Journalisten und andere politische Gegner einer neuen Partei mit Sahra Wagenknecht laufen sich bereits warm für die Stimmungsmache gegen die vielversprechende gesellschaftliche Stimme. Tenor einiger Medien und ihrer pseudolinken oder auch rechten Kronzeugen: Die LINKE ist wegen Wagenknecht kaputt und für die neue Partei gibt es doch gar keinen politischen Anlass – Motivation der Gründung ist demnach nicht die schlimme Regierungsarbeit der Ampelkoalition, sondern kann nur populistischer Geltungsdrang und Moskauhörigkeit sein. Von einer anderen Seite kommen Vorwürfe, die neue Partei richte sich alleine gegen die AfD und würde somit „die Opposition“ spalten. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
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Mit der Ankündigung der Parteigründung durch die Politikerin Sahra Wagenknecht am Montag wird sich auch die Berichterstattung vieler Medien über Wagenknecht nochmals zuspitzen. Teile der Berichterstattung in zahlreichen Mainstream-Medien über die Politikerin sind schon seit geraumer Zeit als unredliche Diffamierung zu beschreiben, wie die NachDenkSeiten etwa hier oder hier oder hier berichtet haben (weitere Links zum Thema unter dem Text).
Das aktuelle Titelbild kommt von der Bild-Zeitung, der zugehörige Artikel ist aber noch vergleichsweise zahm. Härter geht der Spiegel zur Sache, der etwa im Beitrag „Wer folgt Sahra Wagenknechts Ruf?“ eine „mögliche Unterwanderung von Rechtsextremisten“ in den Raum stellt. Der Spiegel weiter:
„Mit dazu gehört auch der Russland-nahe Andrej Hunko, der mehrfach außenpolitische Eklats provozierte und während der Coronapandemie mit Rechtsextremisten demonstrierte.“
Absurd wird es, wenn schon die alleinige räumliche Nähe von „Verschwörungsideologen“ irgendwie zur Kontaktschuld vonseiten Wagenknechts hingebogen werden soll:
„Der Unterstützerkreis von Wagenknecht reicht ins rechtsextreme Lager hinein. Vergangene Woche saß etwa eine halbe Stunde gleich neben Wagenknecht auf der Bühne in Halle der Verschwörungsideologe Martin Lejeune, als Wagenknecht nach ihrer Lesung noch Bücher signierte.“
Das Magazin lässt sich auch nicht dadurch beirren, dass es keinerlei Verbindungen zwischen Wagenknecht und Lejeune gibt, wie beide Seiten betonen und auch der Spiegel selber schreibt:
„Er (Lejeune) sagt, er sei bei Wagenknechts Termin gewesen, um die Veranstaltung zu dokumentieren und habe nicht vor, der Wagenknecht-Partei beizutreten. Wagenknechts Büro sagte auf Nachfrage, mit ihm nichts zu tun zu haben.“
Man kann positiv festhalten: Es ist entlarvend, wenn von Wagenknechts Gegnern zu solchen Strohhalmen gegriffen werden muss, bei den Versuchen, der Politikerin irgendwie eine Kontaktschuld zu bescheinigen.
„Putin darf sich freuen“
Am heutigen Dienstag schreibt etwa der Kölner Stadtanzeiger:
„Während sie milde lächelnd ihre bisherige politische Heimat, die Linken, zertrümmert, schiebt sie mit viel Geschick eine neue Partei an den Start.“
Der Münchner Merkur behauptet:
„Putin darf sich freuen. In Deutschland formiert sich mit dem ‚Bündnis Sahra Wagenknecht‘ die zweite mächtige politische Kraft nach der AfD, die vom Hass auf Amerika und der Liebe zu Moskau lebt. Beide zusammen könnten 2024 bei den drei Landtagswahlen im russlandfreundlichen Osten die Ost-West-Achse der Republik verschieben. Die ‚Isolierung‘ Deutschlands, die die neue Wagenknecht-Partei der Ampelregierung vorwirft, betreibt sie in Wahrheit selbst, indem sie außenpolitisch die Anlehnung an Russland und China sucht und die von einer Autokratie und von Terroristen überfallenen Demokratien Ukraine und Israel im Stich lässt.“
Zur Außenpolitik hatte auch der Spiegel geschrieben: „Außenpolitisch steht diese Strömung für abwegige, radikale Positionen: raus aus der Nato, keinerlei Waffenexporte (auch nicht an Israel), keine Sanktionen (nicht einmal gegen Putins Russland). Sollte das umgesetzt werden, müsste sich Deutschland aus der westlichen Staatengemeinschaft verabschieden. Russland und China hießen die neuen Partner.“ Die „Faktenchecker“ von Correctiv ergänzen treu, Wagenknecht sei „eine Putinfreundin”.
Kurzer Einschub, weil die Außenpolitik eine wichtige Rolle spielen wird und Vorwürfe des Ausverkaufs an China oder Russland wahrscheinlich zunehmen werden: Die Vorstellung, Deutschland könne auch als Brücke zwischen den Blöcken der kommenden multipolaren Weltordnung fungieren, wird in diesen Argumentationen oft gar nicht zugelassen. Ebenso die Feststellung, dass selbstverständlich kein naives oder romantisches Verhältnis zu Russland angestrebt werden sollte, sondern ein vernünftiger und sachlicher Umgang zum beiderseitigen Nutzen. Nicht zuletzt fällt oft unter den Tisch, dass ohne eine Verständigung mit Russland eine friedliche Ordnung in Europa gar nicht vorstellbar ist. Eine solche Verständigung mit Russland muss nicht die Verdammung der oder eine Abkopplung von den USA bedeuten.
Neue Partei ist „schlecht für die Demokratie“
Versuche, die Gründung einer neuen Partei als irgendwie schädlich für „die Demokratie“ darzustellen, sind schon länger zu beobachten. So schrieb die Wirtschaftswoche zur neuen Wagenknecht-Partei:
„Kurzfristig gut für die Volksparteien, langfristig schlecht für die Demokratie“
Auch der Spiegel meinte kürzlich zu Wagenknecht:
„Sie schadet der Demokratie“
Bereits im Februar hatte das sogenannte Redaktionsnetzwerk Deutschland anlässlich der Friedensdemo von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht geschrieben:
„Warum Sahra Wagenknecht eine Gefahr für die Demokratie in Deutschland ist.“
„Die totale Egoshow“
Wagenknecht wird aktuell erwartungsgemäß von pseudolinker und von konservativer Seite angegriffen. So sind plötzlich ansonsten politisch bedeutungslose LINKEN-Funktionäre wieder in den Medien gefragt, wo sie als Stichwortgeber für die nun Fahrt aufnehmende Meinungsmache gegen Wagenknecht fungieren dürfen. So zitiert das ZDF Gregor Gysi, der Wagenknechts Vorgehen als „moralisch und politisch falsch“ bezeichnet, andere Ex-Parteifreunde werden etwa mit „die totale Egoshow“ zitiert. Eine Kritik von konservativer Seite formuliert etwa die Welt am Sonntag:
„Für die meisten Bürger sind die soziale Frage und die wirtschaftliche Stabilität entscheidend – und dazu gehört auch eine angemessene Migrationspolitik. Doch so zutreffend ihre Kritik an dieser Stelle auch ist: Das allein darf nicht darüber hinwegtäuschen, woher Wagenknecht kommt – sie war Mitglied der SED und gehörte zur linksextremistischen Kommunistischen Plattform – und wohin sie mit ihren linksautoritären Idealen geht. Und so ist Wagenknechts Partei keine Lösung, sondern Teil des Problems. Der einzig positive Effekt liegt darin, dass die Linkspartei damit Geschichte sein dürfte.“
Auf den Vorwurf des Personenkults geht das Medienmagazin Table ein:
„Man kannte die Gründung von Parteien um eine Person herum bisher eher zum Beispiel aus Frankreich (Mélenchon) oder Italien (Grillo, Fünf-Sterne-Bewegung). Auch altehrwürdige Parteien wie die ÖVP in Österreich haben ja schon mal als ‚Liste Kurz‘ firmiert.“
„Chapeau, Frau Wagenknecht“
Respekt vor der Öffentlichkeitsarbeit des neuen Projektes äußert dagegen die Frankfurter Rundschau:
„Normalerweise ist die vierte Macht im Lande doch dafür da, um die Politik kritisch vor sich herzutreiben. Im Fall der Wagenknecht-Partei hat deren Galionsfigur den Spieß herumgedreht und die Journalist:innen reihenweise zappeln lassen und zu ihren PR-Zwecken instrumentalisiert. Man kann es den Macher:innen vom Bündnis Sahra Wagenknecht nicht einmal zum Vorwurf machen. So kann man eine Partei, die noch nicht einmal gegründet ist, natürlich auch bewerben. Chapeau, Frau Wagenknecht.“
Es gibt momentan auch viele Befürchtungen von rechts, Wagenknechts Partei würde sich vor allem gegen die AfD richten und somit „die Opposition“ spalten. Ich meine: Wer Kritik von so vielen verschiedenen Seiten provoziert, macht auch etwas richtig. Ich stehe dem Projekt vorsichtig optimistisch gegenüber.
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Titelbild: Screenshot / „Bild-Zeitung“
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