In Deutschland war es ab dem zweiten Weihnachtstag 2020 möglich, sich gegen Corona impfen zu lassen. Bis dahin musste man ohne spezielle Coronamedikamente und ohne einen wirksamen Impfschutz auskommen. Wie haben die Coronaimpfungen das Sterbegeschehen verändert? Wie viele Sterbefälle hätten im ersten Coronajahr vermieden werden können, wenn es bereits zu Beginn der Pandemie einen Impfstoff gegeben hätte? Mit welchem Risiko ist das Impfen verbunden? Und um welche Zeitspanne ist das Leben geimpfter Menschen verlängert worden? Diesen und einer Reihe weiterer Fragen geht der Statistiker Günter Eder in der vorliegenden Studie für die NachDenkSeiten nach und greift dabei auf Erfahrungen und Erkenntnisse zurück, die in den Jahren 2021 und 2022 mit dem Impfen gemacht worden sind. Lesen Sie dazu bitte auch den gestern erschienenen ersten Teil des Artikels.
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Hat sich das allgemeine Sterbegeschehen in den letzten Jahren verändert?
MRNA-Impfstoffe, die zur Bekämpfung der Coronapandemie eingesetzt werden, basieren auf einem neuartigen gentherapeutischen Wirkprinzip, das außerhalb streng kontrollierter medizinischer Studien vorher noch nie in der Praxis zur Anwendung gekommen ist. Mit unerwarteten, zum Teil auch unvorhersehbaren Reaktionen des Körpers ist daher zu rechnen. Es kommt hinzu, dass die Entwicklung der Impfstoffe unter größtem Zeitdruck erfolgte. Innerhalb weniger Monate mussten Vakzine entwickelt und in riesigen Mengen produziert werden, für deren Entwicklung und Erprobung man in der Vergangenheit sechs, acht oder mehr Jahre benötigte. Erst danach konnten Hersteller für die vorgeschriebene hohe Wirksamkeit und Sicherheit der Produkte garantieren. Eine reguläre Zulassung der mRNA-Vakzine war unter diesen Bedingungen von vornherein ausgeschlossen. Das Problem wurde pragmatisch gelöst, indem die Impfstoffe bedingt zugelassen wurden und nationale Regierungen die Verantwortung und Haftung für mögliche Impfschäden übernahmen.
Impfnebenwirkungen, die in zeitlicher Nähe zur Impfung auftreten, werden (wie oben beschrieben) häufig als solche erkannt und dem Paul-Ehrlich-Institut gemeldet. Daneben gibt es Folgeerkrankungen, die erst Monate oder Jahre später diagnostiziert werden und bei denen nur in den seltensten Fällen eine Beziehung zur Impfung gesehen oder vermutet wird. Diese Fälle werden verständlicherweise nicht gemeldet und erscheinen in keiner Nebenwirkungsstatistik. Wenn sie in größerer Zahl auftreten, macht sich das allenfalls statistisch bemerkbar, indem Fallzahlen für bestimmte Krankheiten spürbar ansteigen.
Auffällig an der Coronazeit ist der extrem starke Anstieg der Übersterblichkeit. Während im Jahr 2020, als noch niemand geimpft war, die Übersterblichkeit bei lediglich 3,1 Prozent lag, erhöht sich der Wert im darauffolgenden Jahr auf 5,8 Prozent und steigt bis Ende 2022 auf 8,7 Prozent an. Im Jahr 2022 sind damit 84.600 Menschen mehr gestorben, als unter normalen Umständen zu erwarten gewesen wäre.[16] Eine derart hohe Übersterblichkeit hat es im Deutschland der Nachkriegszeit noch nicht gegeben.
Übersterblichkeitswerte steigen besonders in Zeiten mit ausgeprägtem Infektionsgeschehen stark an. Zwischen der Zahl der Infektionstoten und der Höhe der Übersterblichkeit besteht allerdings keine Eins-zu-eins-Beziehung. Wenn man beispielsweise wissen möchte, wie viele Menschen während einer Grippeepidemie gestorben sind, und zu diesem Zweck die wöchentlichen Übersterblichkeitswerte aufsummiert, so wird man tendenziell zu niedrige Schätzwerte erhalten.[17] Das liegt daran, dass es sich bei den Grippetoten häufig um alte und gesundheitlich stark geschwächte Menschen handelt, die auch ohne die Infektion nicht mehr lange gelebt hätten. Dieser Sachverhalt macht sich im Verlauf der Übersterblichkeitskurve bemerkbar. Er bewirkt, dass auf eine Phase hoher Übersterblichkeit eine Phase mehr oder weniger ausgeprägter Untersterblichkeit folgt. Summiert man die Einzelwerte nun auf, so heben sich Über- und Untersterblichkeit teilweise gegeneinander auf und man erhält einen zu niedrigen Schätzwert. Die Zahl der Grippetoten wird dabei umso stärker unterschätzt, je höher der Anteil alter und geschwächter Menschen an den Verstorbenen ist. Der für die Grippe skizzierte Sachverhalt gilt in gleicher Weise für Corona.
Eine einfache Überlegung mag den grundsätzlichen Unterschied zwischen den beiden Größen noch einmal verdeutlichen. Geht man von der (zugegebenermaßen unrealistischen) Annahme aus, dass alle Personen, die im Zuge einer Infektionswelle sterben, auch ohne die Infektion in dem betreffenden Jahr gestorben wären, so würde das auf eine Jahresübersterblichkeit von NULL hinauslaufen, egal wie viele Infektionstote es gab. Es ist folglich wichtig, die Zahlen nicht isoliert zu betrachten, sondern wenn möglich stets im Zusammenhang. Dabei ist die Übersterblichkeit, wenn sie „korrekt“ berechnet wird, die wichtigere statistische Größe, da sie nicht nur Auskunft gibt über Infektionstote, sondern über das Sterbegeschehen insgesamt.
Darüber hinaus ist es wichtig, den Zeitbezug zu beachten. Üblicherweise werden aggregierte statistische Daten bezogen auf Kalenderjahre betrachtet und bewertet, und das ist meist auch sinnvoll und richtig. Für die Beurteilung epidemischen Krankheits- und Sterbegeschehens ist das Kalenderjahr jedoch kein ganz unproblematischer Zeitbezug, da Infektionswellen stets in der kalten Jahreszeit auftreten. Das hat zur Folge, dass, wenn eine Infektionswelle zum Jahresende hin einsetzt, ein Teil der Sterbefälle dem Vorjahr und ein Teil dem Folgejahr zugeordnet wird. Dadurch können Zusammenhänge oder Effekte, die für die Beurteilung des Infektionsgeschehens bedeutsam sind, stark abgeschwächt werden oder ganz verloren gehen. Um das auszuschließen, betrachtet das Robert Koch-Institut (RKI) epidemisches Geschehen grundsätzlich saisonal, wobei die Saison in der infektionsarmen warmen Jahreszeit beginnt und endet. Eine solche Zeitstruktur liegt auch der nachfolgenden Auswertung der Corona-Sterbezahlen zugrunde. (vgl. Tabelle 5).
Tabelle 5: Saisonstruktur in der Coronazeit
Bevor die saisonalen Ergebnisse präsentiert und diskutiert werden, soll noch kurz auf den PCR-Test eingegangen werden, der in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle spielt. Der PCR-Test ist für die gesamte Coronapandemie von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Ohne ein solches Testverfahren wäre die Pandemie mit Sicherheit anders verlaufen – ob zum Vorteil der Menschen oder zu deren Nachteil, sei dahingestellt. Für die statistische Auswertung stellen die Ergebnisse der PCR-Tests in jedem Fall einen wertvollen Zugewinn an Information dar. Erstmals können jetzt Übersterblichkeitswerte direkt mit „echten“ Infektionssterbedaten verglichen werden. Dadurch können Effekte oder Zusammenhänge sichtbar werden, die sonst im Verborgenen geblieben wären. Positiv macht sich das besonders bei der vergleichenden Betrachtung der Sterbezahlen im Jahresverlauf bemerkbar (vgl. hierzu die ausführlichen Verlaufsanalysen in [18]). Die Möglichkeiten, die sich hier bieten, zu neuen Erkenntnissen über das Sterbegeschehen bei Infektionswellen zu gelangen, werden allgemein viel zu wenig genutzt.
Damit eine solche vergleichende Auswertung sinnvoll und aussagekräftig ist, müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein:
- Erstens muss bekannt sein, ob die Verstorbenen infiziert waren oder nicht
- Zweitens muss klar sein, dass die Infektion Einfluss auf den Sterbezeitpunkt hat, und zwar unabhängig davon, ob jemand AN oder MIT dem Virus stirbt.
Beides kann bei einer Coronainfektion als gegeben angesehen werden. Auch Personen, die nicht AN, sondern lediglich MIT Corona gestorben sind, sterben in der Regel früher, als es ohne die Infektion der Fall gewesen wäre. (vgl. hierzu die Ausführungen in [9])
Die Ergebnisse der saisonbezogenen Auswertung sind in der Abbildung 2 dargestellt. In der Graphik ist die Zahl Coronatoter jeweils zusammen mit der Übersterblichkeit aufgetragen.
Abbildung 2
Betrachtet man die Graphik genauer, fällt die gegenläufige Entwicklung der Sterbezahlen auf. Während die Zahl der Coronatoten mit den Jahren abnimmt, steigt die Übersterblichkeit kontinuierlich an. Waren in der Saison 2020/2021 noch 82.267 Coronatote zu beklagen, so sind es zwei Jahre später nur noch 29.170. In der gleichen Zeit steigt die Übersterblichkeit von 52.717 auf 81.308 Verstorbene an. Die gegenläufige Entwicklung der Sterbezahlen ist äußerst ungewöhnlich und verlangt nach einer Erklärung.
In der Saison 2020/2021 stehen die Sterbezahlen in einem zahlenmäßigen Verhältnis zueinander, wie man es vom Grundsatz her erwarten würde: Die Zahl der Coronatoten übertrifft die Höhe der Übersterblichkeit. Ob eine Differenz von 29.550 Verstorbenen allerdings als normal oder schon als sehr hoch einzustufen ist, lässt sich nicht sagen. Das liegt daran, dass hier wissenschaftliches Neuland betreten wird, für das es kein vergleichbares Zahlenmaterial aus früheren Studien gibt. Sollte die Differenz die Realität korrekt abbilden, so lässt sich daraus ableiten, dass sehr viele Coronatote nicht AN, sondern lediglich MIT Corona gestorben sind. Die betroffenen Menschen hätten in vielen Fällen auch ohne die Infektion keine längere Lebensperspektive gehabt. Als Hauptursache für den Tod kommen bestehende Vorerkrankungen und/oder das fortgeschrittene Alter der Betroffenen in Betracht.
In der Saison 2021/2022 kehrt sich das Zahlenverhältnis dann um. Jetzt übertrifft die Übersterblichkeit die Zahl der Coronatoten um 9.223 Verstorbene. Es sterben also zunehmend mehr Menschen nicht an Corona, sondern an anderen Krankheiten.
Dass der Wandel im Sterbegeschehen in der darauffolgenden Saison dann allerdings eine so extreme Ausprägung erfährt, übertrifft alle Erwartungen und Befürchtungen. Überraschend ist nicht nur, dass die Übersterblichkeit auf 81.308 Verstorbene ansteigt, sondern dass die Coronatoten gleichzeitig nur noch 36 Prozent der zusätzlich Verstorbenen ausmachen. Fast zwei Drittel aller zusätzlichen Todesfälle gehen nicht mehr auf das Konto von Corona, sondern haben andere Ursachen.
Im Sommer 2022 gab es landesweit eine ungewöhnlich lange Hitzeperiode mit hohen bis sehr hohen Temperaturen. Einer Auswertung des RKI zufolge sind in dieser Zeit etwa 4.500 Personen wegen der Hitze gestorben.[19] Geht man von der Richtigkeit des Schätzwertes aus und reduziert die Übersterblichkeit zusätzlich um die Zahl der Coronatoten, so verbleiben knapp 48.000 Verstorbene, bei denen ungeklärt ist, woran oder warum sie gestorben sind.
48.000 zusätzlich Verstorbene sind eine erschreckend hohe Zahl, und kaum jemand fragt nach den Ursachen. Warum hat die Klärung der Frage keine Priorität? Warum wird darüber in den Medien nicht ausführlich berichtet? Warum hüllen sich Politiker, Journalisten und Mediziner in Schweigen? Zum Vergleich: Während der ersten Coronawelle im Frühjahr 2020 waren 8.000 Tote zu beklagen, und für Wochen und Monate gab es politisch und medial kein anderes Thema.
Natürlich gibt es Vermutungen und Spekulationen über mögliche Ursachen, doch wissenschaftlich untermauert ist davon bisher nichts. Warum unternimmt das RKI nicht mehr, um die Hintergründe aufzudecken? Hält man den Sachverhalt für unwichtig? Oder ist den Mitarbeitern noch gar nicht aufgefallen, dass in den letzten Monaten des Jahres 2022 ungewöhnlich viele Menschen starben?
Die hohen Sterbezahlen werfen Fragen auf, und man läuft Gefahr, sich angesichts der immensen Wissenslücken, die hier bestehen, in Spekulationen zu verlieren. Andererseits kann man ein solches Ergebnis auch nicht einfach so stehen lassen, ohne nicht zumindest einen Versuch der Einordnung zu unternehmen.
In der Zeit, die hier betrachtet wird, hat es aus medizinischer Sicht zwei einschneidende Ereignisse bzw. Veränderungen gegeben: zum einen die pandemische Ausbreitung einer neuartigen Variante des Coronavirus und zum anderen die massenhafte Impfung der Menschen mit einem neuartigen gentherapeutischen Vakzin.
Wie sich Coronainfektionen auf die Gesundheit der Menschen auswirken, ist in den letzten Jahren intensiv und umfassend erforscht worden. Daraus resultieren viele Erkenntnisse, die uns heute in die Lage versetzen, infizierten Menschen besser und wirkungsvoller zu helfen als zu Beginn der Pandemie. Der Kenntnisstand kann insgesamt als durchaus zufriedenstellend eingestuft werden, auch wenn es immer noch viele offene Fragen gibt wie beispielsweise zu Long Covid.
Bei den Impfstoffen stellt sich die Situation ganz anders dar. Hier besteht ein krasses Missverhältnis zwischen gesicherten Erkenntnissen und offenen Fragen. Immer noch wird vielfach abgestritten, dass mRNA-Impfungen überhaupt gravierende Schäden für eine große Zahl von Menschen zur Folge haben können. Dabei genügt ein Blick auf die Nebenwirkungsstatistiken, um sich vom Gegenteil zu überzeugen. Die Zahl gemeldeter Nebenwirkungen nach mRNA-Impfungen liegt massiv höher als bei traditionellen Totimpfstoffen. Auf jede Nebenwirkungsmeldung in der Vorcoronazeit kommen mehr als 60 Meldungen nach der Verabreichung von mRNA-Vakzinen. Und die Nebenwirkungen beschränken sich nicht auf Schmerzen im Oberarm, sondern reichen hin bis zu schweren neurologischen Erkrankungen – welche ein normales Leben, wie man es bis dahin geführt hat, unmöglich machen – und der Meldung zahlreicher Todesfälle. Es ist an der Zeit, dass sich Politiker, Mediziner und Wissenschaftler dem stellen. Niemand kann einen möglichen Zusammenhang zwischen der Übersterblichkeit und den Coronaimpfungen grundsätzlich ausschließen. Ob ein solcher Verdacht berechtigt ist oder nicht, kann nur geklärt werden, wenn die Frage wissenschaftlich seriös und unvoreingenommen untersucht wird. Erkenntnisse, die dabei gewonnen werden, können Geschehenes nicht rückgängig machen, aber sie können helfen, das Sterbegeschehen während der Coronazeit besser zu verstehen und so Fehler, die in der Vergangenheit gemacht wurden, in Zukunft zu vermeiden.
Titelbild: Cryptographer/shutterstock.com
Ein statistischer Blick auf die Übersterblichkeit in Zeiten von Corona
Verlorene Lebenszeit durch Corona – eine weitere Säule wankt
Die Coronapandemie im Spiegel der amtlichen Sterbefallstatistik
Chancen und Risiken der Coronaimpfung – ein Blick auf die Sterbezahlen
Gedanken eines Statistikers zur Übersterblichkeit während der Coronapandemie (Teil 1 und Teil 2)
Übersterblichkeit auf Rekordniveau – ein Rückblick auf drei Jahre Corona (Teil 1 und Teil 2)
[«16] Günter Eder – Corona und kein Ende: Rätselhafte Übersterblichkeit im Jahr 2022. Telepolis vom 26. Mai 2023
[«17] Günter Eder – Corona im Spiegel der amtlichen Sterbefallstatistik. NachDenkSeiten vom 22. September 2021
[«18] Günter Eder – Corona: Unerklärliche Effekte bei der Übersterblichkeit. Telepolis vom 7. Juni 2023
[«19] Robert Koch-Institut – Hitzebedingte Mortalität in Deutschland 2022. Epidemiologisches Bulletin 42/2022