Am 23. Oktober stellte Sahra Wagenknecht gemeinsam mit vier anderen Mitstreitern (Amira Mohamed Ali, Christian Leye, Ralph Suikat und Lukas Schön) in der Bundespressekonferenz (BPK) ihr neues Parteiprojekt mit dem Arbeitsnamen „Bündnis Sahra Wagenknecht – Für Vernunft und Gerechtigkeit“ vor. Direkt im Anschluss fand die sogenannte Regierungspressekonferenz in der BPK statt. Die NachDenkSeiten nutzten die Gelegenheit, um nachzufragen, wie Bundeskanzler Olaf Scholz das neue Projekt einschätzt und ob er es im Sinne einer Erneuerung der politischen Landschaft begrüßt. Von Florian Warweg.
Viel wurde schon über die Präsentation des neuen Parteiprojekts unter Führung Sahra Wagenknechts in der Bundespressekonferenz geschrieben. Neben den in ihrer großen Mehrheit explizit tendenziös und gehässig ausgerichteten Fragen, inhaltlich zudem meist banal, waren allerdings auch die nonverbalen Reaktionen der Kollegen vielsagend.
Ich hatte mich extra mittig am Rand des BPK-Auditoriums positioniert, um so auch Mimik und Gesten der Journalistenkollegen studieren zu können. Und zu beobachten gab es so einiges.
Am auffallendsten war der Kollege vom ARD-Hauptstadtstudio, den Namen lassen wir mal beiseite, der, sobald Sahra Wagenknecht das Wort ergriff, merklich angespannt reagierte. Fast jeder Satz wurde mit ostentativem Kopfschütteln oder hörbarem Schnaufen begleitet. Er war dann auch derjenige, der die ersten Fragen an Frau Wagenknecht stellen durfte (Minute 23:22), unter anderem die Frage mit fragwürdigem journalistischen Mehrwert, ob diese denn auch die Einnahmen aus ihren Büchern in die neue Partei stecken werde. Auch nach seiner Frage ließ er während des ganzen Verlaufs der Pressekonferenz mittels seiner Mimik keinen Zweifel, wie er zu Wagenknecht und dem neuen Projekt steht. Journalistische Unvoreingenommenheit sieht wohl anders aus. Ob er sich bewusst so inszenierte oder wir hier einfach Zeugen seiner unbewussten Reaktion auf „Vernunft und Gerechtigkeit“ wurden, sei dahingestellt.
Der ARD-Hauptstadtstudio-Korrespondent war mit dieser Art von offen zur Schau gestellter, missbilligender Mimik und Gestik beileibe keine Ausnahme, wenn auch wohl der Auffälligste in Dauer und Ausdrucksstärke.
Ebenfalls unterhaltsam war es, das Agieren des BILD-Chefreporters Peter Tiede zu beobachten. Dieser zeigte zunächst eher demonstratives Desinteresse und war über lange Phasen eher mit seinem Handy oder dem Zwiegespräch mit seinem Sitzpartner beschäftigt. Bis zu dem Moment, in welchem Sahra Wagenknecht zu ihrer Haltung zum laufenden Gaza-Konflikt befragt wurde und unter anderem, nach expliziter Verurteilung des Hamas-Angriffs auf israelische Zivilisten, den Begriff des linken jüdischen US-Senators Bernie Sanders nutzte, welcher in einer Stellungnahme am 11. Oktober 2023 Gaza als „Freiluftgefängnis“ bezeichnet hatte.
Das war für den Springermann ein nicht hinnehmbarer Triggerpunkt. Er schnaufte noch hörbarer auf als sein ARD-Kollege und fing umgehend an, wild auf seinem Laptop und Handy zu tippen und stellte dann auch umgehend mit in die Stimme gelegter Empörung die Frage, wie Wagenknecht es wagen könne, Gaza als Freiluftgefängnis zu bezeichnen, und wenn dies so wäre, wer denn dann „der Gefängniswächter“ sei. Da sowohl die Vereinten Nationen als auch die US- und die deutsche Regierung Gaza nach wie vor offiziell als von Israel „besetztes Gebiet“ bezeichnen (hier die eindeutige Antwort der Bundesregierung auf eine entsprechende Frage der NDS auf der BPK am 11. Oktober), wäre die Frage eigentlich recht eindeutig zu beantworten gewesen. Leider verzichtete die Angesprochene darauf, auf diese offizielle Position der Bundesregierung zu verweisen, und zeigte stattdessen zum ersten Mal in der gesamten BPK eine leichte Unsicherheit.
Im Verhältnis zu dem geschilderten journalistischen Agieren geriet die Antwort der Ersten Stellvertretenden Regierungssprecherin, Christiane Hoffmann, auf die Frage der NachDenkSeiten, wie denn Kanzler Scholz das neue Projekt einschätzt, fast noch sachlich-neutral:
Protokollauszug von der Bundespressekonferenz am 23. Oktober 2023:
Frage Warweg:
Frau Hoffmann, direkt von Ihrem Stuhl aus hat heute Frau Wagenknecht mit ihren Mitstreitern ihr neues Parteiprojekt vorgestellt, direkt vor der Regierungspressekonferenz. Mich würde interessieren: Wie schätzt denn der Kanzler dieses neue Projekt ein?
Stellvertretende Regierungssprecherin Hoffmann:
Das kommentieren wir grundsätzlich erst einmal nicht. Aber der Kanzler ist froh darüber, dass wir in einem freien Land leben, in dem Parteien gegründet werden können.
Zusatzfrage Warweg:
Aber begrüßt er denn diesen Schritt hinsichtlich einer Erneuerung der politischen Landschaft und auch der Parteienlandschaft in gewisser Weise?
Hoffmann:
Ich würde das jetzt nicht weiter als mit dem, was ich gesagt habe, kommentieren wollen.
Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 23. Oktober 2023