Gaza-Bombardement: Bundesregierung sieht Tötung von UN-Mitarbeitern und Zerstörung von Schulen und Wohngebäuden vom Völkerrecht gedeckt

Gaza-Bombardement: Bundesregierung sieht Tötung von UN-Mitarbeitern und Zerstörung von Schulen und Wohngebäuden vom Völkerrecht gedeckt

Gaza-Bombardement: Bundesregierung sieht Tötung von UN-Mitarbeitern und Zerstörung von Schulen und Wohngebäuden vom Völkerrecht gedeckt

Florian Warweg
Ein Artikel von: Florian Warweg

Seit über zwei Wochen bombardiert die israelische Armee massiv zivile Infrastruktur im Gazastreifen. Laut Angaben der Vereinten Nationen wurden bis zum 23. Oktober 15.000 Wohnhäuser sowie Großbäckereien, Schulen, Universitäten, Moscheen, Kirchen und medizinische Einrichtungen zerstört. Den israelischen Bombenteppichen fielen bereits über 5.000 Zivilisten, darunter zahlreiche Kinder und Frauen, zum Opfer. Dem UNRWA zufolge wurden bis zum 23. Oktober auch 35 UN-Mitarbeiter getötet, die Hälfte davon Lehrer an UN-Schulen im Gazastreifen. Die NachDenkSeiten fragten vor diesem Hintergrund, ob die Bundesregierung das Vorgehen Israels noch immer vom Völkerrecht gedeckt sieht. Die Antwort? Israel bekenne sich „ganz klar“ zum Völkerrecht. Von Florian Warweg.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Am 23. Oktober erklärte die UNRWA, das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten, dass die Zahl der im Gaza getöteten UN-Mitarbeiter innerhalb eines Tages von 29 auf 35 angestiegen sei:

„Es fehlen uns die Worte. Wir gedenken unserer 35 Kollegen, die seit dem 7. Oktober in Gaza getötet wurden. Wir trauern und wir erinnern uns. Dies sind nicht nur Zahlen. Es sind unsere Freunde und Kollegen. Viele von ihnen waren Lehrer an unseren Schulen. UNRWA trauert um diesen großen Verlust.“

Laut Angaben von UN-OCHA, dem Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten, sind mit Stand 23. Oktober 5.087 Zivilisten, darunter 2.055 Kinder, im Gazastreifen getötet und über 15.000 verletzt wurden. Weiter heißt es in der OCHA-Mitteilung, dass 72 Bombenangriffe „auf das Gesundheitswesen“, darunter 19 Krankenhäuser sowie 206 Schulen, dokumentiert worden sind:

„Bis zum 23. Oktober hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) 72 Angriffe auf das Gesundheitswesen im Gazastreifen dokumentiert. (…) Von den Angriffen waren 34 Gesundheitseinrichtungen (darunter 19 beschädigte Krankenhäuser) und 24 Krankenwagen betroffen. Zwölf Krankenhäuser und 46 Kliniken für die medizinische Grundversorgung sind nicht mehr funktionsfähig.
Das Ausmaß der Schäden an Bildungseinrichtungen und anderen zivilen Infrastrukturen gibt zunehmend Anlass zur Sorge. Bis zum 21. Oktober waren 206 Bildungseinrichtungen betroffen, darunter mindestens 29 UNRWA-Schulen. Acht dieser Schulen wurden als Notunterkünfte für Binnenvertriebene genutzt, wobei eine von ihnen direkt getroffen wurde und mindestens acht Binnenvertriebene getötet und 40 weitere verletzt wurden.“

Die letzten zwei Wochen hat die Bundesregierung in der Bundespressekonferenz dieses offensichtlich völkerrechtswidrige Vorgehen des israelischen Militärs immer mit dem Hinweis legitimiert, Israel habe ein „völkerrechtlich verbrieftes Recht auf Selbstverteidigung“ und man sehe keinen Bruch des Völkerrechts in diesem Agieren. Allerdings ist mittlerweile ein internes Protokoll der sogenannten EU-Koordinierungsgruppe (umfasst u.a. hochrangige Vertreter des Auswärtigen Amtes, des Bundeskanzleramtes und des Innenministeriums) an die Öffentlichkeit gekommen, zuerst veröffentlicht von dem Onlineportal Telepolis, aus dem hervorgeht, dass intern die Bundesregierung sehr wohl einräumt, dass Israel Völkerrecht bricht, indem es den Schutz der Zivilbevölkerung nicht gewährleistet. Im Wortlaut heißt es in dem Protokoll:

„Selbst in dieser schwierigen Situation, muss Schutz der Zivilbevölkerung gewährleistet sein – aktuell nicht der Fall. Müssen verdeutlichen, dass humanitäres Kriegsvölkerrecht und der Schutz der Zivilbevölkerung das ist, was Demokratien stärker macht als Terroristen. Sollten dafür werben, dass vulnerable PSE-Bevölkerung (insb. Frauen, Kinder, Kranke und Alte), Gaza verlassen können.“

Vor diesem Hintergrund wollten die NachDenkSeiten von der Bundesregierung wissen, ob sie angesichts der massiven zivilen Opfer und erwähnten fortdauernden Angriffe gegen zivile Infrastruktur immer noch von einem völkerrechtskonformen Agieren des israelischen Militärs spricht. Die Antwort fiel, man will es kaum glauben, noch zynischer aus als die vorherigen Male:

Protokollauszug von der Bundespressekonferenz am 23. Oktober 2023:

Frage Warweg:

Israel hat seit zwei Wochen zivile Infrastruktur im Gazastreifen bombardiert, Wohnhäuser, muslimische und christliche Gotteshäuser, Großbäckereien, Wasserinfrastruktur, teilweise auch Stützpunkte für die medizinische Versorgung. Laut UN-Angaben von gestern wurden auch 29 UN-Mitarbeiter und insgesamt weit über 1.000 Menschen getötet. Angesichts dieser Bilanz interessiert mich, ob die Bundesregierung, ob das Auswärtige Amt und der Kanzler weiterhin darauf bestehen, dass dieses Vorgehen vom Völkerrecht gedeckt sei.

Stellvertretende Regierungssprecherin Hoffmann:

Dann beginne ich. Wir variieren im Grunde eine Aussage, die Herr Fischer hier eben schon getroffen hat. Ich tue dies aber sehr gern auch noch einmal von meiner Seite. Ich würde dabei auch auf das Telefonat verweisen, das der Kanzler gestern mit dem amerikanischen Präsidenten und anderen Staats- und Regierungschefs der G7, von Frankreich, Kanada, Italien und Großbritannien, geführt hat und in dem noch einmal bekräftigt wurde, dass Israel angesichts der brutalen Terrorangriffe das Recht hat, sich dagegen zu verteidigen. Das ist es, was Israel im Moment tut.

Gleichzeitig – darauf hat Herr Fischer ausführlich hingewiesen – geht es auch um humanitäre Hilfe für die Menschen in Gaza, die jetzt zum Glück in Gang gekommen ist und auch fortgesetzt werden wird. Das ist ein wichtiger Fokus, der von den Staats- und Regierungschefs auch noch einmal betont wurde.

Zusatzfrage Warweg:

Mir ging es um den völkerrechtlichen Aspekt. Jetzt liegt das interne Protokoll des EU-Koordinierungsrats in der Bundesregierung vom 16. Oktober vor. Er umfasst hochrangige Vertreter des Auswärtigen Amtes, des Bundeskanzleramts und des Innenministeriums. Das BMZ war, meine ich, auch dabei. Darin wird eigentlich sehr deutlich eingeräumt, dass man das Vorgehen Israels gegen die Zivilbevölkerung als völkerrechtswidrig betrachtet.

Dazu würde mich interessieren, wieso das sozusagen intern in der Bundesregierung durchaus so gesehen und auch zum Ausdruck gebracht wird, aber nicht hier gegenüber der bundesdeutschen Öffentlichkeit?

Hoffmann:

Auch dazu hat sich der Bundeskanzler bereits mehrfach geäußert und vor allen Dingen darauf hingewiesen, dass sich Israel als Demokratie ganz klar auch zum Völkerrecht bekennt.

Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 23.10.2023

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