Disput zu Flassbecks Beitrag
Unser Nutzer Adrian widerspricht der Einschätzung Flassbecks und anderer deutscher Ökonomen: „Haushaltseinkommen in den USA fällt seit 5 Jahren“. Und Heiner Flassbeck antwortet.
F.-J. Adrian:
Haushaltseinkommen in den USA fällt seit 5 Jahren Bei der Diskussion um Lohnerhöhungen wird von einigen Nicht-Mainstream-Ökonomen immer wieder Amerika als Beispiel für hohe Reallohnsteigerungen in den letzten Jahren genannt. So schreibt z. B. Heiner Flassbeck in seinem Artikel für die Badische Zeitung vom 14.2.2006 unter dem Titel “5% Lohnforderung: Pro”
“In den USA wurden die Reallöhne (von 2000-2006, F.-J.A) um 10 % angehoben bei einer Produktivitätszunahme von gut 13 %.”
Der amerikanische Ökonom Paul Krugman würde diesem optimistischen Bild energisch widersprechen. Denn tatsächlich fällt seit 5 Jahren in den USA das durchschnittliche reale Haushaltseinkommen. In seiner regelmäßigen Kolumne für die New-York-Times schreibt er zu diesem Punkt am 5.12.2005 unter der Überschrift “The Joyless Economy”:
“Im August veröffentlichte das Statistikamt die Zahlen für das Familieneinkommen im Jahr 2004. Der Bericht zeigte eine bemerkenswerte Trennung zwischen dem wirtschaftlichen Wachstum und dem wirtschaftlichen Schicksal der meisten amerikanischen Familien.
Es hätte ein gutes Jahr für amerikanische Familien sein müssen: die Wirtschaft wuchs um 4,2%, die beste Leistung seit 1999. Trotzdem verloren die meisten Familien aber an wirtschaftlichem Boden. Das reale mediane Haushaltseinkommen – das inflationsbereinigte Einkommen der Haushalte in der Mitte der Einkommensverteilung – fiel im fünften Jahr hintereinander. Und ein Hauptgrund für wirtschaftliche Unsicherheit wuchs, denn die Anzahl der Amerikaner ohne Krankenversicherung stieg weiter an.
Hintergrund dieser Trennung zwischen wirtschaftlichem Wachstum und Familieneinkommen ist der extrem einseitige Charakter der wirtschaftlichen Erholung, die offiziell Ende 2001 begann. Das Wachstum der Firmengewinne war spektakulär. Selbst inflationsbereinigt sind die Gewinne mehr als 50 % angestiegen seit dem letzten Quartal des Jahres 2001. Trotzdem stieg das reale Lohn- und Gehaltseinkommen nur weniger als 7 %.
Es gibt einige wohlhabende Amerikaner, die einen großen Teil ihres Einkommens mit Dividenden und Kapitalerträgen von Aktien erzielen und die deswegen mehr oder weniger direkt von steigenden Gewinnen profitieren. Aber diese Leute sind eine kleine Minderheit. Für alle anderen ist das schleppende Wachstum der Löhne das eigentliche Thema. Und viel von dem tatsächlichen Lohn- und Gehaltswachstum geschah am hohen Ende in Form von steigenden Zahlungen an Vorsitzende und anderen Spitzenangestellten. Der durchschnittliche inflationsbereinigte Stundenlohn von nicht-leitenden Angestellten ist heute niedriger als zum Zeitpunkt, als die wirtschaftliche Erholung begann.”
(Übersetzung von F.-J. Adrian)
Dazu Heiner Flassbeck:
In der Tat schauen wir nur die Durchschnittseinkommen (die durchschnittlichen Arbeitskosten genauer) an und nicht die Verteilung darunter, weil wir die amerikanische Konsumentwicklung erklären wollen, die auch dort überwiegend am Durchschnittseinkommen hängt.
Es ist aber wohl so, dass es in den letzten Jahren auch dort eine massive Umverteilung hin zu höheren Einkommen gegeben hat.
Hinzu kommt aber, und das ist m. E. quantitativ von noch grösserer Bedeutung, dass man in den USA traditionell – verstärkt aber in den letzten Jahren – eine grosse Diskrepanz zwischen reiner Lohnentwicklung und Lohnnebenkostenentwicklung hat. Schon in den 80er Jahren sind die letzteren viel stärker gestiegen als die reinen ausbezahlten Lohnkosten. So sind beispielsweise 2004 und 2005 zusammen die Kosten der Arbeitgeber für Gesundheit in der Grössenordnung von fünf Prozent pro Jahr gestiegen (2004 mehr, 2005 weniger, in Deutschland wäre das aber als Weltuntergang betrachtet worden). Betrachtet man folglich die bei den Median-Haushalten angekommenen Einkommen, hat man schon seit langem den Eindruck, dass in den USA der Lebensstandard der Masse nicht mehr steigt.
Wäre das aber so, wäre das Wachstums des privaten Verbrauchs nicht zu erklären. Der Rückgang der Sparquote kann die gewaltige Zunahme jedenfalls nicht alleine erklären. Mehr noch, ich vermute, dass bei einer durchschnittlichen Sparquote der privaten Haushalte von Null inzwischen sehr viel mehr Haushalte als offiziell ausgewiesen vollkommen Pleite sein müssten, wenn nicht die Einkommensentwicklung einen grossen Teil des Privaten Verbrauchsanstiegs erklärte. Man bedenke nur, wie oben erwähnt, den Anstieg der Ausgaben für Gesundheit. So weit ich sehe, zählen die zum privaten Verbrauch, sind aber zum grössten Teil über Arbeitgeberbeiträge finanziert und tauchen als Einnahmen der Haushalte bei den meisten Einkommensdefinitionen nie auf.