Meinung: Lippenbekenntnisse im Sommerloch
Vor etwas mehr als einem Monat haben die NachDenkSeiten gefragt, wo denn die Steuererhöhungsdebatte bleibt? Der Sommernachtstraum wurde wahr, seit wenigen Wochen findet weltweit eine Steuererhöhungsdebatte statt. Doch diese Debatte hat einen faden Beigeschmack, denn sie wird nicht von der Politik, sondern ausgerechnet von einigen Superreichen geführt. Von Jens Berger
Es liest sich ja rührend, wie Superreiche wie Warren Buffet (Berkshire Hathaway), Luca di Montezemolo (Ferrari) oder Maurice Lévy (Publicis) ihre jeweiligen Regierungen auffordern, Reichtum stärker als bisher zu besteuern. Warum ist dies den Herren eigentlich nicht schon früher eingefallen? Die Prozesse, die zu der sagenhaften Vermögenskonzentration bei den oberen Zehntausend führten, sind ja nun keineswegs plötzlich und unerwartet über die Menschheit gekommen, sondern vielmehr Ergebnis einer mindestens drei Jahrzehnte fortwährenden Politik der massiven Umverteilung von unten nach oben. An diesem Paradigmenwechsel haben gerade diese Milliardäre tatkräftig mitgewirkt und diese Politik millionenschwer gefördert. Natürlich kann man nun sagen, dass es besser sei, zu spät als gar nicht auf den Pfad der Tugend zurückzukehren. Es stellt sich hierbei jedoch unweigerlich die Frage, schlägt wirklich einigen ihr schlechtes Gewissen auf den Magen oder sind es nur Lippenbekenntnisse.
Die einfachsten Versprechen sind diejenigen, von denen man bereits vorweg weiß, dass man sie nicht einhalten muss. Weder in den USA, noch in Frankreich, Italien oder gar Deutschland gibt es eine politische Mehrheit, die bereit wäre, hohe Einkommen oder Vermögen stärker zu besteuern. Im Gegenteil: das „große Geld“ sponsert gerade die Parteien, die den Staat noch mehr ausbluten wollen. Wenn man weiß, dass man ohnehin nicht zusätzlich zur Kasse gebeten wird, kann man natürlich auch eine „Reichensteuer“ fordern – die Öffentlichkeit wird dies bewundernd zur Kenntnis nehmen. Dass zwischen Reden und Handeln eine tiefe Kluft besteht, zeigt sich etwa darin, dass sich an der französischen „Taxes-Nous“-Kampagne auch so illustre Steuerhinterzieher wie Lilliane Bettencourt (L´Oreal) und Gesetzesbrecher wie Christophe de Margerie (Total) beteiligen. Die PR-Wirkung einer solchen Kampagne ist nicht zu unterschätzen, weshalb PR-Legende Maurice Lévy auch der optimale Initiator für diese Kampagne ist.
Wenn die Gazetten titeln, dass „die Reichen“ sich für höhere Steuern einsetzen würden, so ist dies eher eine Nebelkerze. Buffets Aufsatz in der New York Times wurde zwar in den Medien hochgespielt – aber bisher konnte er keinen milliardenschweren Mitstreiter finden. Stattdessen werden die Superreichen in den USA – wie eh und je – die Wahlkampfkassen der Gegner einer höheren Besteuerung – wie etwa der Tea-Party-Bewegung – fluten. In Deutschland gibt es noch nicht einmal einen einzigen Superreichen, der sich für eine stärkere Besteuerung einsetzt – wenn man einmal vom Liqui-Moly-Chef Ernst Prost oder dem Hamburger Reeder Peter Krämer absieht, die jedoch seit Jahren eine höhere Besteuerung fordern und somit die Ausnahme von der Regel darstellen.
Was steckt hinter dem jüngsten Ruf einiger Reicher nach Steuererhöhungen für sich selbst? Der französische Sozialist Guillaume Garot formuliert es drastisch: „Die Fettesten erklären sich bereit, ein bisschen zu geben, um nicht alles zu verlieren“. Lässt man den klassenkämpferischen Unterton aus diesem Zitat, könnte Garot Recht behalten. In einer Zeit, in der sich Leute im Bankenkasino die Brieftaschen vollgestopft haben und die Masse der Steuerzahler dafür bluten muss, wäre eine höhere Besteuerung der Reichen zwingend geboten. Da erscheint es clever, die Initiative selbst zu ergreifen, um dafür zu sorgen, dass die Einschnitte nicht all zu hart ausfallen.
Dabei ist es beschämend, dass einige Wohlhabende – wenn auch aus vermutlich zweifelhaften Motiven – die Zeichen der Zeit erkannt haben, aber die Volksvertreter in den Parlamenten sich nach wie vor der Diskussion verweigern. Von FDP und CDU erwartet man natürlich auch nichts anderes. Aber wo ist eigentlich die SPD? Sind die Sozialdemokraten allesamt im Urlaub oder sind sie ins Sommerloch gefallen? Eine Oppositionspartei, die ständig über die Spaltung der Gesellschaft redet und soziale Gerechtigkeit im Munde führt, darf doch eine solche Diskussion nicht einfach verschlafen. Aber natürlich muss eine Partei, die noch vor wenigen Jahren die Kapitalertragssteuer eingeführt hat, damit rechnen, dass ihr dieses milliardenschwere Geschenk für die Superreichen vorgehalten wird. Solch kognitiven Dissonanzen haben die SPD doch sonst nie gestört. Vielleicht ist die SPD sich ja auch schlichtweg zu siegessicher und hat Angst davor, taktische Versprechen zu machen, an die man sie nach den Wahlen erinnern könnte. Leider ist bei diesem Thema noch nicht einmal auf Die Linke Verlass – anstatt die Gunst der Stunde zu nutzen, streitet sie sich lieber über Briefe nach Kuba und die Mauer. So ist wenigstens garantiert, dass sich nichts ändern und die Steuererhöhungsdebatte wohl ein Sommerlochthema bleiben wird.