Vorübergehend geschlossen – wenn der Kampf für das tägliche Brot verloren ist

Vorübergehend geschlossen – wenn der Kampf für das tägliche Brot verloren ist

Vorübergehend geschlossen – wenn der Kampf für das tägliche Brot verloren ist

Ein Artikel von Frank Blenz

Brot. Das einfache wie geniale Gebäck ist unser liebstes, wichtigstes Lebensmittel. Unser täglich’ Brot. Diesen Laib in einer Bäckerei zu kaufen, gehört zu den schönsten wie unscheinbarsten Erlebnissen im Alltag. Dank gebührt denen, die uns das Brot backen und anbieten – den Frauen und Männern in den Bäckereien, in den Backstuben und Läden. Doch diese wichtigen Menschen weichen, sie sind bedroht, sie werden weniger und weniger. Gerade schloss wieder ein Bäcker gleich bei mir um die Ecke – „vorübergehend“, wie es an der Ladentür geschrieben stand. Doch es wird vielleicht für immer sein, wenn sich kein Weg findet, was nicht die Schuld der Bäckersleut’ ist, wie ich beobachte, wie ich finde. Es ist die unserer Gesellschaft. Ein Aufsatz von Frank Blenz.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die Leute reden

„Der Kuchen hat eh nicht so besonders geschmeckt.“ „Ich kaufe lieber mein Brot woanders.“ „Voriges Jahr hat der ja schon mal zumachen müssen wegen Mäusen in der Produktion.“ Bei all den Wortfetzen, die ich bei Passanten über den Bäcker hörte, der gerade seinen Betrieb einschließlich seiner Filialen dichtmachen musste, bei all diesem latenten Sarkasmus hörte ich nicht, dass es auch andere Gründe geben könnte, die ihn zur Aufgabe zwangen. Zunächst: Das Brot und der Kuchen schmeckten stets sehr gut. Dass jemand aufgibt, liegt wohl daran, dass er nicht mehr kann, weil er die Lasten, die Kosten, diese ganzen Verpflichtungen nicht mehr stemmen kann und will, zum Beispiel. Wir leben in einer fortwährend rohen Zeit, ein Laden, ein Unternehmen schließt, so gehen wir halt zum nächsten. Und überhaupt, man hat ja selbst seine eigenen Probleme. Ich kam ins Grübeln. Nach vielen Jahren soll Schluss sein, und ein traditionsreicher, regionaler Familienbetrieb ist Geschichte.

Wenn das Brot seinen Hersteller nicht mehr ernährt

Was ist nur geschehen? Meine Gespräche mit Bäckern, Konditormeistern offenbarten stets die gleiche Not: Die Stromrechnung – nur ein Beispiel – lässt einen schwindelig werden. Ich sah bei einem Freund – einem Bäcker – eine solche Rechnung mit vergleichenden Zahlen der alten und der neuen Rechnung. Ohne Worte! Wie kann der Bäckermeister, der Chef, der, der auch die Bücher führen muss, weiter die Gehälter zahlen, die Lehrlinge ausbilden und motivieren – wie kann der diese gestiegenen Forderungen einzig bedienen? Und dabei selbst noch verdienen? Allein, indem er mehr für Brot und Semmeln, für Kuchen und Torten, für Kaffee und Tee verlangt, könnte man meinen. Doch was passiert? Das Publikum reagiert sauer wie der Sauerteig. „Für so ein Stück Kuchen 20 Cent mehr zu berappen, das ist doch unverschämt.“ Statt Umsatzsteigerung folgt entsprechend Umsatzeinbruch oder mindestens Stagnation. Überall ist zu sehen: Die Leute halten ihr Geld zusammen, sie können mitunter ebenfalls wie der Bäcker nicht mehr ausgeben, weil sie nicht mehr einnehmen, weil für viele Leute schon in der Mitte des Monats Ebbe in der Geldbörse ist. Viel Monat, wenig Euro. Mir kommt die Frage: Wie wäre es, wenn die Preise für Energie und und und endlich aktiv gesenkt werden?

In meiner nun geschlossenen Bäckerei um die Ecke, genauer ist diese eine Konditorei mit Café, wird mich meine Lieblingsverkäuferin nicht mehr nach meinem Kaufwunsch fragen, mit mir scherzen, eine charmante Äußerung aussprechen, lächeln, mir einen schönen Tag wünschen und mir wie in einer Filmszene sagen: „Wir bedanken uns sehr.“ Auch ist der Besuch des kleinen Lokals Geschichte, sich hinsetzen, bestellen, Zeitung studieren. Das kleine Café ließ die Besucher, auch mich, stets auch eine kleine Reise unternehmen, im Stil war es ein wenig dem eines französischen Bistros nachempfunden, mit atmosphärisch schönen Fotos von Straßenszenerien in Paris. Bei aller Freude kam auch Beunruhigung auf: Die Zeitung schlägt sich in diesen Zeiten große Sorgen bereitend auf, man liest von Bombendrohungen in Schulen, Verfolgungsjagden zwischen Bundespolizei und Schleuserbanden, Flüchtlingswellen, Pleitewellen, satten Mieterhöhungen, Preisschocks, Entlassungen und Aussortierung von Menschen, von Persönlichkeiten, die von ihrem Recht der Meinungsfreiheit Gebrauch machen, von Kriegen, ausufernder Rüstung. Und von Lobeshymnen der Regierenden auf sich und den Patriotismus. Ich, der Leser, spüre Wut und Ohnmacht. Man liest nicht nur davon, man ist betroffen, bis in die kleine Stadt, in der ich lebe.

Vorbei

Der Sog der gemachten Dauerkrise hat meinen Bäcker erreicht. Ein Lebenswerk ist plattgemacht. Der Bäcker betrieb mehrere Filialen. Eine davon befand sich in meiner Heimatstadt Plauen in der großen, zentralen Einkaufsmeile mitten in der Altstadt. Mit Einkehr und Außenbereich. Mit ordentlichem Frühstück und Mittagsangebot. Moderate Preise. Vor ein paar Jahren wagte dieser Unternehmer sogar ein weiteres, anspruchsvolles Projekt: ein gastronomisches Kleinod im Zentrum der Stadt direkt in attraktiver Verbindung mit einem der Wahrzeichen der Vogtlandmetropole: dem Nonnenturm. Das Bauwerk ist eines der ältesten, ein Teil der ehemaligen Stadtmauer. Nicht nur Kaffeebetrieb und Verkauf waren Tagesgeschäft, auch schöne Tanzabende, Konzerte und Feiern wurden hingebungsvoll organisiert. Eine Bereicherung war all dies für die Innenstadt, für das kulturelle Leben, für uns Bürger. Doch der Kostendruck war schließlich wohl damals genauso wie heute der Grund, das Kleinod am Nonnenturm wieder zu schließen, damals Alternativen zu suchen und diese auch zu finden. Diesmal gelang das nicht mehr. Übrigens ist ein anderes Unternehmen am Nonnenturm eingezogen – eine Bank.

Wann halten wir inne und wenden uns einem friedlichen Leben zu?

Im Bäckerladen sitzen, Kaffee schlürfen und über die Welt sinnieren, bei meinem Bäcker ist das Geschichte. Die Gedanken kreisen weiter über soziale Gerechtigkeit und sind voller Sorgen wegen des Militarismus, wegen der Kriege, für die penetrant um Begeisterung und Verständnis geworben wird. Wann halten wir inne und wenden uns einem friedlichen Leben zu? Sozialabbau und eine Spirale bei den Preisen, die lediglich die nicht betrifft, die sie schneller drehen lassen, sind nicht friedlich. Beim Bäcker stehen Erhöhungen nicht nur in Sachen Energie auf der Tagesordnung, das Mehl wird teurer, die Zutaten, die Gewürze, das Benzin. Wenn man als mittelständischer Unternehmer Filialen betreibt, müssen diese mit den Waren aus der zentralen Backstube per LKW beliefert werden. Das Lastenfahrrad taugt dazu eher nicht.

Einer der genannten Spiralendreher, ein Minister, sieht die ganze Katastrophe komischerweise eher als Chance oder beschwichtigt im Wissen um das unternehmerische Geschick, den Biss der Leute an der Basis. ER weiß um das Können derer, die den Laden trotz derer am Laufen halten, die ihnen Steine in den Weg legen, die verhindern, die, sagen wir es direkt, schlecht regieren. Dieser Minister, Herr Habeck, hatte den Humor, auf steigende Preise etwa in Bäckereien hinzuweisen. Der Politiker sagte in einer dieser ätzenden, überflüssigen TV-Talkshows wörtlich: „Und dann werden – das sehen wir ja jetzt überall, dass in Läden, die darauf angewiesen sind, dass die Menschen Geld ausgeben, Blumenläden, Bioläden, Bäckereien gehören dazu, dass die wirkliche Probleme haben, weil es eine Kaufzurückhaltung gibt. Und dann sind die nicht insolvent, automatisch, aber sie hören vielleicht auf zu verkaufen.“ Und wie es sich in diesem traurigen Schauspiel gehörte, widersprach Moderatorin Maischberger, als stünde sie auf der richtigen Seite: „Wenn ich aufhöre zu verkaufen, dann verdien‘ ich kein Geld mehr. Dann muss ich die Insolvenz anmelden. Nach zwei Monaten, wenn ich’s nicht getan habe, hab´ ich Insolvenzverschleppung.“ Die TV-Show ging zu Ende. Draußen im wahren Leben wird mehr und mehr „Ende“ gesagt. Was macht der Minister? Man kann Negatives, das ist in unserem Land übrigens eine ganz spezielle Kommunikationsdisziplin, dennoch positiv „rüberbringen“: Der Laden ist nicht dicht, der Laden hat nur für immer geschlossen.

Der Ofen bleibt heiß

In diesem NDS-Beitrag zeigte sich ein Meister der Backkunst aus meiner Stadt kämpferisch. Er berichtete mir über die Sorgen der Zunft, über die Probleme, über die Veränderung auch der Arbeitswelt und der Lebensplanungen der Menschen. Richtig ist, dass der Beruf Bäcker ein schwerer ist, dass „traditionelle“ Arbeitszeiten nicht jedermanns Sache sind. Er lässt nicht gelten, dass man deswegen keine Arbeitskräfte findet, das Wort „Fachkräftemangel“ gern in den Mund genommen wird und im Übrigen alles nicht so schlimm sei, man müsse nur der Verweichlichung der Gesellschaft entgegenwirken. Arbeit ist halt kein Ponyhof oder so. Mein Bäcker-Freund, der kämpferisch sagt, dass sein Ofen heiß bleibt, hat ein gutes Team um sich, er hat sogar Azubis. Der Unternehmer und seine Mitarbeiterschaft haben sich die Arbeitszeiten, die Geschäftszeiten so eingerichtet, dass jeder im Geschäft gut damit leben kann. Aus „traditionell“ entwickelt sich ein moderner, zeitgemäßer Arbeitsalltag. Und ja, in der Krise legt der Chef selbst derzeit noch eine Schippe drauf und arbeitet mehr, um diese schwierige Phase zu meistern. Der Bäcker macht sich täglich Sorgen um sich, seine vielen Kollegen und all ihre Mitarbeiter, er gibt sich kämpferisch, denn seine Berufung, Unternehmer zu sein, käme ja von etwas unternehmen. Was er von den Entscheidungsträgern der Politik verlangt, das ist Sicherheit und Planbarkeit. Bäckereien stellen Grundnahrungsmittel her, sie sind – das Wort wurde schon mal inflationär wie ergebnislos genannt – systemrelevant.

Landauf, landab Abschiede, Tränen – wann ist damit Schluss?

Beim Kaffeetrinken daheim sammelte ich Nachrichten und Geschichten über Bäckereien, die schließen mussten. Deren Zahl wuchs und wuchs. Insolvenzen sind an der Tagesordnung. Bei einem Post in den sozialen Medien kam in mir Wut und Trauer hoch. Ich las:

„„Bei unseren Kunden bedanken wir uns für eure Treue und eure mitfühlenden Worte in der letzten Zeit. Es tut vielen weh, dass wir schließen müssen“, schreibt das Unternehmen. Auch der Abschied von den treuen Kolleginnen und Kollegen fiel schwer, sie hätten „zusammen geweint“. Ein emotionales Dankeschön: „Ohne euch hätten wir das alles in den letzten Jahren nicht geschafft.““

Ich denke an den NDS-Artikel „Das Glück des Bäckers…“. Der Bäcker fragte darin: Warum werden Banken gerettet, Bäcker nicht? Wieso stellt sich nicht die Frage, dass man seine Arbeit, sein Brot, subventionieren, also unterstützen, fördern sollte und somit unter Schutz stellen würde? Unternehmerischer, handwerklicher Stolz hin und her – andere, härtere Kapitalisten, Teilnehmer der Marktwirtschaft, unserer Welt des „Jeder ist seines Glückes Schmied”-Rennens – nimmt mit vollen Händen, voller Cleverness Förderungen, Subventionen, Steuererleichterungen, das Ausrollen des roten Teppichs des Staates in seine Kalkulation und Spekulation auf. Man schaue mal auf internationale Konzerne. Man schaue auf Milliardäre. Bäcker, kleine Handwerker verdienen ebenso Förderung und Beachtung – nicht nur die der Kundschaft, die zu ihnen steht.

Und wieder Tränen. Dann passierte das: „30 Jahre hatte Papa ohne freie Wochenenden gearbeitet.“ Er verlor alles, als er alles riskierte und als gemachter Mann und Unternehmer ein riskantes Investment tätigte. Die Großbäckereipläne, die Max’ Vater schließlich auf den Weg brachte, konnte er nicht erfolgreich verwirklichen, ja, er machte eigene Fehler, aber ja, ihm wurden nicht die Geduld und Unterstützung zuteil, die große Unternehmen bekämen. Insolvenz. Tränen. Der Sohn sah seinen Vater weinen.

Es ist längst an der Zeit, dass nicht mehr geweint werden muss.

Titelbild: Jack Frog/shutterstock.com

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