Wirtschaftskrieg ist wichtiger: Diese Botschaft sendet der aktuelle Umgang mit der Kindergrundsicherung. Vor dem Hintergrund explodierender Ausgaben für die grüne Militarisierung und für die Fortsetzung wirkungsloser Sanktionen ist die geplante Ausstattung für die Kinder ein sozialpolitischer Skandal – vollzogen auch mithilfe von Sozialdemokraten. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
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Die geplante Ausstattung der Kindergrundsicherung mit einer lächerlichen Summe macht in grellen Farben klar, wo die Prioritäten der Bundesregierung liegen: Sie liegen bei Aufrüstung, bei Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet und sie liegen bei einem Wirtschaftskrieg, dessen soziale Folgen sich vor allem gegen die Bürger Europas richten. Man muss es also geradezu als eine Verhöhnung der Bürger bezeichnen, wenn die Bundesregierung nun 2,4 Milliarden Euro für das Projekt Kindergrundsicherung bereitstellt und das auch noch als großen sozialpolitischen Dienst an der Gesellschaft verkaufen möchte.
Wenn man sich die Summen anschaut, die von der Bundesregierung für eine sich den US-Interessen andienende Geopolitik aufgebracht werden, wird einem schwindelig – nicht nur wegen des Ausmaßes der finanziellen Unterstützung von Kriegsverlängerung und Wirtschaftskrieg, sondern auch aus Wut: angesichts der gesellschaftlichen und sozialpolitischen Aufgaben, die für diese Politik potenziell geopfert werden „müssen“.
Die (auch sozialen) Kosten der Kriegspolitik
Die Kosten von Militarisierung und (Wirtschafts-)Kriegspolitik in Deutschland hatte Jens Berger in diesem Artikel ausgerechnet. Dabei fallen neben dem „Sondervermögen“ von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr zahlreiche weitere direkte und indirekte Posten an, auch als Folge der Sanktionspolitik gegen Russland. Insgesamt steht unter dem Strich die gigantische Summe von über 500 Milliarden Euro, die die (Wirtschafts-)Kriegspolitik der Bundesregierung die Bürger direkt oder indirekt kosten könnte. Das Geld fehlt natürlich an anderer Stelle.
Die Grünen sind als die intensivsten Treiber einer Politik der Militarisierung und der Russlandfeindschaft zu identifizieren, die nicht nur außenpolitisch, sondern eben auch sozialpolitisch schlimme Folgen haben kann. Es ist Heuchelei von grüner Seite, einerseits Militarisierung und Sanktionspolitik zu forcieren, und sich dann über fehlendes Geld für das Familienministerium zu beschweren. Aber verantwortlich sind alle Parteien der Bundesregierung, die scharfe Kritik sollte auch sie treffen: Die FDP ist, was die (Wirtschafts-)Kriegspolitik angeht, ideologisch fast auf Augenhöhe mit den Grünen, bei der kühlen Inkaufnahme der sozialen Folgen würde sie vielleicht noch weiter gehen. Dass Sozialdemokraten dem (wenn überhaupt) außer einem stets vorübergehenden „Zaudern“ kaum etwas entgegensetzen, macht einerseits fassungslos, kann andererseits aber nicht mehr überraschen.
Kindergrundsicherung: Kritik von allen Seiten
Die zentralen Punkte des aktuellen Eckpunktepapiers hat das ZDF hier vorgestellt, so zum Beispiel eine Neubemessung des Existenzminimums, Entlastung für Kinder von Bürgergeld-Beziehern oder eine zentrale Anlaufstelle. An der konkreten Form der geplanten Kindergrundsicherung gibt es Kritik von zahlreichen Seiten. So hat der Armutsforscher Christoph Butterwegge bereits vor einigen Jahren kritisiert, eine Kindergrundsicherung wie (damals) geplant würde eine „Familien- und Sozialpolitik nach dem Gießkannenprinzip“ bedeuten. Aktuelle Kritik aus verschiedensten politischen Lagern und von Verbänden wird etwa hier und hier formuliert. Auf den NachDenkSeiten ist Tilo Gräser im April ausführlich auf die Pläne eingegangen, Ralf Wurzbacher in diesem Artikel.
Ich begrüße das Vorhaben einer Kindergrundsicherung prinzipiell. Aber auch wenn das nicht der Fall wäre, würde das aktuelle Geschacher um die finanzielle Ausstattung der Pläne die Prioritäten der Bundesregierung überdeutlich machen. Kritik an einzelnen Aspekten der praktischen Umsetzung der Grundsicherung, der Höhe der Ausstattung usw. ist meiner Meinung nach sehr gerechtfertigt. Es gibt aber auch einen neoliberalen Strang der Kritik: Die Forderung, anstatt Eltern armer Kinder zu unterstützen, sollten diese „in Arbeit gebracht“ werden, geht an der sozialen Realität vorbei, wie auch Heinz Hilgers, Ehrenpräsident des Kinderschutzbundes, laut Medien sagt: „Das ist einfach respektlos diesen Menschen gegenüber“, so Hilgers. Die Mehrheit der Eltern der betroffenen Kinder arbeite, sei aber dennoch auf Leistungen angewiesen.
Auch Formulierungen wie die, man solle das Geld lieber „in die Bildung“ stecken, anstatt es den Familien zu geben, überzeugen nicht. Beides muss natürlich stattfinden. Kinder sind nicht arm, weil sie ungebildet sind, sondern weil ihre Familien arm sind. In „die Bildung“ (Infrastruktur, attraktive Gehälter, Lehrerausbildung usw.) müssten zusätzlich massive Mittel investiert werden.
Der Einwand, der Abstand zwischen Lohnarbeit und Unterstützung könne zu klein werden, muss durch höhere Löhne entkräftet werden.
Hatte die grüne Familienministerin Elisabeth Paus eigentlich auch das „Sondervermögen“ für die Bundeswehr oder die Fortsetzung der unwirksamen und selbstzerstörerischen Russlandsanktionen öffentlichkeitswirksam im Kabinett blockiert? Oder doch nur das „Wachstumschancengesetz“, dessen Entlastungsvolumen für die Wirtschaft auf jährlich über sieben Milliarden Euro für den Zeitraum bis 2028 aufgestockt werden soll, und das Paus nun mitträgt?
Wirtschaftskrieg oder Sozialpolitik?
Die Bundesregierung müsste angesichts ihrer eskalierenden Handlungen bezüglich des Ukrainekriegs und der durch die Kosten des Militarismus potenziell bedrohten Sozialpolitik (und vieler anderer Aspekte) im politischen Spektrum eigentlich rechts eingeordnet werden – doch das war vor der Umdeutung der Begriffe rechts und links. Nun verstecken pseudolinke Ablenkungen diesen Charakter. Warum bezüglich der Bundesregierung die Ausdrücke „linksgrün“ und „linksliberal“ nicht treffen, haben wir unter anderem hier und hier beschrieben.
Die LINKE äußert sich hier zur Kindergrundsicherung und nennt das aktuelle Eckpunktepapier Wahlbetrug. Äußerungen der AfD zur Kindergrundsicherung verdeutlichen, dass die Partei auf dem wichtigen Gebiet der Sozialpolitik keine Alternative darstellt. Die AfD kritisiert das Vorhaben meiner Meinung nach aus einer fragwürdigen Richtung und schreibt zum Thema unter anderem:
„Die Kindergrundsicherung ist Augenwischerei, denn Familienarmut bekämpft man nicht, indem Empfängern von Sozialleistungen noch mehr Geld überwiesen wird. Der große Kreis derer, die davon profitieren, sind die, die sich unseres Sozialsystems bedienen, ohne jemals einen Cent eingezahlt zu haben.“
Sanktionspolitik nicht zu rechtfertigen – auch nicht moralisch
Zurück zur Bundesregierung: Es gibt keine höhere Gewalt, die den Automatismus eines (auch noch wirkungslosen) Wirtschaftskrieges mit all seinen nicht zu verantwortenden gesellschaftlichen und sozialen Folgen (lokal und global) vorschreiben würde: Man könnte die Sanktionspolitik sofort beenden und in Verhandlungen über Energielieferungen eintreten – alles andere ist hektische und unbezahlbare Flickschusterei der Regierung, um die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der eigenen Sanktions-, Kriegs- und Energiepolitik einzufangen, was langfristig nicht funktionieren wird.
Die Regierung hat für ihre sozial- und geopolitisch gefährliche Russlandpolitik ausschließlich moralische Argumente – und diese Moral hält einer näheren Betrachtung nicht stand, weil sie auf einem verkürzten Geschichtsbild beruht.
Und nein: Wer gegen die Sanktionspolitik ist, ist nicht gegen „die Ukraine“. Aber er wendet sich gegen eine Politik, die zum einen den Krieg nicht beeinflusst, die zum anderen aber die Spielräume der hiesigen Sozialpolitik massiv einschränken könnte.
Titelbild: fran_kie / Shutterstock