihm suggerierten „Falschinformation“ hinsichtlich des massiven Verbots fast ausschließlich linker Parteien in der Ukraine.
Protokollauszug aus der Bundespressekonferenz vom 8. November 2023:
Frage Warweg
Auch zum Großthema Ukraine. Maxim Goldarb, ukrainischer Oppositioneller, dessen Partei „Union der Linken Kräfte“ im Juni 2022, wie alle anderen linken Parteien auch, verboten wurde, ist wegen Informationstätigkeiten zugunsten des Aggressors angeklagt worden. Ihm drohen bis zu 15 Jahre Haft. Zuvor war seine Wohnung vom ukrainischen Inlandsgeheimdienst SBU durchsucht worden. Hintergrund ist, dass er zuvor, unter anderem auch auf den NachDenkSeiten Artikel veröffentlicht hat, die sich mit der Korruption im Verteidigungsministerium und zunehmend autoritären Strukturen im Regierungsapparat befassten. Ist der Bundesregierung dieser Fall bekannt? Wie bewertet sie grundsätzlich das aktuelle Vorgehen der ukrainischen Regierung gegen regierungskritische Politiker und Journalisten?
Stellvertretende Regierungssprecherin Hoffmann
Zu dem konkreten Fall kann ich jedenfalls nichts sagen.
Aber wir nehmen grundsätzlich wahr, dass die Ukraine sich dafür einsetzt, dass Korruption im Land bekämpft wird und dieses Thema offen und offensiv auch von sich aus angeht. Wir haben, was das demokratische Klima angeht, durchaus Vertrauen in die ukrainischen Behörden und die ukrainische Regierung.
Zusatzfrage Warweg
Zum einen war die Frage nicht beantwortet, wie Sie derzeit die Verfolgung von regierungskritischen Politikern und Journalisten (im Originalprotokoll fälschlicherweise mit Polizisten wiedergegeben, FW) bewerten.
Ich hatte ja schon erwähnt, dass unter Selensky wirklich alle linken Parteien in der Ukraine verboten wurden, im Gegensatz etwa zur rechtsradikalen Swoboda-Partei, die als eine von zwei Oppositionsparteien überlebt hat. Mich würde interessieren: Wie bewertet es eigentlich Kanzler Scholz, dass alle potenziellen Schwesterparteien der SPD in der Ukraine verboten sind? Setzt er sich bei entsprechenden Regierungskonsultationen für die Aufhebung dieser Parteiverbote ein?
Hoffmann
Zu dem Thema habe ich mich mit ihm nicht beraten. Sehen Sie es mir nach.
Zusatz Warweg
Dazu können Sie ja sicher etwas nachreichen.
Frage Jung
Kurz zurück zu der Parteienfrage in der Ukraine. Frau Deschauer, bisher gibt es nur eine Verbotsmöglichkeit von Parteien in der Ukraine, die prorussisch sind und die territoriale Integrität der Ukraine gefährden. Ist Ihnen darüber hinaus ein Verbot oder eine Verbotsmöglichkeit anderer Parteien bekannt, wie hier suggeriert wurde?
Deschauer (AA)
Dazu kann ich ad hoc nichts sagen.
Zusatzfrage Jung
Können Sie das nachreichen?
Deschauer (AA)
Gegebenenfalls. Wenn wir dazu etwas sagen können, wie immer sehr gerne.
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Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 08.11.2023