Seit diesem Montag sitzt der frühere Chef und Mitinhaber der Privatbank M.M. Warburg, Christian Olearius, auf der Anklagebank. Die Staatsanwaltschaft Köln wirft dem Banker 14 Fälle besonders schwerer Steuerhinterziehung vor. Der entstandene Schaden soll sich auf 280 Millionen Euro beziffern. Das Verfahren findet am Landgericht Bonn statt, das sich inzwischen zu dem wichtigsten Ort für die juristische Aufarbeitung des Cum-Ex-Skandals entwickelt hat. Unter anderem wurde dort der Steueranwalt und „Cum-Ex-Strippenzieher“ Hanno Berger zu acht Jahren Haft verurteilt. Was den Fall Olearius jedoch von all den anderen unterscheidet, ist seine politische Brisanz. In dem Verfahren könnten neue Details über die Rolle von Bundeskanzler Olaf Scholz im Cum-Ex-Skandal ans Licht kommen. Von Thomas Trares.
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Doch wer ist dieser Christian Olearius überhaupt? Olearius wurde 1942 in Schlesien geboren, aufgewachsen ist er in Ostfriesland. Nach einem Jurastudium in Heidelberg startete er 1969 seine Bankenlaufbahn. Über die Braunschweigische Staatsbank, die Bremer Landesbank Kreditanstalt Oldenburg und die NordLB kam er 1986 schließlich zur Warburg-Bank, einer Privatbank mit einer mehr als 200-jährigen Tradition, die heute die Gelder der feinsten Hamburger Adressen verwaltet. Bis 2014 war Olearius Sprecher der Bank, danach trat er das Amt an seinen Sohn Joachim ab. Er selbst wechselte in den Aufsichtsrat, den er 2019 wieder verließ. Zusammen mit dem Firmenerben Max Warburg blieb Olearius aber weiter Hauptgesellschafter der Bank.
Olearius setzt auf Konfrontation
Dass Olearius nun in Bonn vor Gericht steht, ist vor allem seinen persönlichen Eigenarten geschuldet. Im Umgang mit den Behörden setzte er nicht auf Verständigung und Deeskalation, sondern auf Konfrontation. „Andere Banker haben sich in der Cum-Ex-Affäre herausgekauft, indem sie frühzeitig eine Einigung mit den Behörden suchten und fanden. Ein Deal ist für beide Seiten vorteilhaft: Für die Banken gibt es einen klaren Schnitt ohne weitere Risiken, der Staat spart sich ein kostspieliges Verfahren. Doch Olearius will sich nicht mit dem Finanzamt einigen. Stattdessen aktiviert er sein politisches Netzwerk“, schreiben dazu die Investigativ-Journalisten Oliver Schröm und Oliver Hollenstein in ihrem Buch „Die Akte Scholz“.[1]
Zu Olearius’ Netzwerk gehörten unter anderem die SPD-Politiker Alfons Pawelczyk und Johannes Kahrs. Pawelczyk war Innensenator und zeitweise Zweiter Bürgermeister der Hansestadt Hamburg. Er galt als so etwas wie die „graue Eminenz“ der Hamburger SPD. Kahrs dagegen war haushaltspolitischer Sprecher der SPD im Bundestag, Vorsitzender des einflussreichen Seeheimer Kreises, dem rechten Flügel der SPD-Bundestagsfraktion, und Chef des wichtigen SPD-Bezirks Hamburg-Mitte. Kahrs sollte für Olearius auf Bundesebene lobbyieren, Pawelczyk sich um Olaf Scholz kümmern. Sowohl gegen Pawelczyk als auch gegen Kahrs wird inzwischen ermittelt. Bei Kahrs ist nach wie vor nicht geklärt, woher die rund 200.000 Euro Bargeld stammen, die Ermittlungsbehörden vor zwei Jahren in seinem Bankschließfach gefunden haben.
Ex-BND-Präsident mit im Boot
Pawelczyk wiederum holte den früheren Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes (BND) und SPD-Mitglied, Ernst Uhrlau, mit ins Boot. Dieser sollte das Problem mit der „miesen investigativen Presse“ lösen, über die sich Olearius immer wieder erregte. Den Journalisten Klaus Ott von der „Süddeutschen Zeitung“ etwa bezeichnete er aufgrund eines kritischen Artikels einmal als Ferkel. Unterstützt wurde Olearius ferner von Franz Wauschkuhn, dem ehemaligen Wirtschaftschef des NDR, der sich um die Öffentlichkeitsarbeit kümmerte. Und nicht zuletzt ließ Olearius die Anwaltskanzlei Linklaters ein Gutachten über die Cum-Ex-Geschäfte der Bank schreiben. Das wenig überraschende Ergebnis: Die Bank ist unschuldig. Es gibt „keinen begründeten Zweifel“ an der Rechtmäßigkeit der Steuererstattung.
Die Geschichte von Cum-Ex reicht bei der Warburg-Bank zurück bis ins Jahr 2005. Damals hatte Olearius erstmals den „Cum-Ex-Strippenzieher“ Hanno Berger getroffen. Berger hatte seinerzeit bei zwei Kunden der Warburg-Tochter Marcard, Stein & Co. eine Idee präsentiert, wie sie im größeren Stil Steuern sparen könnten. Olearius wurde hellhörig. Kurze Zeit später wurden bei Warburg probeweise in kleinem Umfang Cum-Ex-Geschäfte betrieben. Zwischen 2007 und 2011 erzielt Warburg dann mit Cum-Ex-Geschäften Millioneneinnahmen. Zwar verdienten auch andere Bankhäuser an der Betrugsmasche, teilweise auch deutlich mehr als die Warburg-Bank. In dem komplexen Cum-Ex-Geflecht nahm das Institut jedoch einen zentralen Platz ein. Die Warburg-Bank war es, die sich die Steuern vom Finanzamt erstatten ließ und danach das Geld an weitere Geschäftspartner verteilte.
Warburg-Bank richtet sich neu aus
Heute, nach all den Wirren des Cum-Ex-Skandals, ist die Warburg-Bank dabei, sich neu auszurichten. Die Kerngeschäftsfelder wurden von vier auf drei reduziert, Beteiligungen abgestoßen, Personal abgebaut. Die in den vergangenen Jahren bestimmenden Themen Schiffsfinanzierungen und Cum-Ex-Geschäfte haben sich nach Angaben der Bank „wirtschaftlich erledigt“. Im vergangenen Jahr fuhr das Institut einen Verlust von knapp 35 Millionen Euro ein. Dieses Jahr soll es ein ausgeglichenes Ergebnis geben. Die Steuernachforderungen von insgesamt 155 Millionen Euro wurden im Januar 2021 zurückgezahlt. Dies ist insofern bemerkenswert, weil die Bank gegenüber den Behörden stets behauptet hatte, dass die Rückforderung der illegal erhaltenen Steuergelder für die Bank existenzgefährdend sei.
Wenig überraschend hingegen ist, dass sich Olearius bis zuletzt zu Unrecht verfolgt sah. Weder er selbst noch die Bank hätten illegal gehandelt, erklärte er. Im Bereich der Wirtschaftskriminalität ist dies der ermittelnden Kölner Staatsanwältin Anne Brorhilker zufolge ein weit verbreitetes Phänomen. In einem früheren Cum-Ex-Prozess sagte sie einmal: „Wirtschaftsstraftäter halten sich mehrheitlich für Personen, die wichtige und verantwortliche Mitglieder der Gesellschaft sind und sich nichts Strafbares zu Schulden kommen ließen. Die begangenen Taten deuten sie meist als im betrieblichen Interesse liegend. Die Überregulierungen durch den Staat, die Verantwortung für Arbeitsplätze, die in der Branche üblichen, zum Überleben notwendigen Gewohnheiten am Rande der Legalität machten die Taten unvermeidlich.“[2]
Tagebücher enthüllen Scholz-Verwicklung
Einer weiteren Eigenart von Olearius indes ist es zu verdanken, dass der nun begonnene Prozess eine derartige politische Brisanz bekommen hat. Die Rede ist von Olearius’ Faible fürs Tagebuchschreiben: „Nahezu jeden Abend setzt sich der Bankier hin und hält in krakeliger Handschrift die Ereignisse des Tages fest. In den mit schwarzem Leder eingeschlagenen Kladden, deren Deckel die Initialen CO zieren, vermischt sich Privates mit Beruflichem“, heißt es dazu in dem Buch von Schröm und Hollenstein.[3] Diese Tagebücher haben die Ermittler im März 2018 bei ihrer Razzia in Olearius’ Wohnhaus in Hamburg-Blankenese gefunden und ausgewertet. Erst durch sie kam ans Licht, dass sich Olearius in den Jahren 2016 und 2017 insgesamt drei Mal mit Olaf Scholz getroffen hat, um über das Thema Cum-Ex zu sprechen. Seither steht die Frage im Raum, ob Scholz als Erster Bürgermeister Hamburgs Einfluss auf das Cum-Ex-Steuerverfahren genommen hat – zu Gunsten des nun angeklagten Olearius. Man darf gespannt sein, ob der Prozess hier weitere Details zutage fördert. Der frühere Bundestagsabgeordnete der Partei Die Linke, Fabio de Masi, jedenfalls hat bereits Strafanzeige gegen Scholz gestellt – wegen uneidlicher Falschaussage zur Warburg-Affäre.
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