Landauf, landab kämpfen zahlreiche Beschäftigte des Groß- und Einzelhandels (etwa fünf Millionen) um gerechte Löhne, Gehälter, Ausbildungsvergütungen, bessere Arbeitsbedingungen. Allein die Gegenseite, die Arbeitgeber, verweigert sich bislang, den Forderungen der Arbeitnehmer angemessen nachzukommen, torpediert den Arbeitskampf, bezeichnet Streiks als illegitim und versucht, das Recht zu streiken auszuhebeln. Diese Woche begannen neue Verhandlungsrunden – die Beschäftigten sagen: „Wir haben mehr verdient als Applaus und einen feuchten Händedruck.“ Verdient haben sie auch mehr Aufmerksamkeit und Beachtung durch die Medien. Ein Kommentar von Frank Blenz.
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Die Arbeitgeber jubeln
Im Beitrag hieß es im Sommer: Der Handel brummt, trotz allem, freuen sich die Arbeitgeber. Die Gewinne sprudeln, das Handelsblatt jubelt angesichts exklusiver Analysen, die zum Schluss kommen, dass die Konzerne ihre Profite selbst in all den gemachten Krisen bis heute gesteigert haben.
Die Arbeitnehmer werden kurzgehalten – genug damit
Der Sommer ist vorbei und die Situation der Arbeitnehmer die gleiche: Während die wenigen Handelsriesen weiter Jahr für Jahr satte Gewinne einstreichen, lassen die Bosse ihre Belegschaften, die diese Gewinne erwirtschaften, im Regen stehen. Wer das bisher nicht bemerkt hat, der höre auf die Arbeitnehmer: „Alles wird teurer, nur wir sollen billiger werden“, kritisieren Streikende im gerade wieder in Fahrt kommenden Arbeitskampf im Groß- und Einzelhandel die Politik der Arbeitgeberseite. Mitte September beginnen neue Verhandlungsrunden, Streiks, Mahnwachen.
Die Streikenden verdienen endlich mehr als eine Lohnerhöhung „mit Augenmaß“, wie es die Arbeitgeberseite stets eloquent wie kühl kalkulierend formuliert. Nein, so nicht, es geht um mehr als um „mehr Lohn“: Erstens muss eine angemessene Lohnerhöhung (im Angesicht der opulenten Gewinne) her, die nicht nur die steigenden Lebenshaltungskosten abdeckt, zweitens eine finanzielle Würdigung, die die harte Arbeit und den Einsatz der Beschäftigten im Einzelhandel honoriert. Drittens müssen die Arbeitsbedingungen dringend verbessert werden. Allein die schönen Prospekte, die cool klingenden Musiken in den Supermärkten, die permanenten Werbeslogans, auf dass die Kunden ja da und da und da prächtig sparen, weil die Preise dauergünstig sind, schauen vielmehr nach einer höhnischen Falschdarstellung der Arbeitswelt der Beschäftigten und des eigentlichen Geschäftsgebarens aus inklusive Schummelpreise, Schummelverpackungen und so weiter.
Die Bezahlung stimmt nicht, die Arbeitszeitmodelle sind arbeitnehmerunfreundlich und perspektivlos, das Betriebsklima von Druck, Kontrolle, Misstrauen und Geringschätzung geprägt, erfahre ich in Gesprächen mit Betroffenen. Und ich erlebe selbst als Kunde, wie erschöpft, mitunter apathisch und resigniert gerade die „kleinen“ Verkäuferinnen sind, die an der Kasse sitzen, die Regale einschichten, die kaum in Ruhe Pause machen können. Dass dieses Personal dazu noch um Arbeitszeit und Arbeitskraft betrogen, ja beschissen wird, erfahre ich auch. Das geht zum Beispiel so: Die Arbeitszeit beginnt in der Frühschicht (der Laden öffnet zum Beispiel um 7 Uhr) also 6.30 Uhr. Die Arbeitskraft ist aufgefordert, ja es wird erwartet, dass sie eine Viertelstunde eher vor Ort ist. Diese Viertelstunde wird nicht bezahlt, die taucht in keiner Statistik auf, doch diese Zeit arbeitet die Kraft – für das Unternehmen. Abends nach der Schicht kommen Beschäftigte ebenfalls oft nicht pünktlich aus dem Laden… Man addiere diese Zeiten der vielen, oft in Teilzeit Beschäftigten.
Erste Erfolge in den Verhandlungen in Aussicht?
Zurück an den Verhandlungstisch. Die Arbeitgeberseite hat angekündigt, die Löhne und Gehälter anzuheben, bemerkt die Gewerkschaft Verdi. Kritik kommt prompt von Verdi, die vorrechnet, was die „Erhöhung“ für eine Verkäuferin bedeutet.
Unsere Streiks zeigen Wirkung: Im Laufe unseres Bundeskongresses haben die Arbeitgeber im Einzelhandel angekündigt, 5,3 Prozent freiwillig zu zahlen. Der Handelsverband Deutschland (HDE) mit einem Vorstoß in die laufenden Tarifverhandlungen im Einzelhandel eingemischt [sic]. Er empfiehlt eine „freiwillig anrechenbare Vorweganhebung“ der Löhne und Gehälter um 5,3 Prozent. Die Rewe-Gruppe kündigte bereits an, das zusätzliche Geld auszuzahlen. Verdi-Chef Frank Werneke empfindet eine solche Erhöhung im laufenden Jahr als „ein Schlag ins Gesicht für die Beschäftigten im Handel“. „Das sind für eine Verkäuferin 92 Cent die Stunde, und das bedeutet Reallohnverlust. Die Beschäftigten beziehen ohnehin schon sehr niedrige Löhne, und die Inflation der letzten Monate frisst die Löhne zusätzlich.“
(Quelle: verdi.de)
Festhalten an Perspektivlosigkeit in den Beschäftigungsverhältnissen
Mindestziel der Tarifrunde ist eine deutliche Einkommenssteigerung. Damit würde ein Beitrag zur Bekämpfung von drohender Armut und Altersarmut von Beschäftigten im Handel geleistet, so Verdi. Man muss sich das vorstellen: Das Wort „Frauenaltersarmut“ steht im Raum, denn der Anteil von Frauen im Einzelhandel liegt bei etwa 66 Prozent. Kaum eine andere Branche ist so von prekärer Beschäftigung gekennzeichnet, oft verharren die Frauen in Teilzeitarbeit oder in geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen. Andere Verträge sind schwer zu bekommen, der Personalschlüssel in den Filialen ist von Arbeitgeberseite so „ökonomisch“ geschickt eingerichtet, dass die Last, die Flexibilität und Rentabilität ausschließlich auf Seiten der Verkäuferin liegt. Die finanzielle Folge: bei vielen Beschäftigten reicht das Einkommen nicht (mehr) zum Leben.
Keine rosige Zukunft für die Beschäftigten
Selbst wenn die Verhandlungen schließlich zu ein paar Verbesserungen bei den Gehältern führen sollten, die man dann vielleicht in den Medien als ausgewogen und gut verkauft bekommt, bleibt die Lage der Beschäftigten, im Besonderen ihre soziale, ihre kulturelle, ihre gesellschaftliche Stellung hierzulande die gleiche. Freiwillig wird kein großer Unternehmer der derzeitig vorherrschenden Ausprägung etwas vom Mehr an Profit hergeben, freiwillig wird er nicht dafür sorgen, dass es seinen Angestellten gut geht, so lange stillgehalten, mitgemacht, sich arrangiert wird. Selbst wird er nicht umschwenken und sagen, es muss auch anders gehen, ein Unternehmen zu führen: zum Wohl aller.
Viele, gerade Teilzeitarbeitende haben aber keine Handhabe, dagegen aufzubegehren. Sie sind wenig organisiert und informiert, sie brauchen den Job, das Wenige, um damit gerade schlecht und recht klarzukommen.
So lange es also keine maßvollen Unternehmen gibt, so lange nicht von einer würdevollen Kultur im Umgang mit arbeitenden Menschen gesprochen werden kann, so lange Frauen in den vielen Supermärkten unter bekannten und stets sichtbaren, teils miesen Bedingungen arbeiten müssen, ist selbst eine Lohnerhöhung kein Trost.
Die jetzige Arbeitgeber-Klasse ficht es nicht an, sie sitzen die Streiks aus. Sie tragen den Mangel an Bewerbungen interessierter Menschen, die vielleicht in einem Supermarkt arbeiten würden, es der Bedingungen wegen aber lassen, auf dem Rücken der Belegschaft aus. Warum finden sich nicht genügend Mitarbeiter? Warum wollen Menschen nicht derartige Jobs machen? Warum nimmt die landesweite Diskussion über Arbeit, Arbeitszeit, Bedingungen, Fahrt auf, und doch tut sich wenig?
Der Film „Die Aldi-Brüder“ (ARD) entlarvt diese Art geizige „Unternehmensphilosophie“. Im Film kommt eine alte Dame, die von 1949 bis 1955 bei „Albrecht“ arbeitete, zu Wort: „Großzüjig war’n die nich!“ Man fragt sich, wie es sein kann, dass man einerseits Lebensmittel verkauft, Mittel zum Leben, andererseits so hart mit den Menschen umgeht, nur um sich an steigenden Gewinnen und einem Anwachsen von Macht und (Monopol)-Stellung zu ergötzen?
Der bekannte Supermarktslogan „Wir lieben Lebensmittel“ heißt eben nicht „Wir lieben unsere Mitarbeiter“. Die Zukunft wird es zeigen: Wenn es geht, wird ohne Zögern Mensch durch Roboter ersetzt, durch Kunden-selbst-ist-der-Mann-Kassen, dieser neue Trend ist ja schon angelaufen. Und Selbstbedienungsleergutautomaten sind auch schon lange im Einsatz. Ob die durch diese Personaleinsparungen generierten Mehrerlöse zu einem Senken der Preise und zu besseren Löhnen für die verbliebenen Mitarbeiter führen? Mir sagt eine Verkäuferin darauf: „Träumen Sie weiter.“
Titelbild: Jacob Lund/shutterstock.com