Der führende CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter, welcher derzeit als „Ukraine-Experte“ durch die Talkshows gereicht wird, hat nach übereinstimmenden Berichten bei den sogenannten Ellwanger Heimattagen am 22. Juli das dortige Sicherheitspersonal als „KZ-Wächter“ beschimpft. Hintergrund: Diese hatten sich „angemaßt“, Kiesewetter mitzuteilen, dass der Ausschankschluss um 1:30 Uhr nachts auch für ihn gelte. Der Bundestagsabgeordnete entschuldigte sich später mit dem Verweis auf „zu viel getrunken“. Die regionale und überregionale Presse griff den Vorfall erst auf, nachdem ein AfD-Stadtrat den Vorgang am 23. August thematisiert hatte. Ob Politiker anderer Parteien mit derselben medialen und politischen Rücksicht bei solch offenen Nazi-Vergleichen hätten rechnen können? Von Florian Warweg.
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Was bisher bekannt ist
Am 22. und 23. Juli fanden im CDU-regierten Ellwangen, im Osten Baden-Württembergs gelegen, die jährlichen „Heimattage“ statt.
Daran nahm auch der CDU-Spitzenpolitiker Kiesewetter teil. Als das Sicherheitspersonal diesen und seine Begleitung um 2 Uhr nachts aufforderte, einen Weinkeller (Barbarossa-Keller, gelegen im Schloss der Stadt) auf dem Fest wie alle anderen Gäste wegen des offiziellen Ausschankschlusses um 1:30 Uhr zu verlassen, soll dieser sich geweigert und die Security-Leute mit dem Satz „Ihr seid ja schlimmer als KZ-Wächter“ beleidigt haben. Dies bestätigt unter anderem der Chef der betroffenen Sicherheitsfirma, Peter Odenwälder, gegenüber dem SWR und BILD. Ebenso bestätigte ein Sprecher der Stadt Ellwangen mittlerweile, dass es am 22. Juli „ein Vorkommnis“ mit dem CDU-Politiker gegeben habe, auch der Leiter des Ordnungsamtes, Thomas Steidle (59), sei Zeuge des Vorfalls geworden. Einige Tage später soll sich Kiesewetter dann mit einem Schreiben beim Ordnungsamt der Stadt für den Vorfall entschuldigt haben, ebenso bei der Sicherheitsfirma, und auf zu viel Alkoholkonsum und Erinnerungslücken verwiesen haben.
Das einmonatige Schweigen der Medien
Öffentlich aufgegriffen wurde der Vorfall allerdings zunächst nicht, weder von der regionalen noch der überregionalen Presse. Dies sollte sich erst einen Monat später ändern, nachdem der AfD-Kreisverband Ostalb den Vorfall am 23. August auf seiner Facebook-Seite publik machte.
Daraufhin erschien einen Tag später am 24. August um 12:57 Uhr ein Artikel hinter der Bezahlschranke bei der Schwäbischen Post mit dem vielsagenden Titel: „CDU-Bundestagsabgeordneter Roderich Kiesewetter benimmt sich bei den Ellwanger Heimattagen daneben“
Die Regionalzeitung fragte auch direkt bei dem CDU-Außenpolitiker nach und erhielt die Mitteilung, er könne sich nicht mehr an seine genauen Worte erinnern, aber er wisse, dass es nicht gut war. Er habe zu dem Zeitpunkt bereits zu viel Alkohol getrunken gehabt. Auf die Nachfrage, ob es öfter vorkomme, dass er so viel Alkohol trinke, dass er sich nicht mehr an alles erinnern könne, antwortet Kiesewetter gegenüber der Schwäbischen Post: „Nein, überhaupt nicht.“
Diesen Artikel griff dann der SWR einige Stunden später auf und titelte etwas kritischer „KZ-Vergleich bei Ellwanger Heimattagen: Eklat um CDU-Politiker Kiesewetter“.
Gegenüber dem SWR ließ der 59-jährige CDU-Kader dann verlauten, er habe sich am Folgetag entschuldigt, die Entschuldigung sei angenommen worden, damit sei der Fall für ihn erledigt.
Diese Darstellung bestätigte dann auf Nachfrage auch der Chef der betroffenen Sicherheitsfirma. Der SWR zitiert ihn mit den Worten:
„Das war eine dumme Aussage an diesem Abend. Alkohol ist dafür keine Ausrede. Aber er hat sich persönlich entschuldigt und damit war das Thema für mich abgehakt.“
Ähnlich reagierte der Oberbürgermeister von Ellwangen (CDU-Parteikollege von Kiesewetter) in einer Pressemitteilung:
„Herr Roderich Kiesewetter hat sich dafür umgehend und umfassend schriftlich und persönlich entschuldigt. Diese Entschuldigung ist von allen Seiten angenommen worden. Wir betrachten die Angelegenheit damit als abgeschlossen.“
Ebenso nachsichtig ging dann auch die Mehrzahl der sogenannten Leitmeiden mit Kiesewetter um, wie ein Blick auf die Überschriften von Spiegel, Welt und Zeit exemplarisch aufzeigt. Da wird seine Holocaust-Verharmlosung als „Beleidigung“, „Entgleisung“ oder „Vorfall“ relativiert.
Halten wir fest: Einer der bekanntesten CDU-Politiker und regelmäßiger Gast in Talkshows zum Thema Ukraine-Krieg, in welchen dieser immer wieder die Verteidigung westlicher Wert betont, beschimpft Sicherheitspersonal, nur weil diese ihn am Weitersaufen hindern, als „schlimmer als KZ-Wächter“. Man achte wohlgemerkt auf die gewählte Steigerungsform „schlimmer als…“. Mehr Relativierung von Holocaust und allgemeinem KZ-Terror geht eigentlich in dieser Form gar nicht. Und die Konsequenzen in diesem Fall? Bisher gar keine. Verweis auf Alkoholkonsum scheint in diesem konkreten Fall auszureichen, damit medienübergreifend nach dem Motto verfahren wird, klar, so’n KZ-Vergleich kann im Suff schon mal passieren …
Zudem steht nach wie vor die Frage im Raum, ob es ohne den Facebook-Post des AfD-Kreisverbandes überhaupt eine mediale Berichterstattung zu dem Nazi-Vergleich des CDU-Spitzenpolitikers gegeben hätte. Es sagt außerdem einiges über die aktuelle Verfasstheit der Medienlandschaft aus, wenn selbst linksliberale Blätter wie DIE ZEIT den Artikel über den „Vorfall“ mit dem zitierten Satz abschließen:
„Wir betrachten die Angelegenheit damit als abgeschlossen.“
Erinnert sei in diesem Zusammenhang an das Bonmot, welches dem deutschen Schriftstellers Jean Paul zugesprochen wird:
„Der wahre Charakter eines Menschen offenbart sich erst dann, wenn man ihn im Zustand der Trunkenheit oder tiefster Gefahr erleben kann. Im Alltäglichen zeigt der Mensch nur seine gefällige Fassade.“
Titelbild: Gemeinfrei – commons.wikimedia.org/wiki/File:Bundesarchiv_B_285_Bild-04413,_KZ_Auschwitz,_Einfahrt.jpg