Mecklenburg-Vorpommern: Ein Scheinsieg für die SPD, ein Debakel für Schwarz-Gelb
Zweitbestes Prozentergebnis für die SPD, schlechtester Wahlausgang für die CDU im Heimatland der Kanzlerin, die Linke stabilisiert sich, die FDP stürzt ab, die Grünen sind nun auch in das sechzehnte Länderparlament eingezogen und die rechtsradikale NPD marschiert erneut in den Landtag von Schwerin ein. Nur noch die Hälfte der Mecklenburger und Vorpommern ging zur Wahl. Die Enttäuschung über die mit der friedlichen Revolution errungene Demokratie nimmt bedrohliche Formen an. Obwohl das strukturschwache MeckPomm eine aktive Finanzpolitik zur Ankurbelung seiner Wirtschaft dringend brauchte, setzt der „Wahlsieger“ Erwin Sellering (SPD) weiter vor allem auf seine Sparpolitik. Eine zwar kleinere Große Koalition von SPD und CDU ist deshalb wahrscheinlich. Andere Ziele des Wahlprogramms der SPD, die mit der Linkspartei durchsetzbar wären, bleiben wohl uneingelöste Wahlversprechen. Von Wolfgang Lieb
Die SPD hat mit 35,8 % in Mecklenburg-Vorpommern ihr zweitbestes Ergebnis erzielt, die CDU im Landesverband der Kanzlerin mit 23,1 % (- 5.7 %) ihr schlechtestes. Trotz eines beachtlichen Gewinns von 5,6 an Prozentpunkten hat die SPD absolut weniger Stimmen als 2006. (Im Wahlkreis Rügen I muss allerdings noch nachgewählt werden, doch die knapp 27.000 Bewohner dieses Inselteils werden daran kaum etwas ändern.)
Die Linke hat sich nach ihrem Rauswurf aus der rot-roten Koalition im Jahre 2006 und trotz der innerparteilichen Spannungen mit 18,4 % (+ 1,6%) vor allem auch gegenüber den vorausgegangenen Landtagswahlen wieder etwas erholt. Bei der Bundestagswahl 2009 hatte sie allerdings noch 29 Prozent geschafft. Der Traum vom ersten Ministerpräsidenten in einem Bundesland ist also in weite Ferne gerückt. Der Spitzenkandidat und „Realo“ der Linkspartei, Helmut Holter, konnte seinen Ärger über die Bundespartei nur mühsam unterdrücken.
Die FDP ist mit 2,7% (- 6,9%) wie kaum bei einer andern Wahl in den letzten 50 Jahren abgestürzt. Sie ist bei der vierten Landtagswahl hintereinander aus den Parlamenten gewählt worden und nur noch in 12 Landtagen vertreten. Gerade noch etwas über 18.000 Stimmen hat sie erhalten. Sie ist zur Partei geworden, die üblicherweise nur noch unter die „Anderen“ abgebucht wird. Die Piraten mit über 12.000 Stimmen machen ihr inzwischen Konkurrenz. Der FDP-Landesvorsitzende Christian Ahrendt trat konsequenterweise noch am Wahlabend von seinem Amt zurück. Der „Lieferer“ Philipp Rösler hat sich nicht mehr vor die Mikrofone getraut. Die Demontage seines Vorgängers hat ihm und seiner Partei nichts eingebracht – kein Wunder, wenn nach wie vor eine Mehrheit der Deutschen – was den Militäreinsatz in Libyen anbetrifft – auf der Seite Westerwelles steht. Die Kanzlerin Merkel hat nun in der Bundesregierung einen Koalitionspartner, der wie ein Ertrinkender in Todesangst auch noch seinen Rettungsschwimmer klammern und ihn in die Tiefe ziehen wird.
Schwarz-Gelb zusammen hat fast zwölfeinhalb Prozentpunkte verloren. Die FDP löst sich auf und die CDU musste nach Hamburg, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Bremen „historische“ Niederlagen einstecken. „Die Trendwende in den bundesweiten Umfragen hat sich noch nicht voll und ganz durchgesetzt“, sagte der parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion, Peter Altmaier, am Wahlabend. Die Merkel-CDU leidet offenbar unter dem gleichen Realitätsverlust wie die Schröder-SPD und sieht wie in einer chronischen Sinnestäuschung in jeder Niederlage eine Trendwende.
Die Grünen, die im Nordosten gerade einmal 500 Mitglieder zählen, haben es nun mit 8,4% (+ 5%) in den Landtag geschafft und sind nun in allen 16 Landtagen vertreten. Den größten Zulauf haben die Grünen vor allem von den Selbstständigen mit 14% bekommen, sie haben damit die FDP als ehemalige „Partei der Selbständigen“ abgelöst. „Die bürgerliche Mitte sortiert sich neu“, meinte denn auch der durchaus „bürgerliche“ Parteienforscher Karl-Rudolf Korte. Eine Chance für eine Regierungsbeteiligung bietet sich den Grünen allerdings nicht – auch weil die NPD erneut in den Landtag einmarschieren konnte.
Dass auch diese rechtsextreme Partei mit 6% (- 1,3%) wieder im Schweriner Parlament herumpöbeln kann, ist nicht weiter überraschend, immerhin konnten sich vor der Wahl 9% vorstellen die Neonazis zu wählen. Äußerst beunruhigend ist, dass von den männlichen Erstwählern 17% und 13% der 18- bis 24-Jährigen diese Partei der Ausländerhetzer und Europagegner gewählt haben.
Quelle: ZDF Wahltool (noch mit den vorläufigen Ergebnissen)
Anders als in Sachsen-Anhalt konnten sich CDU, SPD, Grünen, FDP und die Linkspartei in MeckPomm nicht zu einem gemeinsamen Wahlaufruf gegen die NPD durchringen und natürlich hat auch die abermals drastisch gesunkenen Wahlbeteiligung dazu beigetragen, dass der wegen Volksverhetzung vorbestrafte Udo Pastörs und vier weitere seiner dubiosen Mannen erneut in den Landtag am Schweriner See einziehen und Staatsgelder abkassieren können. Es ist geradezu erschütternd und belegt gleichzeitig das Versagen der etablierten Parteien, wenn diese Rechtspopulisten mit sozialen Themen wie Zunahme der Leiharbeit, Jugendarbeitslosigkeit und Abwanderung von Jüngeren bei zutiefst enttäuschten jungen Menschen wildern gehen können.
Mit gerade noch gut der Hälfte der Wahlberechtigten (51,2 %) gingen fast 8 Prozent weniger Wählerinnen und Wähler zur Wahl als vor vier Jahren. Die Enttäuschung über die mit der friedlichen Revolution errungene Demokratie nimmt in den Neuen Ländern bedrohliche Formen an. Diese niedrige Wahlbeteiligung sollte auch die Jubelstimmung der „Wahlsieger“ dämpfen, denn, wie auch immer die künftige Regierung im Schweriner Landtag zusammengesetzt sein wird, sie hat bei einer Großen Koalition von SPD und CDU nicht einmal ein Drittel, bei einer rot-roten Koalition noch viel weniger Zustimmung des gesamten Wahlvolkes.
Anlass zur Sorge geben muss, dass bei 19 der 22 letzten Landtagswahlen die Wahlbeteiligung teilweise dramatisch zurückgegangen ist.
Wie bei den Bürgerschaftswahlen in Hamburg ist es eine Selbsttäuschung, wenn Sigmar Gabriel und Andrea Nahles den „Wahlsieg“ Erwin Sellerings als Sieg des „alten Erfolgsrezepts der SPD“ interpretieren und auf Bundesebene „Morgenluft“ für ihre Partei wittern. Der SPD-Vorsitzende sollte nicht aus den Augen verlieren, dass seine Partei bei den Bundestagswahlen in MeckPomm gerade einmal 16,6% schaffte und dass die SPD im jüngsten Deutschlandtrend bei 28% liegt. Wie die Wahl von Olaf Scholz in Hamburg war auch die Wahl Erwin Sellerings eine Persönlichkeitswahl. Der außerhalb seines Landes nur wenig bekannte amtierende und nun auch künftige Ministerpräsident lag mit seinen Zustimmungswerten nicht nur deutlich vor seiner Partei und mit 74 zu 14% meilenweit vor dem Spitzenkandidaten der CDU Lorenz Caffier.
Wahlstrategisch interessant ist, dass der aus dem Ruhrpott stammende Sellering, obwohl er durch die Medien massiv unter Druck gesetzt wurde und obwohl nach Umfragen 47 Prozent eine Fortsetzung der Großen Koalition für gut halten, eine Koalition mit der Linken im Wahlkampf offen gehalten hat. Das ist ein Indiz dafür, dass zumindest im Osten Deutschlands die „Ausgrenzeritis“ gegenüber der Linkspartei bei den Wählerinnen und Wählern nicht verfängt.
Sellering ist nun in der komfortablen Situation, sowohl mit der CDU als auch mit der Linkspartei eine Koalitionsregierung bilden zu können. Dementsprechend buhlten beide Parteien am Wahlabend um einen Platz am Kabinettstisch.
Die Linke könne (wegen ihrer Forderungen an den Haushalt) nicht rechnen und die CDU könne (wegen ihres Wahlplakats „C wie Zukunft“) nicht schreiben, witzelte Sellering im Wahlkampf. Er kann sich nach diesem Wahlergebnis aussuchen, ob er mit vermeintlich Rechenschwachen oder mit plakatierenden Analphabeten koaliert.
Obwohl das strukturschwache Mecklenburg-Vorpommern sowohl bei der Wirtschaftsleistung je Einwohner als auch bei den verfügbaren Einkommen und damit bei der Steuerkraft die rote Laterne unter allen 16 Bundesländern trägt, rühmte sich Sellering auch noch am Wahlabend vor allem damit, dass er in der vergangenen Legislaturperiode als einziges Land keinerlei Nettokredite für den Landeshaushalt aufgenommen habe. Da diese finanzpolitische Abstinenz in der Wirtschaftspolitik trotz hoher Arbeitslosigkeit, prekärer Arbeit und massiver Abwanderung junger Menschen offenbar ein zentrales Ziel auch seiner künftigen Regierung sein soll, kann man mit einiger Sicherheit eine Koalition mit den Rechtschreibschwachen von der CDU vorhersagen. Ob die SPD damit ihr sonstiges Wahlprogramm (z.B. Schaffung von Arbeitsplätzen, längeres gemeinsames Lernen, Mindestlöhne) umsetzen kann, dürfte wohl wie bei vielen Vorankündigungen der SPD vor Wahlen wieder einmal von nachrangiger Bedeutung sein.
Gleichwohl hätte es Sellering vermutlich mit dem „Pragmatiker“ unter den Linken, Helmut Holter, sogar leichter, zu regieren, denn nahezu alle CDU-Politiker, die am Wahlabend zu Wort kamen, führten die Wahlniederlage ihrer Partei darauf zurück, dass die Christdemokraten gegenüber der Regierungspartei SPD in der letzten Legislaturperiode zu wenig Profil zeigten. Holter dürfte da sicherlich viel „pflegeleichter“ sein.
Beängstigend für die bundespolitische Entwicklung waren die Einlassungen zur Euro-Krise von Hermann Gröhe (CDU), Alexander Dobrindt (CSU) und vor allem von Christian Lindner (FDP) in der sog. „Generalssekretärsrunde“ in der ARD. Besonders die FDP scheint ihren Rettungsanker in nationalistischem Gebaren gegen die am meisten betroffenen Krisenländer zu suchen. Eurobonds wurden als „Gemeinschaftsschulden“, die uns alle arm machten und die den Südländern nur die Verschuldung erleichterten vom Tisch gefegt. Der um sich greifende Chauvinismus blockiert jede ökonomische Vernunft. Wenn die NPD mit in der Diskussionsrunde gesessen hätte, dann hätten sich die Braunen vermutlich angesichts dieses nationalistischen Gebarens der Schwarz-Gelben die Hände gerieben.