Der Fall Arne Schönbohm holt die Innenministerin und den TV-Comedian Jan Böhmermann ein. Im Raum steht etwa der Vorwurf, Faeser habe den Geheimdienst instrumentalisiert. Anstatt diese Vorwürfe vorm zuständigen Parlaments-Ausschuss zu entkräften, erscheint sie dort gleich mehrmals nicht. Das Verhalten steht beispielhaft für eine um sich greifende Dreistigkeit führender Politiker beim Umgang mit Kritik. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
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Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hat in den vergangenen Tagen ihre Missachtung für schnelle Aufklärung und für parlamentarische Prozesse deutlich gemacht, indem sie gleich zweimal hintereinander mit mutmaßlichen Ausreden den Besuch des Innenausschusses des Bundestags verweigerte.
Faesers Auftritt vor dem Ausschuss war eingefordert worden, nachdem sich die Vorgänge vom Oktober 2022 um die Versetzung des ehemaligen Chefs des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), Arne Schönbohm, aktuell erneut zugespitzt hatten. Die Unionsfraktion kritisierte Faeser für ihr wiederholtes Fehlen bei der kurzfristig anberaumten Sitzung scharf – sicherlich zusätzlich motiviert durch die anstehende Wahl in Hessen, bei der Faeser SPD-Spitzenkandidatin ist. Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Alexander Throm, sagte laut Medien nach der Sitzung:
„Das ist bei einem so ernstzunehmenden Verdacht, nämlich den Verfassungsschutz für bestimmte Zwecke zu instrumentalisieren, schlicht nicht akzeptabel.“ Die Unionsfraktion gerate so an ihre Grenzen, „mit normalen parlamentarischen Mitteln hier Aufklärung von der Ministerin zu erlangen“.
Unter anderem die Bild-Zeitung hat berichtet, dass Innenministerin Nancy Faeser für ein etwaiges Disziplinarverfahren gegen Schönbohm den Verfassungsschutz Informationen zu dem abgesetzten Behördenleiter habe sammeln lassen. Faeser streitet das ab.
Vorgang ist Sinnbild der Russenparanoia
Für Faeser gilt die Unschuldsvermutung – etwa bei der Frage, ob sie den Geheimdienst in illegitimer Weise eingesetzt hat. Dass sie sich aber durch ihr Fernbleiben beim Ausschuss der Missachtung des Parlaments schuldig gemacht hat, das steht bereits außer Frage. Eine zunehmende Dreistigkeit, wenn es um die Abwehr von Kritik an der eigenen Amtsführung geht, ist ein Zeichen der Zeit und auch bei vielen anderen Politikern zu beobachten.
Zusätzlich verdeutlicht bereits der Anfang des Vorgangs den Grad der aktuellen Russenparanoia – und wie es dadurch zu vorschnellen und irrationalen Entscheidungen kommen kann. Dass Jan Böhmermann auf dieser Paranoia-Welle surft, ist nicht überraschend, schließlich schwimmt er oft mit dem breiten Strom. Faeser erscheint mir hier verantwortlicher als Böhmermann, weil sie überstürzt gehandelt hat – wenn sie diese überstürzte Entscheidung nachträglich mit Geheimdiensterkenntnissen hätte absichern wollen, wie behauptet wird, wäre das zusätzlich skandalös.
Abzulehnen ist jedenfalls, dass die Spanne zwischen einem zunächst schwach belegten öffentlichen Vorwurf und der Feststellung, dass jemand nicht mehr „haltbar“ sei, immer kürzer zu werden scheint.
Die Vorgeschichte
Wie Medien berichten, war der BSI-Chef Arne Schönbohm im November 2022 wegen angeblicher Russland-Nähe abberufen worden. Die Vorwürfe waren zuvor im ZDF Magazin Royale von Jan Böhmermann behauptet worden. Das Innenministerium verbot dem BSI-Präsidenten damals, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Schönbohm beantragte die Einleitung eines Disziplinarverfahrens.
Wie Medien bereits im Mai dieses Jahres berichtet haben, hat das Innenministerium den Anwälten von Arne Schönbohm in einem Schreiben Ende April mitgeteilt, dass die Voruntersuchungen aber keinerlei Anhaltspunkte gebracht hätten, die ein Disziplinarverfahren rechtfertigen würden.
Schon unmittelbar nach der Degradierung des gebürtigen Hamburgers habe es laut Medien Zweifel an den Vorwürfen Böhmermanns gegeben. Inzwischen ist Schönbohm versetzt und Präsident der Bundesakademie für öffentliche Verwaltung und zudem zuständig für die Modernisierung der Fortbildungslandschaft.
Schönbohm klagt
Schönbohm hatte den Darstellungen Böhmermanns widersprochen und hat Klage eingereicht – er fordert vom Innenministerium Schadensersatz für seine Absetzung. Nach Informationen der Bild soll es dabei auch um Mobbing gehen.
Auch vom ZDF fordert Schönbohms Anwalt Markus Hennig laut Medien Schadensersatz – in Höhe von 100.000 Euro. Außerdem will er vom Sender eine Unterlassung erwirken: Die Behauptung, „dass mein Mandant bewusst in Kontakt mit Nachrichtendiensten aus Russland und anderen Ländern gestanden habe“, soll gelöscht und nicht weiter verwendet werden dürfen. Das ZDF erklärte, dass die Forderungen zurückgewiesen würden. Der Fall wird vermutlich also schon bald die Gerichte beschäftigen.
„Missachtung des Parlaments“ und „Politisches Schmierentheater“
Während die öffentlich-rechtlichen Sender die aktuellen Entwicklungen des Vorgangs zunächst tiefgehängt hatten, gibt es inzwischen auch dort einige Beiträge. Eindeutige Kritik am Verhalten der Innenministerin findet sich aber eher in anderen Medien. So schreibt die FAZ:
„Das ist Missachtung des Parlaments: Die Regierung sollte nicht vergessen, dass sie vom Parlament abhängt. Schon deshalb, aber auch aus Respekt vor dem Souverän sollte Bundesinnenministerin Faeser dem Innenausschuss Rede und Antwort stehen. Es geht um den Vorwurf einer Instrumentalisierung des Verfassungsschutzes, den die SPD-Politikerin, die als Spitzenkandidatin in Hessen antritt, offenbar im Fall des einstigen Chefs des Bundesamtes für die Sicherheit in der Informationstechnik eingespannt hat. Dazu muss sie Stellung nehmen.“
Die Zeitung ergänzt noch zur Rolle Jan Böhmermanns:
„Faeser versetzte den BSI-Präsidenten aufgrund von Anschuldigungen einer ZDF-Spaßsendung, die zugleich als strenge Wahrheitsanstalt wirkt. Doch selbst wenn man der Ansicht ist, Satire dürfe wirklich alles, und die Medienfreiheit sei grenzenlos, so sollte doch niemand einem Clown blind folgen.“
Die Märkische Oderzeitung meint:
„Ließ sie sich in der ersten Sitzung noch aus ‚medizinischen Gründen‘ entschuldigen, wird das politische Schmierentheater bei der zweiten Einladung endgültig offenkundig – schließlich nimmt die Innenministerin den restlichen Tag hinweg zahlreiche Termine wahr. Ihre Verweigerung, zur Aufarbeitung des komplizierten Falls Schönbohm beizutragen, ist, man muss es so deutlich sagen, schlichtweg respektlos gegenüber dem Parlament.“
Die Freie Presse aus Chemnitz hält fest:
„Sie soll gebeten haben, den Verfassungsschutz zu Schönbohm abzufragen. Ob das illegitim war, ist nicht so klar, wie die Union das darstellt. Aber eine persönliche Erklärung verlangt es in jedem Fall. Bis zur Hessen-Wahl aussitzen lassen sich die Vorwürfe wohl nicht. Gerade der Wahlkampf dürfte dafür sorgen, dass Faesers Gegner nicht lockerlassen.“
Kurz vor der Wahl in Hessen
Dieser Hinweis auf die anstehende Landtagswahl am 8. Oktober in Hessen ist wichtig. Ministerpräsident Rhein (CDU) liegt nach jüngsten Umfragen vorn. Doch dahinter liefern sich Bundesinnenministerin Faeser und der Grünen-Spitzenkandidat Al-Wazir ein Kopf-an-Kopf-Rennen, wie Medien berichten.
Die Kritik an Faesers aktuellem Verhalten ist gerechtfertigt – dass aber die Grünen bei der Hessenwahl davon profitieren könnten, ist tragisch.
Titelbild: Alexandros Michailidis / Shutterstock