Es ist die Rezession, Dummkopf
Nach all dem Unsinn, der über das Auf und Ab des Aktienmarktes an der Börse erzählt wurde, allmählich geht offenbar manchen ein Licht auf: Nicht irgendwelches Gerede etwa über Arbeitslosenzahlen in den USA, über eine in den Sternen stehende Einführung einer Transaktionssteuer, über irgendwelche Gipfeltreffen oder Erklärungen von Zentralbankchefs, nicht einmal – so die am meisten gebrauchte Floskel – die Krise der „Staatsverschuldung“ treibt den aktuellen Herdentrieb der Börsenmakler an. Es ist schlicht die Angst vor einer weltweiten Rezession. Von Wolfgang Lieb
So schreibt die Süddeutsche Zeitung gestern Abend:
„Flucht von der Börse, Furcht vor einer weltweiten Rezession: Anleger sind am Donnerstag in Scharen aus den internationalen Aktienmärkten geflohen. Der Deutsche Aktienindex (DAX) gab zwischenzeitlich um fast sieben Prozent nach und schloss mit minus 5,82 Prozent, bei 5602,80 Punkten. Ein schwarzer Tag: Das war der größte Tagesverlust seit November 2008. Auch an der Wall Street ging es steil bergab: Der US-Standardwerteindex Dow Jones verlor zwischenzeitlich 4,6 Prozent und schloss mit einem Minus von 3,7 Prozent.“
Die gewiss börsengläubigen Autoren dieses Beitrags, Nikolaus Piper und Markus Zydra, fügten hinzu:
„Es deutet nun alles auf den Ernst der ökonomischen Lage, wenn Börsenkurse ohne wirklich triftigen Grund so abstürzen. Das abflauende Wirtschaftswachstum, flankiert vom Schulden-Desaster in der Euro-Zone und den USA, sind der Grund, die Verkaufstaste zu drücken.“
Wohl wahr: es ist das „abflauende Wirtschaftswachstum“ (und das „Schuldendestaster“ ist nur dessen Gefolge), das die Bären an der Börse antreibt.
Wir haben auf den NachDenkSeiten gestern in zwei Beiträgen zu begründen versucht, warum die Spar-Pandemie in sämtlichen westlichen Industrienationen, nur zu einer wirtschaftlichen Depression führen kann (Vgl. Hurra, wir sparen uns kaputt). Und wir haben dargestellt warum die neoliberale „Schock-Therapie“ mit einer „harmonisierten“ Senkung der Löhne, mit „Hartz IV für ganz Europa“ oder mit einer kollektiven Anhebung des Rentenalters, ja sogar mit einer zum obersten Ziel erhobenen „Schuldenbremse“ für alle Länder der Währungsunion eher prozyklisch in eine Wirtschaftsflaute führen muss.
Gerade diese herrschende Ideologie hat nun in ein Trilemma geführt:
- Niedrige Löhne, niedrige Sozialleistungen, Einsparpolitik im öffentlichen Dienst oder die Kürzung der öffentlichen Investitionen führen zum Einbruch der Binnennachfrage.
- Da die Binnennachfrage in allen Staaten stagniert oder sinkt, kommt der einzig verbliebene Wachstumsmotor, nämlich die Exporte ins Stocken.
- Da Steuererhöhungen – selbst für die Vorkrisen- und die Krisengewinner – ideologisch und dogmatisch ausgeschlossen werden, um die Schulden zu verringern, haben die einzig verbliebenen Akteure, die die Konjunktur wieder anstoßen könnten, nämlich die Staaten selbst inzwischen so hohe Schuldenberge – und zwar aufgrund der Bankenrettung in der Finanzkrise -, dass sie von den Finanzmarktakteuren für konjunkturstützende Investitionen nicht mehr ausreichend kreditwürdig gehalten werden.
Angesichts einer Rezession (oder gar Depression) erscheint jede der drei Optionen als inakzeptabel oder ohne Aussicht auf Erfolg:
- Angesichts einer Rezession erscheinen höhere Löhne für die Unternehmen schädlich, sinken doch die Absatz- und damit die Gewinnchancen. Und eine Stabilisierung der Sozialleistungen erhöht die Staatsausgaben.
- Exporterfolge könnten bestenfalls durch weitere Kostenentlastungen der Unternehmen, – also Lohn- und Steuersenkungen – erzielt werden. Was zwar die Umsätze stabilisieren, aber die „Staatsverschuldung“ nicht mindern, sondern sogar erhöhen würde.
- Steuererhöhungen für Unternehmen in einer Rezession durchzusetzen, um den Staat in die Lage zu versetzen, Konjunkturprogramme anzustoßen, erscheint als widersinniges Unterfangen. Im Gegenteil die deutsche Regierung setzt sogar noch auf eine Steuersenkung der Besserverdienenden.
Und da man an die in den letzten Jahren explodierten Vermögen der Vermögensbesitzer nicht herangehen oder die Gewinner der Bankenkrise nicht heranziehen will, ist die Politik mit ihrem Latein am Ende. Sie kennt nur noch Sparen und manöveriert sich nicht nur ins wirtschaftspolitische Schachmatt. Auch die Verlierer begehren auf und schaffen soziale Konflikte.
Dieses Katastrophenszenario ist der realen Grund für die „Nervosität“ der Börsianer.
Sie haben zunächst mit Hinweis auf die „Märkte“ die Politik in dieses Trilemma getrieben und sind nun selbst darin gefangen.
Einen Ausweg aus diesem Gefängnis gäbe es nur, wenn diejenigen, die auf ihren dicken Geldtaschen sitzen und nicht einmal mehr wissen, wohin mit ihrem Geld, zur Kasse gebeten würden. Das heißt, dass
- ordentliche Löhne bezahlt und die Sozialleistungen stabilisiert würden, damit die Massenkaufkraft steigt und die Binnennachfrage gestärkt würde, was die Verluste beim Export abfangen könnte,
- mit erhöhten Steuern für diejenigen, denen es leicht fiele ein Stück von ihrem zusammengerafften Vermögen abzugeben, die öffentlichen Hände wieder in die Lage versetzt werden müssten, in die heruntergekommene Infrastruktur bis hin zur Bildung zu investieren.
Damit können die Ängste vor der „Staatsverschuldung“ gleichzeitig von zwei Seiten abgebaut werden:
Einmal über eine Verbesserung der Einnahmeseite des Staates und damit über dessen Kreditwürdigkeit für Investitionen aus der wirtschaftlichen Rezession. Was zum anderen wiederum zu mehr Steuereinnahmen führen würde.
Dieser Ausweg könnte selbst die Analysten und Zocker an den Börsen endlich wieder beruhigen, denn sie könnten dann vielleicht, statt auf den Misserfolg der derzeitigen Strategie wieder auf Erfolg wetten. Aber dafür müsste wenigstens ein Stück weit ökonomische Vernunft auf dem „Börsenparkett“ einkehren. Die Gier müsste zurücktreten, die Angst der ökonomischen Rationalität Platz machen. Und vor allem müsste die Politik klar machen, dass sie das ökonomische Geschehen durchschaut hat, statt sich von der Gier oder der Angst auf den Aktien- und Finanz-„Märkten“ in den Bankrott des staatlichen, wie des privaten Sektors treiben zu lassen.