Trotz negativer Presse und Protesten macht Nordrhein-Westfalens Justizminister keinen Rückzieher: Deutschlands führende Cum-Ex-Jägerin wird entmachtet und erhält einen Schießhund an ihre Seite. Über die Pläne zur Zerstückelung ihrer Ermittlungseinheit wurde am Mittwoch der Rechtsausschuss des Düsseldorfer Landtags informiert. Begründung: Die Frau braucht Entlastung, damit sie nicht krank wird. Alle mal lachen! Von Ralf Wurzbacher.
Nun ist es amtlich: Die hierzulande renommierteste Cum-Ex-Ermittlerin wird entmachtet. Am Mittwoch wurde der Rechtsausschuss des Düsseldorfer Landtags über das Vorhaben unterrichtet, die Hauptabteilung H der Kölner Staatsanwaltschaft aufzuspalten und der bisherigen Leiterin Anne Brorhilker einen gleichberechtigten Co-Chef an die Seite zu stellen, der von der Materie keine Ahnung hat. Als Überbringer der Botschaft betätigte sich höchstpersönlich Nordrhein-Westfalens Justizminister Benjamin Limbach von der Grünen-Partei. Man wolle die Oberstaatsanwältin entlasten und „Möglichkeiten für eine effizientere und zügigere Aufgabenerledigung“ eröffnen, begründete der 53-Jährige den Schritt. Der Vorgang sorgt behördenintern für „beispiellosen Streit“, schrieb am Donnerstag das Handelsblatt (hinter Bezahlschranke). Brorhilker selbst bezichtige den Minister „praktisch der Lüge“.
Wie die NachDenkSeiten am Mittwoch unter dem Titel „Schütz’ den Scholz!“ berichtet hatten, ist die Volljuristin die treibende Kraft bei der Aufklärung des wohl größten Finanzskandals in der deutschen Geschichte. Sie hat bisher fünf Prozesse gegen Schlüsselfiguren und Profiteure der Wirtschaftsverbrechen angestoßen und erwirkte dabei fünf Schuldsprüche. Aktuell muss sich der frühere Chef der Hamburger Warburg-Bank, Christian Olearius, vorm Landgericht Bonn wegen des Vorwurfs der besonders schweren Steuerhinterziehung in 14 Fällen verantworten. Die Anklageschrift stammt aus der Feder Brorhilkers. Bei Cum-Ex-Geschäften ließen sich die Beteiligten Steuern erstatten, die sie gar nicht gezahlt hatten, wodurch dem Fiskus ein Schaden von schätzungsweise zwölf Milliarden Euro entstand.
Dem Kanzler zu Diensten
Die Warburg-Affäre dreht sich auch um „Erinnerungslücken“ des amtierenden Bundeskanzlers. Als Hamburger Regierungschef trug Olaf Scholz (SPD) mutmaßlich dazu bei, dass die Finanzverwaltung der Hansestadt auf eine Steuerrückforderung in Höhe von 47 Millionen Euro gegen das Geldhaus verzichtete. Olearius hatte der SPD seinerzeit nicht nur reichlich Geld gespendet. Tagebucheinträge des Bankiers dokumentieren überdies drei Treffen mit dem damaligen Ersten Bürgermeister, bei denen über das Thema Cum-Ex gesprochen wurde. Scholz kann sich an diese Unterredungen heute angeblich nicht mehr entsinnen. Der frühere Bundestagsabgeordnete der Partei Die Linke, Fabio de Masi, hat deshalb gegen ihn Strafanzeige wegen uneidlicher Falschaussage gestellt. Sollte Scholz der Lüge und als Helfershelfer eines Steuerdiebs überführt werden, dürfte das ein politisches Erdbeben auslösen.
Der Schluss liegt nahe: Wer Brorhilker ausbremst, bewahrt nicht nur Topbanken und Topmanager vor Ungemach, sondern mithin auch Scholz. In Hamburg befasst sich ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss mit dem Warburg-Komplex und versucht seit Langem erfolglos, die Herausgabe von Ermittlungsakten aus Köln zu erwirken. Zu den Dokumenten gehören vermutlich brisante E-Mails enger Mitarbeiter des Kanzlers, etwa des heutigen Kanzleramtschefs Wolfgang Schmidt oder seiner einstigen Büroleiterin. Justizminister Limbach hatte die Staatsanwaltschaft wiederholt wegen der Verzögerungen gerügt und schon vor zwei Monaten zugesichert, das erbetene Material zu übergeben. Tatsächlich warten die Hamburger immer noch darauf. „NRW liefert uns Berge von Daten, nur nicht die, die wir seit über einem Jahr anfordern“, zitierte das Handelsblatt Norbert Hackbusch, der für Die Linke in der Bürgerschaft sitzt. Auch der CDU-Abgeordnete Richard Seelmaecker fühlt sich hingehalten. Mit Blick auf Limbach sagte er gegenüber den NachDenkSeiten, diesem würden „Ambitionen in Zielrichtung Bundespolitik nachgesagt“.
Doppelte Täuschung
Nach Brorhilkers Darstellung betreibt Limbach eine doppelte Täuschung. In einem an die Personalvertretung der Staatsanwälte in NRW adressierten adressierten Brief, dessen Inhalt „Insider“ an die Presse durchsteckten, nennt sie die Aussagen ihres obersten Dienstherrn „widersprüchlich, irreführend und verzerrend“. Demnach seien die fraglichen Papiere dem Ministerium schon im Frühjahr zugeleitet worden. Später dann habe Limbach Daten abholen lassen, „die er schon hatte, andererseits weigerte er sich, Daten für Hamburg zu kopieren, die zur Aufklärung besonders wichtig sind“. Wäre dem so, hätte Limbach die Aufklärung des Warburg-Falls selbst sabotiert und die Schuld dafür der Kölner Staatsanwaltschaft in die Schuhe geschoben, um nun die konstruierten Verfehlungen für deren Umbau zu instrumentalisieren.
In offiziellen Verlautbarungen hatte der Minister diesen stets als Anliegen des leitenden Staatsanwalts verkauft. Ernannt hat er besagten Stephan Neuheuser allerdings erst im August, nachdem dessen Vorgänger, Joachim Roth, erklärtermaßen wegen des „Cum-Ex-Chaos“ und „freiwillig“ seinen Posten räumte. Neuheuser sowie der zu Brorhilkers „Aufpasser“ (Wortlaut der Frankfurter Allgemeinen Zeitung) berufene Ulrich Stein-Visarius stammen aus der Entourage Limbachs. Ersterer arbeitete bis Juli im Justizministerium, Letzterer wirkt dort noch heute, als Referatsleiter Jugendstrafrecht.
Wenn mal wer krank wird…
Geradezu komödiantisch muten die Einlassungen an, mit denen Limbach die faktische Degradierung Brorhilkers im Rechtsausschuss rechtfertigte. „Ich habe mehrfach von der exzellenten Arbeit des Cum-Ex-Teams berichtet und stehe auch weiterhin dahinter“, bekräftigte er nach einem Bericht des Managermagazins. Eine einzelne Führungskraft könne der enormen Aufgabenfülle jedoch nicht ausreichend Rechnung tragen. „Außerdem muss die äußerst anspruchsvolle Leitung der Cum-Ex-Ermittlungen durch die Verteilung von Wissen und Verantwortung auf zwei gleichrangige Hauptabteilungsleitungen strukturell abgesichert sein, um eine längerfristige Kontinuität auch bei einem unvorhergesehenen, etwa krankheitsbedingten Ausfall zu gewährleisten“, so der Minister. Das war sicherlich nicht als Drohung gedacht, sondern soll wohl die pure Fürsorge des Ministers ausdrücken, schließlich sind auch Oberstaatsanwältinnen nicht vorm Burn-Out gefeit. Allein: Man nimmt es Limbach nicht ab, so wenig wie sein Lamento vor dem Rechtsausschuss, die Fälle von Steuerraub drohten zu verjähren oder könnten mit billigen „Deals“ enden, weil die Ermittlungen ins Stocken geraten könnten.
Gegenwind erfährt der Minister auch von der Kölner Generalstaatsanwaltschaft. Von der ist zu hören, bei der Neuordnung handele es sich „um Strukturüberlegungen des Ministeriums der Justiz des Landes NRW“ – ein Hinweis mehr darauf, dass nicht Neuheuser die Pläne ausgeheckt hat. Nach einem dem Westdeutschen Rundfunk (WDR) vorliegenden Bericht des Generalstaatsanwalts Thomas Harden missfällt auch diesem das Projekt. Die Pläne seien „nicht zielführend“, und es könne der Eindruck entstehen, die Cum-Ex-Ermittlungen würden behindert. Brorhilker selbst hat in besagtem Schreiben klargestellt, mit der Neukonzeption ihrer Abteilung übergangen und lediglich mündlich darüber in Kenntnis gesetzt worden zu sein. Sie sorge sich, dass die Umgestaltung zum Ende des bisher einheitlichen Ermittlungskonzepts führen könne. Limbach dagegen hatte vor dem Ausschuss gesagt, es müsse vermieden werden, dass diese Taten womöglich verjähren oder mit billigen „Deals“ enden, weil die Ermittlungen ins Stocken geraten.
Eine Runde Schampus auf O.
So sieht das auch Gerhard Schick, Vorstand der Bürgerbewegung Finanzwende: Dass die Oberstaatsanwältin „jetzt viele Fälle an einen in Materie und Rechtsgebiet unerfahrenen Juristen abgeben soll, ist ein Knüppel zwischen die Beine der ermittelnden Staatsanwälte“, äußerte er sich im Anschluss an die Rechtsausschusssitzung in einem Pressestatement, und weiter: „Ich befürchte, dass jetzt diejenigen wieder die Oberhand bekommen, die viele Verfahren gegen Geldbuße einstellen wollen, statt jeweils zu ermitteln und gegebenenfalls anzuklagen.“
Und dann setzte Schick noch hinzu: „Mehr als einmal haben bei Cum-Ex politische Fehlentscheidungen die Sektkorken bei den Cum-Ex-Bankern knallen lassen. Heute ist wohl wieder so ein Tag.“ Dass am Mittwochabend im Kanzleramt gebechert wurde, ist bloß ein böses Gerücht.
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Titelbild: Screenshot ARD