Europäische Freunde und Feinde der einst schönsten Nebensache der Welt kommen in diesem Jahr aus dem Staunen nicht mehr raus. Mit Ronaldo, Neymar und Karim Benzema wechselten nun bereits drei Weltstars des Fußballs in die Wüste Saudi-Arabiens. Zahlreiche – oft sogar jüngere – Topstars aus der ersten Reihe folgten. Und dies ist erst der Anfang. Der saudische Staatsfonds soll bis zum Jahr 2030 die unvorstellbare Summe von 20 Mrd. Euro allein für Transfers zur Verfügung gestellt haben; die astronomischen Gehälter für die Stars sind da noch nicht einmal mit eingerechnet. Man könnte nun sagen, dies sei das Ende des Fußballs, wie wir ihn kennen. Man könnte aber auch sagen, diese Entwicklung ist nur logisch und folgerichtig, treiben die Saudis doch nur eine Entwicklung auf die Spitze, die in Europa gestartet wurde. Und wie bei so vielen anderen Dingen haben sich die Kräfteverhältnisse global verschoben. Europa ist nicht mehr der Nabel der Welt und wird dies auch im Fußball womöglich bald auch nicht mehr sein. Von Jens Berger.
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Der saudische Einkaufsbummel in der Beletage des Weltfußballs lädt förmlich zu Anekdoten ein. So mutet es bestenfalls tragikomisch an, wenn sich ein Fußballstar wie der Brasilianer Neymar neben einem geschätzten Salär von 160 Millionen Euro pro Jahr auch sieben Luxusautos für sich und seine Entourage, eine Villa mit 25 Zimmern, drei Saunen, Pool und Bediensteten, einen stets startbereiten Privatjet samt Piloten und – man höre und staune – einen stets verfügbaren Vorrat seines geliebten Açai-Safts im Arbeitsvertrag mit dem saudischen Klub Al-Hilal vertraglich zusichern ließ. Für jeden Instagram-Post, in dem er die saudische Fußballliga lobt, kriegt Neymar übrigens stolze 500.000 Euro. Andere Clickworker in Asien bekommen deutlich weniger. Was soll man dazu eigentlich noch schreiben?
Oder wie sieht es mit dem mittlerweile 38-jährigen „Gesamtkunstwerk“ Ronaldo aus? Der Portugiese ist dank fürstlich dotierter Verträge in Europa und einer sicherlich genialen Vermarktungsstrategie bereits Milliardär geworden. Während andere sehr erfolgreiche Fußballer in diesem Alter vielleicht bereits an ihr Vermächtnis denken und in den Sportgeschichtsbüchern irgendwie als Vorbild für die Jugend in Erinnerung bleiben wollen, ließ Ronaldo sich ganz profan von den Saudis als Edelsöldner einkaufen. Sicherlich, das Schmerzensgeld ist mit 200 Millionen Euro pro Jahr äußerst üppig. Aber ist dies nicht auf die Spitze getriebene Gier? Welchen Grenznutzen hat ein Milliardär von noch mehr Geld? Wäre es – zumindest für das Image – nicht besser, er hätte sich mehr oder weniger stilvoll in den Ruhestand verabschiedet und würde als Philanthrop eine Stiftung gründen, die – sagen wir – kleine Nachwuchsfußballer in Afrika unterstützt? Dafür könnte sie sich ja – wir sind ja nicht naiv – dann die lebenslangen Vermarktungsrechte der kickenden Kinder sichern. Aber nein, der milliardenschwere Weltstar geht lieber für viel, ja sehr viel Geld in die Wüste.
Da grollt es doch sicher bereits bei Ihnen moralinsauer im Hinterkopf. So was hätte es früher nicht gegeben. Ein Uwe Seeler hat bekanntlich damals in den 1960ern sein Häuschen in Hamburg einem Millionenvertrag in Mailand – der inflationsbereinigt sicher auch Ronaldo-Verhältnisse hatte – vorgezogen. Alles richtig. Aber einige Jahre später waren es die alternden Weltstars Franz Beckenbauer und Pele, die sich für sehr viel Geld in der amerikanischen Operettenliga NASL ihre Karriere vergolden ließen. Die 12 Millionen Dollar, die Pele damals in New York kassierte, entsprechen übrigens inflationsbereinigt heutigen 83 Millionen Dollar. Neu ist das alles also nicht.
Und die Moral? Klar, Saudi-Arabien lässt kritische Journalisten zerstückeln. Die USA ließen in Vietnam Dörfer mit Napalm bombardieren, als Pele und Beckenbauer dem Lockruf des großen Geldes folgten. Moralisch sauber waren derart märchenhafte Gehälter für Sportstars noch nie. Und überhaupt – der Brasilianer Neymar hat im moralisch ach so sauberen Europa auch bereits geschätzte 50 Millionen Euro pro Jahr verdient. Bezahlt von seinem damaligen Arbeitgeber Paris Saint Germain, der der Qatar Holding gehört, also dem katarischen Staatsfonds. Katar oder Saudi-Arabien? Macht das einen so großen Unterschied? Der aus europäischer Perspektive einzige Unterschied ist wohl, dass man bei Paris Saint Germain zumindest die Illusion hat, dies könnte ein europäischer Fußballverein sein.
Sic transit gloria mundi. Europäisch ist am europäischen Spitzenfußball schon lange nichts mehr. Erst waren es milliardenschwere russische Oligarchen und amerikanische Finanzakrobaten, die sich Stück für Stück die Filetstücke des britischen Profifußballs kauften, später entdeckten die Ölscheichs rund um den Persischen Golf und Milliardäre aus Asien, dass Fußballvereine in Europa ein spaßbringenderes Investment als Rennkamele sind. Sie sind – so paradox es klingt – Amateure im eigentlichen Sinne des Wortes. Sie kaufen sich Fußballvereine und Fußballstars, weil sie Spaß an der Sache haben. Dagegen haben die Profis im europäischen Fußballbusiness keine Chance, müssen sie doch auf Zahlen achten. Im letzten Finale der UEFA Champions League siegte so mit Manchester City ein Klub, der sich im Besitz der Herrscherfamilie des arabischen Emirats Abu Dhabi befindet, über Inter Mailand, einem Klub, dessen Besitzer ein chinesischer und ein indonesischer Milliardär sind. Auch wenn in Europa gespielt wird – der ganze Zirkus gehört schon längst Arabern und Asiaten.
Da ist es wohl nur folgerichtig, die Spielstätten des Fußballzirkus gleich ganz in die eigenen Gefilde zu holen. Und auch hier hat Europa selbst die Weichen gestellt. Die Zuschauer im Stadion sind doch längst Staffage und austauschbar. Entscheidend sind die Pay-TV-Verträge und auch hier zählt schon lange nicht mehr der kleine Fan vor Ort, sondern der Weltmarkt und hier vor allem die wachsenden Billionenmärkte in Asien. Und glaubt irgendwer ernsthaft, dass es einen Inder oder Chinesen interessiert, ob Ronaldo und Co. nun in Riad oder in Gelsenkirchen im Stadion auflaufen? „Unsere“ Tradition taugt – wenn überhaupt – nur als Marketingclaim im globalen Business. Die Fußballwelt ist multipolar und wir sind nicht mehr die Herren des Spiels, sondern Statisten. Aber unterscheidet sich der Fußball darin so großartig von der Weltpolitik?
Bis 2030 soll die saudische Profiliga nun zu den fünf größten Ligen der Welt gehören. Schon heute können sich auch deutsche Zuschauer die Spiele über die Streaming-Portale von Telekom und DAZN kostenpflichtig anschauen. Aber der schmale deutsche Geldbeutel entscheidet ja eh nicht, welche Liga sich künftig durchsetzt. Und für den finanziell potenten Gelegenheitsfußballfan aus Guangzhou könnte das Riader Stadtderby Al-Hilal gegen Al-Nassr mit Topstars wie Ronaldo, Neymar, Mané, Brozovic oder Ruben Neves durchaus interessanter sein als das Aufeinandertreffen von VfL Bochum und SV Darmstadt 98 in der Bundesliga mit Spielern, die international selbst Kennern meist kein Begriff sind.
Schöne neue Fußballwelt. Aber warum sollte das Milliardengeschäft Fußball nach anderen Regeln funktionieren? Auch ökonomisch und politisch ist Europa zumindest relativ auf dem absteigenden Ast. Das 21. Jahrhundert wird multipolar und asiatisch. Warum sollte das beim Fußball anders sein? Und das ist – weiß Gott – kein Grund, Trübsal zu blasen. Vielleicht ist dies vielmehr eine großartige Chance für den deutschen Fußball. Small is beautiful. Wenn das Big Business sein Interesse am deutschen Fußball verliert, könnten die echten Fans es wiedergewinnen und in ein oder zwei Jahrzehnten werden wir in unseren Stadien wieder stimmungsvollen, wenn auch qualitativ zweitklassigen Fußball bei bezahlbarer Bratwurst auf einem Stehplatz in der Kurve verfolgen können, während diejenigen, die Spaß an sowas haben, sich abends für den Gegenwert einer Jahreskarte das FIFA-Champions-League-Finale zwischen einem saudischen und einen katarischen Klub mit all den milliardenschweren Weltstars im Pay-TV anschauen können. Dann wären wenigstens die Verhältnisse geklärt und man könnte zu den Wurzeln zurückkommen. Wäre das so schlimm?
Titelbild: AlHilal via Twitter