Die Agenten des Verfassungsschutzes sollen künftig die Befugnis bekommen, Privatpersonen heimlich zuzuflüstern, dass jemand in ihrem Umfeld politisch „radikal“ sei, wie Medien berichten. Also auch Vermietern, Familienmitgliedern, Bekannten, Lehrern, Sporttrainern oder Arbeitskollegen. Dieses Vorhaben ist skandalös. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
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Über das Gesetzesvorhaben hat aktuell die Süddeutsche Zeitung (SZ) unter dem Titel „Lizenz zum Anschwärzen“ berichtet: Wenn beispielsweise ein Muslim, den das Bundesamt für islamismusverdächtig hält, sich um eine Wohnung bemüht – dann sollen die Agenten sich an den potenziellen Vermieter und sogar an Familienmitglieder, Arbeitskollegen oder Bekannte wenden dürfen, um ihren Verdacht dort zu streuen, so der Bericht. Das Vorhaben würde aber mutmaßlich nicht nur den Bereich des Islamismus betreffen.
Die Pläne würden in einem Gesetzentwurf des Bundesinnenministeriums für eine Reform des Bundesverfassungsschutzgesetzes stehen, den das Kabinett bereits gebilligt habe, so die SZ. Im November soll er im Bundestag zur Abstimmung kommen. Der Gesetzentwurf würde es dem Inlandsgeheimdienst nach Ansicht von Fachleuten ermöglichen, sich weitaus stärker in der Gesellschaft einzumischen: Auch Lehrer oder Sporttrainer sollen die Agenten demnach ansprechen und diskret auf einen Verdacht gegen einen Menschen hinweisen dürfen – solange es irgendwie der „Deradikalisierung“ diene, oder auch, solange es irgendwie helfe, „das Gefährdungspotenzial zu reduzieren“. So umfassend solle es künftig in Paragraf 20 des Gesetzes stehen, berichtet die SZ.
Die Betroffenen können sich nicht verteidigen
Die bisherige Regelung sei folgendermaßen: Das Bundesamt für Verfassungsschutz dürfe und solle die Polizei informieren, wenn es auf konkrete Kriminalität oder Gefahren stoße. Solange der Geheimdienst aber „nur“ auf politische Meinungen stoße, die gegen kein Gesetz verstoßen, müsse er grundsätzlich schweigen – und dürfe Individuen nicht in der Gesellschaft an den Pranger stellen.
Die Agenten dürften ihre Einschätzungen laut Paragraf 19 bisher nur dann – ausnahmsweise – anderen Bürgern zuflüstern, wenn sie dafür eigens eine Genehmigung aus dem Innenministerium einholen, so der Bericht weiter. Dies ginge auch nur, soweit es nötig sei „zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes oder der Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder zur Gewährleistung der Sicherheit von lebens- oder verteidigungswichtigen Einrichtungen“.
Diese (zu Recht!) hohe Hürde wolle die Ampelregierung nun offenbar „wegräumen“, sagt der Kölner Fachmann für Nachrichtendienstrecht Nikolaos Gazeas der SZ: „Das ist eine große Änderung.“ Vor dem Hintergrund, dass ein Nachrichtendienst weit im Vorfeld einer konkreten Gefahr tätig werden dürfe, bestehe die Gefahr, dass er bei Gesprächen mit Familienangehörigen auch Halbgares verbreite, warnt der Jurist. Zudem würden die Betroffenen gar nicht erfahren, was hinter ihrem Rücken gesprochen werde. Sie könnten sich also nicht verteidigen.
„Ausweitung der Befugnisse“ statt höherer Hürden?
Hintergrund der aktuellen Gesetzespläne ist laut den Medienberichten ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von April 2022. Die Karlsruher Richter hatten darin den Freistaat Bayern ermahnt und erklärt: Wenn der Inlandsgeheimdienst seine Einschätzung, dass eine Person zum Beispiel rechtsextrem oder ein „Querdenker“ sei, allzu freigiebig anderen Stellen übermittle, verletze dies das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Es brauche hier präzisere Regeln, höhere Hürden, so die Richter laut SZ.
Doch anstatt diese bedrohte informationelle Selbstbestimmung der Bürger stärker zu schützen, soll das Urteil nun mutmaßlich genutzt werden, um das Gegenteil zu praktizieren. In dem SZ-Artikel sagt Mark Zöller von der Ludwig-Maximilians-Universität: „Anstelle der aus Karlsruhe intendierten Einschränkungen der Datenübermittlungen“ plane das Haus von Innenministerin Nancy Faeser eine „Ausweitung der Befugnisse“.
Es gibt auch Kritik aus der Ampelkoalition. Konstantin von Notz (Grüne) – Fraktionsvize und Vorsitzender des Geheimdienst-Kontrollgremiums im Bundestag – habe insbesondere den Plan moniert, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz recht freihändig auch Privatpersonen mit seinen Einschätzungen versorgen solle, das sei „juristisch so schlicht nicht haltbar“. Konstantin Kuhle (FDP), der ebenfalls zum Geheimdienst-Kontrollgremium gehört, sagte laut SZ: „Die Nachrichtendienste dürfen Dinge, die andere Behörden nicht dürfen. Deswegen gibt es in Deutschland das Trennungsprinzip, das Trennungsgebot zwischen Nachrichtendiensten und Polizei.“
Kritiker sind „Feinde der Demokratie“
Das Vorhaben ist meiner Meinung nach skandalös und gefährlich, es wird von vielen Medien nicht angemessen aufgegriffen. Vielleicht gibt es Bürger, die dem neuen Gesetz Toleranz entgegenbringen würden, wenn seine Folgen etwa „nur“ militante Islamisten treffen sollten. Hier sei aber betont, dass eine Praxis, Bürger als radikal zu verleumden, ohne dass diese Einschätzung etwa für ein Gerichtsurteil angemessen geprüft wurde, in allen Bereichen (auch beim Islamismus) höchst fragwürdig wäre.
Zentral wird die Frage sein, wer und unter welchen Kriterien von wem als „radikal“ gebrandmarkt werden kann – und wer anschließend aus diesen Gründen seiner informationellen Selbstbestimmung beraubt und im privaten Umfeld verleumdet werden darf, ohne dass er davon erfährt. Das nun geplante Gesetz wird, wenn es einmal eingeführt ist, auf lange Sicht sehr wahrscheinlich auch Bürger treffen, die einfach nur der Bundesregierung kritisch gegenüberstehen. Es wird ja bereits versucht, Kritiker der Bundesregierung als „Feinde der Demokratie“ abzustempeln.
Titelbild: Stokkete / Shutterstock
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