Daniela Dahn im Freitag zum Zustand der Pressefreiheit
Die großmäulige Verteidigung der Pressefreiheit gegenüber den islamischen Protesten gegen die Mohammed-Karikaturen habe etwas Bizarres. Nicht das Tabu des islamischen Bilderverbots sei das eigentliche Problem für die bürgerliche Errungenschaft der Pressefreiheit, sondern die Selbstgleichschaltung der Presse, der eine Selbstgleichschaltung der Leser folge.
Eine Mitgliederbefragung der IG Medien unter Zeitungsjournalisten habe indes schon vor zehn Jahren ergeben, dass sich drei Viertel der Redakteure Eingriffen von Verlegern ausgesetzt sähen, weit über die Hälfte außerdem aggressiver Einflussnahmen durch Inserenten, Verbände und Politiker. Die meisten Journalisten seien angesichts exzessiver Sparpläne nicht gerade in offensiven Positionen. Recherchen seien gewissermaßen verlorene Rendite. Und brächten womöglich noch Scherereien.
Immer mehr Lobby-Gruppen kauften sich Zeitungsplatz für seitenfüllende Textanzeigen, um da weiterzumachen, wo die Bereitschaft der Journalisten aufhöre.
Der Meinungs-Mainstream sei die Summe der öffentlichen Äußerungen, die aufmüpfig genug seien, um den Anschein von Meinungsfreiheit zu erwecken, und brav genug, um erforderliche Veränderungen verlässlich zu verhindern.
Die deutsche Presse betreibe ihre Selbstgleichschaltung, indem politische Meinungsfreude nur dann akzeptiert würde, wenn sie dem Mainstream entspreche. (Franziska Augstein)
Keines der etablierten Medien stelle ernsthaft und anhaltend Fragen nach den Voraussetzungen von kapitaler Macht. Das Jagdfieber der meisten Journalisten – so sie es überhaupt noch haben – gelte Enthüllungsgeschichten, in denen die Verworfenheit von Personen, nicht die von gesellschaftlichen Kausalitäten bloßgelegt werde.
Der Selbstgleichschaltung der Presse folge die Selbstgleichschaltung des Lesers. Und umgekehrt. Wolle man nicht selbst als Außenseiter enden, empfehle es sich, Querdenkereien von Außenseitern zu meiden.
Derzeit werde das angebliche Zurückweichen der freien Presse vor dem Islam lautstark beklagt, während ihr viel folgenschwereres Zurückweichen vor dem Kapital seit Jahren klaglos hingenommen werde. Das verrate eine Betriebsblindheit, die schon an Fahrlässigkeit grenze. Wenn der Westen ernsthaft glaube, die Pressefreiheit in Europa hinge davon ab, ob man dem Tabu des islamischen Bilderverbots widerstehen könne, so habe er noch ein gutes Stück Aufklärung vor sich.
Quelle: Freitag