Die Föderalismusreform, die „Mutter aller Reformen“, ermöglicht das Durchregieren im Bund und das Hauen und Stechen der Landesfürsten – die Bürger aber, werden mit leeren Händen dastehen.
In einer sog. Spitzenrunde, an der unter anderen die Vorsitzenden der Koalitionsfraktionen, Volker Kauder und Peter Struck, Justizministerin Brigitte Zypries sowie mehrere Länder-Regierungschefs teilnahmen, wurde hinter verschlossenen Türen am 16. Februar Einvernehmen über die Föderalismusreform erzielt. An 40 Stellen muss nun mit dieser tiefgreifendsten Verfassungsreform seit 1949 unser Grundgesetz geändert werden – und kaum jemand fragt, was das für die Bürgerinnen und Bürger bedetuen wird.
„Beschleunigung und Transparenz“, weniger Einspruchs- und weniger Mitbestimmungsrechte des Bundesrates bei Bundesgesetzen, deutlich mehr Befugnisse für die Länder vor allem im Hochschul- und Umweltrecht sind die Hauptüberschriften der grundlegendsten Umkrempelung unseres Verfassungsgefüges.
Es gab ein wenig Grummeln von Umweltpolitikern verschlossenen Türen, die ein Umweltdumping befürchten. Es gab ein leises Aufstöhnen von Verwaltungsfachleuten, die ein Verwaltungswirrwarr zwischen den Ländern heraufkommen sehen. Einige Justizpolitiker sehen Gefahr im Verzuge für den einheitlichen Strafvollzug und einige Hochschulpolitiker warnen vor einem zunehmenden Bildungsprovinzialismus.
Ansonsten findet kaum eine öffentliche Debatte über „die Mutter aller Reformen“ (so Edmund Stoiber) statt. Im Kern geht es um das „Durchregieren“ der Bundesregierung und um einen prinzipiellen Systemwechsel vom kooperativen zum „Wettbewerbsföderalismus“.
Im Dominikanerinnenkloster Cazis, im Kanton Graubünden in der Süd-Ostschweiz, wird eine Maria-Ikone aus dem 9. Jahrhundert angebetet, sie trägt den Namen „Mutter der Reformen“. Das Muttergottesbild kennzeichnet die weit geöffneten Augen und die großen leeren Hände Mariens. Dieses Bild symbolisiert aller Voraussicht nach ziemlich genau das Befinden, das sich bei den Bürgerinnen und Bürger nach der Föderalismusreform als Mutter der Reformen einschleichen dürfte: Sie werden mit ängstlich aufgerissenen Augen verfolgen können, wie künftig der Bund den Sozialstaat noch reibungsloser abbauen kann und wie die Länder – den Gesetzen des Standortwettbewerbs folgend – sich gegenseitig auskonkurrieren werden und Kleinstaaterei herrschen wird: Durchregieren auf Bundesebene und Hauen und Stechen unter den Landesfürsten, zu Lasten der Menschen, die in jedem Land auf unterschiedliche Verwaltungsvorschriften stoßen werden und das Auseinanderdriften der Lebensverhältnisse in den verschiedenen Regionen Deutschlands. Am Ende der Reform werden mehr Menschen mit leeren Händen da stehen. Ihnen bleibt dann vielleicht nur noch ein Mariahilf-Stoßgebet vor der „Mutter der Reformen“ bei den Dominikanerinnen im Kloster.
Außer einer dreijährigen Übergangsfrist bis zur vollen Gültigkeit der zusätzlichen Rechte der Länder, ist bei der abschließenden Verständigung, die schon am 10. März 2006 in den Bundestag eingebracht werden soll, keine wesentliche Änderung zu dem zu erkennen, was schon in der Koalitionsvereinbarung beschlossen wurde.
Deshalb brauchen wir nichts zurücknehmen, von dem, was wir damals geschrieben haben: „Vom kooperativen Föderalismus zum Wettbewerbsföderalismus – künftig herrscht zwischen den Ländern das Recht des Stärkeren.“