Auf der einen Seite trommelt die grüne Außenministerin gegen eine Waffenruhe in Gaza, wie auch schon gegen Verhandlungen zu einem Waffenstillstand in der Ukraine. Auf der anderen Seite wird in der Debatte um die auch durch diese Politik ausgelösten Flüchtlingsströme eine „menschenrechtsorientierte“ Position simuliert. Der Mythos einer „humanitären“ Flüchtlingspolitik der Grünen wird auch durch viele Journalisten gepflegt – er ist aber unhaltbar. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
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Die „Humanität“ der Grünen bei der Frage der Migration ist ein gut gepflegter Mythos: Durch grünes Trommeln gegen Waffenruhen werden Flüchtlingsströme ausgelöst und verlängert. Durch innenpolitisches grünes Trommeln für Militarisierung, Sanktionskrieg und eine sündhaft teure Aufrüstung werden soziale Fragen skandalös ignoriert, was wiederum auch die hier lebenden Migranten empfindlich trifft.
Die neuen Regelungen zur Asylpolitik sind als weitgehend folgenlose Symbolpolitik zu bezeichnen. Hier soll die aktuelle, begleitende Debatte dazu betrachtet werden und vor allem die unvereinbaren doppelten Standards der Grünen bei dem Thema: Wer einerseits geopolitische Konflikte aktiv schürt und bei bestehenden Kriegen gegen Verhandlungen und Waffenstillstand argumentiert, kann sich nicht andererseits als besonders „humanitär“ bei der Flüchtlingsfrage darstellen. Zumindest sollte das eigentlich nicht möglich sein, wenn Logik und gesunder Menschenverstand nicht weitgehend aus der Asyldebatte verdrängt worden wären.
„Eine menschenrechtsorientierte Migrationspolitik gehört zur grünen Identität“
Die allermeisten der hier ankommenden Flüchtlinge sind im Übrigen keine „Klimaflüchtlinge“ – sie wurden stattdessen direkt oder indirekt durch bewaffnete Konflikte in die Flucht getrieben, die von NATO-Staaten oder ihren Verbündeten ausgelöst und in die Länge gezogen wurden und werden (etwa in Afghanistan, Libyen oder Syrien – und wenn man die Vorgeschichte in den Blick nimmt, auch in der Ukraine), das haben wir kürzlich in diesem Artikel näher beschrieben.
Trotzdem wird von vielen Grünen, aber auch von zahlreichen verbündeten Journalisten immer noch der Mythos gepflegt, die Anhänger und Führer der grünen Partei würden sich einer besonders „humanitären Flüchtlingspolitik“ verpflichtet fühlen. In den letzten Tagen wurde diese Heuchelei einmal mehr deutlich. Etwa die Tagesschau schreibt dazu:
„Eine in erster Linie an Humanität orientierte Flüchtlingspolitik gehört zur quasi unverhandelbaren Kern-DNA der Grünen.“
Und die taz behauptet:
„Die anderen halten das für einen schweren Fehler. Weil eine menschenrechtsorientierte Migrationspolitik für sie zur grünen Identität gehört.“
Die grüne Politik sei also „an Humanität orientiert“ und eine „Menschenrechtsorientierung“ gehört gar zur Identität, so die hartnäckige und wohlgepflegte Legende. Dass dazu aber die ganz unverblümte Position vieler grüner Politiker zur Kriegsverlängerung in der Ukraine (zum Beispiel hier oder hier) oder aktuell die Ablehnung einer Waffenruhe in Gaza nicht passt, weil durch militaristische Politik die Menschen erst in die Flucht getrieben werden, ist so offensichtlich, dass man es kaum erwähnen möchte. Aber wir erleben eine Zeit, in der auch die größten Selbstverständlichkeiten immer wieder gegen den irrationalen Zeitgeist verteidigt werden müssen. So zum Beispiel auch die Aussage: Wer kriegerische Konflikte zum einen nicht verhindert und sie dann auch noch verlängert und offensiv gegen Waffenruhen eintritt, sollte zu einer „menschenrechtsorientierten“ Flüchtlingspolitik schweigen.
Zur Situation in Nahost: Eine Waffenruhe in Gaza ist dringend angezeigt, auch wenn der Terror der Hamas scharf zu verurteilen ist, wie ich kürzlich in diesem Artikel betont habe.*
Die Migranten sind unschuldig!
Dass die Grünen zwar innerhalb der Bundesregierung als die intensivsten Treiber einer Politik der Militarisierung und des selbstzerstörerischen Wirtschaftskriegs zu identifizieren seien, dass aber mit dieser Kritik alle Parteien der Bundesregierung in Abstufungen ebenfalls angesprochen sind, habe ich kürzlich in diesem Artikel beschrieben.
Es mag für viele zu langfristig, zu fern und angesichts des konkreten Mangels in den Kommunen als viel zu unkonkret erscheinen: Aber die meiner Meinung nach einzig sinnvolle Strategie, um massenhafte Migration tatsächlich wirksam und merklich zu verhindern, ist die Bekämpfung der Fluchtursachen, dazu gehört zu allererst die Vermeidung von Kriegen und wenn das nicht gelingt, die möglichst schnelle Vereinbarung von Waffenruhen. Außerdem muss eine zu starke wirtschaftliche Benachteiligung von Regionen verhindert werden. Die Bundesregierung und darunter vor allem die grüne Führung stehen aber für das Gegenteil.
Zum Umgang mit Flüchtlingen, die bereits hier sind, habe ich kürzlich geschrieben:
Die Flüchtlinge selber sind unschuldig! Man muss und sollte die Fluchtbewegungen wie gesagt nicht als „höhere Gewalt“ einfach akzeptieren – aber wirklich überzeugende Rezepte, die all den widersprüchlichen Aspekten aus humanitärer Verpflichtung und nachvollziehbarem gesellschaftlichen Selbstschutz gerecht werden, sind rar. Vorbeugend gegen Fluchtbewegungen würde die Verhinderung von Kriegen und Sanktionen wirken. Aber: Sind die Menschen erst einmal hier, müssen sie unbedingt würdig behandelt werden. Rassismus löst die Probleme nicht und er ist eher eine Nebelkerze, hinter der geopolitische Ursachen versteckt werden können.
* Aktualisierung 26.10.2023, 14:00: Dieser Absatz wurde hinzugefügt.
Titelbild: photocosmos1 / Shutterstock