Regelmäßig wird von Politikern „des Westens“ erklärt, dass die Ukraine auch die Freiheit Europas verteidige. Besonders deutsche Politiker gebrauchen dieses Argument immer wieder, um die umfangreiche und grundsätzliche Unterstützung der Bundesregierung zu begründen und vor allem die massiven militärischen Lieferungen der Bundesrepublik Deutschland zu rechtfertigen. Erst kürzlich tat sich die bundesdeutsche Außenministerin damit hervor. Ein Blick hinter diese argumentative Fassade. Von Jürgen Hübschen.
Verteidigungsmaßnahmen gegen einen konkreten Angriff oder auf eine mögliche Bedrohung
Eine Verteidigungsmaßnahme, die der Abwehr eines konkreten Angriffs auf die territoriale Integrität eines Landes und damit dem Schutz der eigenen Bevölkerung dient, findet ihre Berechtigung im allgemeinen Völkerrecht und ist damit eigentlich selbsterklärend. Natürlich gibt es auch Verteidigungsmaßnahmen, die das Ziel haben, einen möglichen Angriff zu verhindern. Dazu bedarf es keiner konkreten Bedrohung. Sie sind sozusagen prophylaktischer Natur und nicht an einem bestimmten Gegner orientiert.
All diese Maßnahmen können national oder im Rahmen eines Verteidigungsbündnisses erfolgen. Es gibt auch, allerdings eher als eine Ausnahme, Verteidigungsmaßnahmen als Unterstützung eines anderen Staates, der darum gebeten hat, dem gegenüber aber keinerlei Bündnisverpflichtung besteht. In diese Kategorie, um es einmal als eine solche zu bezeichnen, fällt die militärische Unterstützung der Ukraine durch Deutschland. Eine derartige politische Entscheidung ist nicht zwangsläufig damit verbunden, dass im Rahmen einer solchen Unterstützungsleistung auch die eigene Freiheit verteidigt wird. Die deutsche Außenministerin hat allerdings bei ihrem aktuellen Besuch in Kiew gesagt:
„Wir in Europa wissen: Ihr verteidigt hier auch unsere europäische (und damit natürlich auch die deutsche) Freiheit.“
Stellt sich die Frage, ob Frau Baerbock mit ihrer Aussage recht hat. Darauf sind nur zwei Antworten möglich:
Ja: Im Ukrainekrieg wird auch die europäische und damit auch die deutsche Freiheit verteidigt.
Diejenigen, die behaupten, dass die Ukraine auch die europäische Freiheit verteidigt, sollten ehrlicherweise besser sagen, dass Europa seine Verteidigung in der Ukraine verteidigen lässt. Das nämlich beinhaltet das Sterben ukrainischer Soldaten und Zivilisten, die Flucht der Ukrainer innerhalb ihres Landes und ins Ausland ebenso wie die Zerstörung der Ukraine durch russische Angriffsoperationen am Boden und in der Luft. Die militärischen Unterstützer der Ukraine bilden in ihren Heimatländern immer mehr ukrainische Soldaten aus, liefern nicht nur Aufklärungsergebnisse, sondern vor allem immer schwerere Waffen, die eine entsprechende Reaktion Moskaus zur Folge haben und damit entscheidend zu der sich immer schneller drehenden Eskalationsspirale beitragen. Gleichzeitig behaupten die Politiker dieser Länder trotzdem und geradezu mantramäßig, nicht Kriegspartei zu sein, und machen unmissverständlich deutlich, dass eine Entsendung eigener Truppen aktuell und auch in Zukunft nicht infrage kommt. Und genau das ist aus meiner Sicht nicht nur inkonsequent, sondern ausgesprochen schäbig.
Nein: Im Ukrainekrieg wird die europäische und damit auch die deutsche Freiheit nicht verteidigt.
Einmal davon abgesehen, wen die deutsche Außenministerin mit diesem „Ihr verteidigt“ – also einer sehr persönlichen und anbiedernd vertraulichen Ansprache – eigentlich meint, stelle ich fest, dass die Ukraine nicht die europäische Freiheit gegen Russland verteidigt, weil diese in ihrer Gesamtheit durch Russland aktuell überhaupt nicht bedroht ist. In diesem Krieg verteidigt sich die Ukraine gegen den Angreifer Russland, um ihre Souveränität zu bewahren und ihre in Teilen eingebüßte territoriale Integrität wiederherzustellen. Gleichzeitig kämpft sie für die USA in einem Stellvertreterkrieg gegen Russland, das Washington, nach konkreter Aussage von US-Verteidigungsminister Austin, militärisch in einer Weise schwächen will, dass Moskau zukünftig nicht mehr in der Lage sein wird, einen solchen oder ähnlichen Krieg zu führen.
Außerdem hat dieser Krieg das Ziel, Russland als globalen Konkurrenten der USA auszuschalten. Einige europäische Staaten, an der Spitze steht hier Deutschland, unterstützen mit ihrem militärischen Engagement also nicht nur die Ukraine, sondern vor allem auch die USA bei der Durchsetzung deren globaler Interessen.
Die Verteidigung der deutschen Freiheit
Für die Verteidigung der Freiheit Deutschlands sind laut Grundgesetz die Soldaten der Bundeswehr zuständig. Im Artikel 87a GG heißt es dazu wörtlich:
„Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf.“
Und deshalb schwören/geloben deutsche Soldaten im Gesetz über die Rechtsstellung der Soldaten (Soldatengesetz – SG) § 9 Eid und feierliches Gelöbnis:
„Ich schwöre, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, so wahr mir Gott helfe.“
Der Eid kann auch ohne die Worte „so wahr mir Gott helfe“ geleistet werden.
Es geht also im Auftrag der deutschen Soldaten immer um die Verteidigung von Recht und Freiheit des deutschen Volkes, und beides wird durch den Ukrainekrieg nicht gefährdet. Jeder Politiker, der die Lage in der Ukraine anders bewertet und Recht und Freiheit des deutschen Volkes durch Russlands Krieg gefährdet sieht, müsste konsequenterweise deutsche Soldaten in die Ukraine schicken.
Da dies aber nicht passieren wird, weil es einen Krieg mit Russland zur Folge hätte, sollten Politiker das deutsche Volk nicht weiter für dumm verkaufen, indem sie behaupten, dass die Ukraine auch unsere Freiheit verteidigt, um mit dieser Falschaussage den ständig zunehmenden Export von schweren Waffen und eine zunehmende Beratertätigkeit der militärischen Führung der Ukraine durch deutsche Fachleute zu rechtfertigen. Aktuell ist in diesem Zusammenhang die Teilnahme des Leiters des Planungsstabes der Bundeswehr, Brigadegeneral Dr. Christian Freuding, an einem Meeting in Kiew zu nennen.
Stattdessen sollten deutsche Politiker alles dafür tun, dass dieser Krieg auf dem Verhandlungswege beendet wird, weil er weder von Russland noch durch die Ukraine militärisch gewonnen werden kann. Das gilt allerdings nur so lange, wie Moskau darauf verzichtet, die Ukraine vollständig zu zerstören, wozu Russland durch Flächenbombardements oder durch den Einsatz von Atomwaffen in der Lage wäre.
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