Man kann grundsätzlich darüber streiten, ob es richtig war und ist, die Ukraine in ihrem Kampf gegen Russland militärisch zu unterstützen, aber diese politische Entscheidung ist ja bereits unmittelbar nach dem Einmarsch der russischen Streitkräfte in die Ukraine gefallen. Die berechtigte Frage ist allerdings, ob die Bundesregierung diese Entscheidung unter dem Aspekt der aktuellen Waffenlieferungen durch Großbritannien und die USA nicht schon im Frühjahr dieses Jahres hätte auf den Prüfstand stellen müssen. Von Jürgen Hübschen.
Die veränderte Haltung der Bundesregierung von einem strikten Nein bis zur militärischen Unterstützung der ukrainischen Gegenoffensive
In diesem Zusammenhang ist zunächst noch einmal daran zu erinnern, dass die Bundesregierung weder das Ziel ihrer militärischen Unterstützung der Ukraine definiert hat noch über eine sicherheitspolitische Strategie verfügt, wie dieses nicht klar benannte Ziel erreicht werden kann. Dabei verläuft die Art der militärischen Unterstützung immer nach demselben Muster. Nachdem die Bundesregierung das bis zum Ukrainekrieg geltende Prinzip ‚keine Waffen in Kriegs- und Krisengebiete‘ aufgegeben hatte und damit als möglicher Vermittler für einen Waffenstillstand und eine darauf basierende Friedensregelung nicht mehr zur Verfügung stand, lieferte sie nach immer demselben Strickmuster immer schwerere Waffen. Nach der Aufgabe des Nein zur Waffenlieferung in Kriegs-und Krisengebiete lieferte Deutschland zunächst militärische Ausrüstung an die ukrainischen Streitkräfte. Auf diese Unterstützung folgte die Lieferung von Handfeuerwaffen zur Selbstverteidigung.
In einem zweiten Schritt wurde die persönliche Bewaffnung der Soldaten durch Panzerfäuste und Fliegerfäuste ergänzt. Diese Unterstützung wurde – wie immer nach erheblichem Zögern und nur auf innenpolitischen Druck sowie aufgrund von sehr präzisen und öffentlichen Forderungen Kiews – ausgeweitet auf Waffensysteme, die man im weitesten Sinne noch der Selbstverteidigung der Ukraine zuordnen konnte. Zusätzlich wurde – trotz einer Warnung durch den wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages vor einer möglichen Kriegsbeteiligung – damit begonnen, ukrainische Soldaten in Deutschland an den Waffensystemen auszubilden, die die Bundesrepublik an die Ukraine lieferte. Nach erneutem Zögern stimmte die Bundesregierung in weiteren Schritten der Lieferung von Schützenpanzern und dann auch von deutschen „Leopard“-Kampfpanzern zu.
Aktuell steht vermutlich die nächste Eskalation an, nachdem sich die Bundesregierung lange genug geziert hatte, nämlich die Lieferung von Lenkflugkörpern „Taurus“. Wie schon in der Vergangenheit – Kampfpanzer nur zu liefern, wenn die USA das auch machen – beruft man sich dabei erneut auf die Verbündeten. Großbritannien hatte mit dem Lenkflugkörper „Storm Shadow“ bereits eine Waffe geliefert, mit der das russische Kernland erreicht werden kann.
Neben der Ausbildung ukrainischer Soldaten in Deutschland agiert die Bundesrepublik mittlerweile ganz offiziell als militärischer Berater der ukrainischen Armeeführung. So hat jüngst der Leiter des Planungsstabes im Bundesministerium der Verteidigung, Brigadegeneral Dr. Christian Freuding, an einer entsprechenden Konferenz in Kiew teilgenommen und dort auch vorgetragen. Unter anderem sagte der General: „Ich kann hier versichern, wir unterstützen die Ukraine, so lange es nötig ist“, und weiter: „Wir teilen ihre Vision des Sieges.“ Die Ukraine müsse ihre territoriale Integrität komplett zurückbekommen. Auf die Frage der amerikanischen Moderatorin der Veranstaltung, Anne Applebaum: „In den Grenzen von 1991?“ antwortete der deutsche General: „Exakt“ – also offensichtlich inklusive der Krim.
Lieferung von uranhaltigen Granaten und Streubomben
Uranhaltige Granaten
Im Frühjahr 2023 hatte Großbritannien entschieden, uranhaltige Munition für die Bewaffnung der von London an die Ukraine gelieferten Kampfpanzer „Challenger“ zu liefern. Diese Munition wurde sowohl von den USA und Großbritannien bereits in den Kriegen gegen den Irak und auch im Kosovo-Krieg eingesetzt. Dabei wurde billigend in Kauf genommen, dass die Gebiete, in denen uranhaltige Munition zum Einsatz kommt, langfristig verseucht sind. Internationale Untersuchungen haben u.a. bewiesen, dass es in diesen Regionen vermehrt zu schwersten Missbildungen bei Neugeborenen gekommen war, was auch heute noch zu beobachten ist.
Die Bundeswehr verfügt über diese Art der Munition nicht und lehnt ihren Einsatz, auch wegen der Folgen für die Zivilbevölkerung, ab. Allerdings ist der britische Kampfpanzer „Challenger“ wie auch der amerikanische Kampfpanzer „M1 Abrams“ mit dergleichen Kanone vom Kaliber 120mm ausgestattet wie der deutsche „Leopard“. Es ist also davon auszugehen, zumindest aber zu befürchten, dass diese Munition – trotz gegenteiliger Zusicherung der ukrainischen Regierung – auch von „Leopard“-Panzern verschossen wird.
Aktuell hat die US-Regierung angekündigt, ebenfalls uranhaltige Munition an die Ukraine zu liefern, sobald die ersten „M1 Abrams“ in der Ukraine eingetroffen sind.
Streubomben
Diese sogenannten Cluster Bombs sind Kampfmittel, die sowohl von Flugzeugen als auch durch Artillerie und Haubitzen eingesetzt werden können. Es sind praktisch Behälter/Geschosse, die mit einer unterschiedlichen Anzahl von Bomblets gefüllt sind. Sie sind hauptsächlich zur Bekämpfung von sogenannten „Weichzielen“, sprich Truppenansammlungen vorgesehen und können Flächen in der Größe von mehreren Fußballfeldern unpassierbar machen. Neben den vielen Blindgängern, die in einer solchen Bombe oder Granate enthalten sind, gibt es auch sogenannte „Lauermunition“, die mit einem Zeitzünder versehen ist und deshalb ggf. auch erst Tage später explodiert, sobald man auf so ein Bomblet tritt oder fährt.
Streubomben sind seit 2008 international geächtet. Allerdings haben z.B. Russland, die Ukraine und auch die USA diese Vereinbarung nicht unterzeichnet und fühlen sich deshalb auch nicht daran gebunden.
Die USA haben mittlerweile Streumunition in großem Umfang an die Ukraine geliefert, und zwar mit der Begründung, dass man nicht mehr genügend herkömmliche Artilleriegranaten im Bestand habe.
Die von den USA an die Ukraine gelieferten Artilleriegeschütze und Haubitzen haben das Kaliber 155mm, ebenso wie die deutsche Panzerhaubitze 2.000, welche seit Langem in der Ukraine im Einsatz ist.
Die Ukraine setzt Streumunition ein und begründet dies damit, dass auch Russland Streumunition verschieße. Angeblich verschießen die ukrainischen Streitkräfte diese Art von Munition nicht mit der deutschen Panzerhaubitze 2.000.
Für Deutschland hatte der damalige Bundesaußenminister und heutige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Vertrag über die Ächtung von Streumunition unterschrieben.
Die Bundeswehr hat ihre Bestände an Streubomben für das Kampfflugzeug „Tornado“ schon vor vielen Jahren vernichtet und lehnt den Einsatz dieser Waffen ab.
Der moralische Kompass
Wie bereits ausgeführt, kann man durchaus kontrovers darüber diskutieren, ob man die Ukraine umfassend militärisch unterstützen sollte oder nicht, aber es ist sicherlich falsch, seine politische Position ständig zu verändern. Das ist besonders unverständlich, wenn diese Veränderung nicht aus politischer Überzeugung der Bundesregierung und vor allem des Bundeskanzlers passiert, sondern auf innenpolitischen Druck durch die Opposition, aber auch aus den Regierungsparteien selbst und vor allem durch massive Einflussnahme von außen.
Unstrittig ist für mich allerdings, dass sich die deutsche Position an ethischen Normen orientieren muss, die auch von ihren westlichen Alliierten eingehalten werden müssen.
Das ist in puncto uranhaltige Munition und vor allem auch beim Einsatz der geächteten Streumunition nicht der Fall.
Aus meiner Sicht hätte es der moralische Kompass der Bundesregierung, falls es denn einen solchen gibt, zwingend erforderlich gemacht, bereits im Frühling in London vorstellig zu werden, um die deutsche Position zum Einsatz uranhaltiger Munition unmissverständlich klarzumachen. Man hätte die britische Regierung auffordern müssen, von der Lieferung dieser Munition abzusehen, und gleichzeitig deutlich machen müssen, dass Berlin sich nicht in der Lage sieht, weiterhin einer Allianz anzugehören, in der diese Munition zum Einsatz kommt. Leider ist das versäumt worden, und auch gegenüber Washington hat man diese Konsequenz vermissen lassen, als die USA sich entschieden hatten, die geächtete Streumunition an die Ukraine zu liefern. Berlin redet ständig über Moral und ethische Grundsätze, lässt diese aber vermissen, wenn es darüber zum Schwur kommt. Es ist zu befürchten, dass die Bundesregierung auch der amerikanischen Lieferung von uranhaltiger Munition und der damit verbundenen Verseuchung ganzer ukrainischer Gebiete tatenlos zusehen wird.
Nicht nur derjenige Staat, der international geächtete Munition und Granaten einsetzt, die schwerste Folgen für nachfolgende Generationen und die Umwelt haben, macht sich schuldig, sondern auch eine Regierung, die, wie Deutschland, einer solchen Allianz angehört und nichts dagegen unternimmt.
Am 15. September hat in Münster die 1. Westfälische Friedenskonferenz stattgefunden, über die leider in den Abendnachrichten von ZDF und ARD überhaupt nicht berichtet wurde. Auf dieser Konferenz hat Verteidigungsminister Boris Pistorius eine Rede gehalten, die den Bundeskanzler und alle deutschen Politiker zum Nachdenken anregen sollte. Pistorius stellte mit Bezug auf den Westfälischen Frieden fest, dass mit ausreichendem Willen, Mut und Kreativität auch Frieden in scheinbar aussichtslosen Fällen möglich sei. Der unbedingte Willen zum Frieden erfordere „Geduld, Hartnäckigkeit, Kompromissbereitschaft und Kreativität“. Diesen Sinn, sich an den Verhandlungstisch zu setzen und zu sprechen, wünsche er sich auch im Falle des Ukraine-Krieges. Leider ist davon in der aktuellen Lage noch nichts zu erkennen
Titelbild: Deutscher Marschflugkörper Taurus – Shutterstock / Sergey Kohl