Die parlamentarische Sommerpause ist noch nicht zu Ende, die erste Sitzungswoche des Bundestags beginnt am 4. September, doch mit der Ruhe im Kanzleramt dürfte es bereits jetzt vorbei sein. Die Affäre um die Warburg-Bank, deren krumme Cum-Ex-Geschäfte und die bis heute nicht abschließend geklärte Rolle von Olaf Scholz in dem Skandal hat eine neue Wendung erfahren. Laut dem Finanzexperten Fabio de Masi, der in seiner Zeit als Abgeordneter der Linksfraktion die Aufklärung zur Causa maßgeblich mit ins Rollen gebracht hatte, belegen neue Dokumente „zweifelsfrei“, dass Kanzler Scholz vor dem Untersuchungsausschuss zur Warburg-Affäre im August 2022 gelogen hat. Rücktrittsforderungen werden laut. Von Florian Warweg.
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Am Abend des 22. August 2023 veröffentlichte der Finanzexperte Fabio de Masi, der zuvor auch als wissenschaftlicher Mitarbeiter von Sahra Wagenknecht tätig war, folgenden umfangreichen Tweet, in welchem er unter anderem erklärte:
„Das ist ein Durchbruch in der Warburg-Affäre. Es kann nun zweifelsfrei bewiesen werden, dass Bundeskanzler Olaf Scholz vor einem Untersuchungsausschuss gelogen und sein Pressesprecher gleich mehrfach und in böser Absicht die Unwahrheit gesagt hat. Ein Einfluss auf das Steuerverfahren kann zwar bisher nur per dichter Indizienkette belegt werden, aber die Lüge vor einem Untersuchungsausschuss ist ein hinreichender Grund, um zu sagen: Herr Scholz, treten Sie zurück! Denn die Lüge macht nur Sinn, wenn es darum ging, diese strafbare Einflussnahme zu vertuschen.“
Das ist ein Durchbruch in der #Warburg Affäre. Es kann nun zweifelsfrei bewiesen werden, dass @Bundeskanzler Olaf Scholz vor einem Untersuchungsausschuss gelogen und sein Pressesprecher gleich mehrfach und in böser Absicht die Unwahrheit gesagt hat. Ein Einfluss auf das…
— Fabio De Masi 🦩 (@FabioDeMasi) August 22, 2023
Diese Darlegung auf X-Twitter führte er in einem Essay mit dem Titel „Warburg-Affäre: Der Beweis, dass der Kanzler lügt“ noch weiter aus.
Die Lüge des Olaf Scholz
Um zu verstehen, wie und in welcher Form der amtierende Kanzler den Untersuchungsausschuss angelogen hat, muss man einige Jahre zurückgehen. Ende 2019 erklärte der Hamburger Senat nach vorheriger Rückfrage beim damaligen Bundesfinanzminister Scholz auf eine Anfrage der Linken in der Bürgerschaft, es hätte zu keiner Zeit ein Treffen zwischen Scholz (als Erster Bürgermeister von Hamburg von 2011 bis 2018) und dem Aufsichtsratsvorsitzenden der Warburg-Bank, Christian Olearius, gegeben.
Wenige Monate später, im Februar 2020, mitten im laufenden Wahlkampf zur Hamburger Bürgerschaft, veröffentlichten ZEIT und NDR Auszüge aus Dokumenten (Tagebuch des Privatbankers Olearius), aus denen hervorging, dass Scholz sich entgegen der bisherigen Darstellung sehr wohl Ende November 2017, mitten im aufgeflogenen Steuerskandal, zumindest einmal mit dem Miteigner der Warburg-Bank getroffen hatte – in seinem Amtszimmer.
Erst nach dieser Veröffentlichung räumte Scholz das Treffen ein – und ließ über seinen damaligen Pressesprecher im Finanzministerium (heute im Amt des Regierungssprechers), Steffen Hebestreit, Folgendes verlautbaren:
„Zu den Aufgaben eines Ersten Bürgermeisters gehört es, mit den Wirtschaftsvertretern der Stadt im regelmäßigen Austausch zu stehen. So hat es auch ein Treffen von Olaf Scholz mit Herrn Olearius im November 2017 im Amtszimmer des Bürgermeisters gegeben, wie aus dem Kalender des Ersten Bürgermeisters hervorgeht, der der Senatskanzlei vorliegen müsste. Wieso dies bei der Beantwortung der Kleinen Anfrage nicht berücksichtigt worden ist, entzieht sich unserer Kenntnis.“
Scholz wird infolge der Enthüllung, die ordentlich für Unruhe im politischen Berlin sorgt, gleich zwei Mal (Frühjahr und Sommer 2020) im Finanzausschuss des Bundestages zu der Thematik befragt. Er bestätigt dort zwar das Treffen im November 2017 mit Verweis auf einen angeblichen Kalendereintrag (das wird noch relevant im weiteren Verlauf!), betont aber, dass er selbst keinerlei eigene Erinnerungen an das Treffen habe, und verschweigt, apropos Erinnerungslücken, zu diesem Zeitpunkt den Abgeordneten, dass es bereits zuvor (2016) Treffen mit Olearius im Hamburger Rathaus gab. Dies wird er erst später einräumen.
Mittlerweile weiß die Öffentlichkeit: Scholz traf sich in seiner Zeit als Hamburger Bürgermeister mindestens drei Mal mit Christian Olearius, und das zu einem Zeitpunkt, als gegen die Warburg-Bank bereits wegen massiver Steuerhinterziehung ermittelt wurde. Laut mehreren Medienberichten gibt es zudem Vermerke der Generalstaatsanwaltschaft Köln, die darauf hindeuten, dass es noch weitere Treffen zwischen Scholz und dem Privatbanker in dessen Villa in Blankenese gab. Der Bankier suchte laut seinen eigenen Tagebuch-Aufzeichnungen die Unterstützung von Scholz, um eine Rückforderung des Finanzamts im mittleren zweistelligen Millionenbereich wegen der illegalen Cum-Ex-Geschäfte zu verhindern oder zumindest abzumindern. Ob dies mit oder ohne Hilfe von Scholz geschah, ist bis heute nicht abschließend geklärt. Fest steht aber, das Finanzamt Hamburg verzichtete kurz nach dem Treffen von Scholz mit Olearius tatsächlich darauf, Forderungen in Höhe von weit über 40 Millionen Euro einzutreiben. Insgesamt betrugen die Steuerschulden der Bank bundesweit 170 Millionen Euro.
Dekonstruktion der Lügen von Scholz und seinem Pressesprecher
Doch zurück zur zuvor zitierten Aussage von Scholz‘ Pressesprecher. An der Korrektheit von dessen Darstellung bestehen erhebliche Zweifel, de Masi spricht in diesem Zusammenhang davon, dass dies „mehrfach gelogen“ sei, und führt dies auch aus:
„1. Der Termin stand nicht mehr (oder gar nie) in Scholz Kalender, da der Termin laut seiner Büroleiterin im März 2018 nicht ins Finanzministerium überspielt wurde;
2. Dem Hamburger Senat lag der Kalender nicht mehr vor, was Scholz‘ Leute wussten, da der Senat ja bei ihnen angefragt hatte;
3. Warum der Hamburger Senat die Treffen nicht eingeräumt hatte, entzog sich nicht ihrer Kenntnis, da Scholz dafür selbst verantwortlich war. Er hatte dem Hamburger Senat nicht geantwortet.“
Es liege, so der Finanzexperte weiter, auf der Hand, dass Scholz den Kalendereintrag vorgetäuscht habe, um später noch die Option Erinnerungslücke anführen zu können, falls die weiteren Termine noch entdeckt werden würden. Scholz, so die Erläuterung von de Masi, konnte zu dem Zeitpunkt ja nicht einschätzen, was noch in den konfiszierten Tagebüchern des Warburg-Miteigners stand und bis zu welchem Grad Journalisten dazu Zugang hatten.
Überprüfen wir nun, soweit möglich, die drei von de Masi angeführten Punkte:
1. „Der Termin stand nicht mehr (oder gar nie) in Scholz‘ Kalender“
Alle verfügbaren Informationen bestätigen diese Darlegung von de Masi: Im April 2021 schickte, wie unter anderem auch DER SPIEGEL berichtet, die langjährige Büroleiterin von Scholz, Jeanette Schwamberger, ein Schreiben an den Untersuchungsausschuss in Hamburg. In diesem berichtet sie über den Umgang mit dem Terminkalender und erklärt, als Scholz 2018 von Hamburg nach Berlin gewechselt sei, habe man die Daten aus den Jahren 2014 bis 2018 „in den Ministerkalender in Microsoft Outlook übertragen“. Dazu ergänzt sie dann allerdings, und jetzt wird es interessant:
„Zum Termin (von Scholz mit Olearius) finden sich keine Einträge im Ministerkalender des Bundesministeriums der Finanzen.“
In einer internen Mail, datiert auf den 25. April 2021, die dem STERN vorliegt und nicht vom Bundeskanzler dementiert wurde, äußert sich seine Büroleiterin noch expliziter und erklärt, sie habe „noch nie“ einen Termin mit Olearius von November 2017 im Kalender gesehen.
Hintergrund der Aussage? Am 30. April 2021 war Scholz vor dem Untersuchungsausschuss in Hamburg geladen. Für diesen Zweck verfasste sein damaliger Staatssekretär Wolfgang Schmidt, der als engster Vertrauter des jetzigen Bundeskanzlers gilt, in Zusammenarbeit mit Scholz‘ Büroleiterin einen Sprechzettel für ihn. Darin heißt es unter anderem als Formulierungsvorschlag, der per Mail an Schwamberger geht:
„Im November 2017 hat sich der damalige Erste Bürgermeister Olaf Scholz mit Herrn Olearius in seinem Bürgermeister-Amtszimmer zu einem Gespräch getroffen. Dies ist dem Dienstkalender des Bürgermeisters zu entnehmen.“
Darauf antwortet Scholz‘ Büroleiterin laut der dem STERN vorliegenden Mail an Schmidt und Hebestreit um 22:30 Uhr:
„Das irritiert mich. Ich habe noch nie einen Termin mit Olearius von November 2017 im Kalender gesehen. Auch nicht einen Termin im Oktober 2017. Das ist alles merkwürdig, aber wir sind alle Kalender durch.“
Später dann im Untersuchungsausschuss auf den nicht belegbaren Kalendereintrag angesprochen, präsentiert Scholz eine sehr eigenwillige Erklärung. Bedingt durch IT-Probleme im Finanzministerium seien im Kalender ab Mitte Oktober 2017 „ausschließlich Termine meines Amtsvorgängers, Bundesminister Altmaier“ zu finden. Weiter führt er aus:
„Insofern gehe ich davon aus, dass das Treffen stattgefunden haben wird, auch wenn ich daran keine eigene Erinnerung habe.“
Doch diese Scholz’sche Version wird durch Ermittlungen des Landeskriminalamts (LKA) Nordrhein-Westfalen zumindest teilweise in Frage gestellt, denn das LKA hatte im Laufe der Untersuchungen zu Cum-Ex ein damaliges E-Mail- und Kalender-Postfach von Scholz zu seiner Zeit als Bürgermeister beschlagnahmt und dies mittlerweile ausgewertet. Diese Auswertung ist einsehbar. Für den fraglichen 10. November 2017 sind dort genau acht Termine festgehalten, beginnend von 9 Uhr morgens bis 23 Uhr abends. Aufgeführt werden an Terminen unter anderem der Besuch eines Forschungszentrums sowie die Eröffnung einer Fachkonferenz. Doch was fehlt, ist ein Termineintrag für das Treffen mit dem Warburg-Vertreter.
Ebenso präsentiert sich die Lage zu den von de Masi aufgeführten Punkten 2 und 3. Denn seit letzter Woche liegt eine weitere Antwort des Hamburger Senats auf eine Anfrage der dortigen Linksfraktion vor, die wissen wollte, wieso der Senat Ende 2019 das mittlerweile eingeräumte Treffen zwischen Olearius und Scholz dementiert hatte. Die Antwort hat es in sich.
Der Senat räumt in seiner Antwort ein, dass er damals gar keinen Zugriff mehr auf den Kalender von Scholz gehabt habe, da dieser zu diesem Zeitpunkt bereits in Berlin als Finanzminister tätig war. Zwar habe man entsprechend bei ihm im Bundesfinanzministerium nachgefragt, aber eine Rückmeldung sei „innerhalb der für die Beantwortung der Schriftlichen Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht erfolgt“. Die Auskunft, dass es keinerlei Gespräche gegeben habe, hätte man dann auf der Grundlage gegeben, „weil grundsätzlich der Erste Bürgermeister in einem steuerlichen Verfahren nicht beteiligt ist“.
Alles spricht gegen die Version von Scholz
Wir können festhalten: Alles spricht für die Darlegung von de Masi und alles gegen die Wahrhaftigkeit der Erklärung von Hebestreit im Namen des jetzigen Bundeskanzlers und auch bezüglich Scholz‘ eigener Aussagen vor dem Finanzausschuss des Bundestages sowie, in seiner Implikation noch gravierender und strafrechtlich relevant, gegenüber dem Hamburger Untersuchungsausschuss.
Auf Grundlage dieses neuen Erkenntnisstandes gerät die gesamte bisherige Argumentationsgrundlage des amtierenden Kanzlers endgültig ins Wanken. Denn Scholz räumte zwar häppchenweise und nur nach medialem Druck zumindest drei Treffen mit dem kriminellen Banker ein, berief sich dabei aber immer auf angebliche Kalendereinträge. Eigene Erinnerungen, so betonte er es immer wieder vor dem Bundestag und dem Hamburger Senat, hätte er an keines der Treffen.
Dieses Vorgehen legt nahe, so auch die Einschätzung von de Masi in seinem erwähnten Twitter-Beitrag, dass Scholz sich von Beginn an alle drei Treffen erinnert hat und der vorgetäuschte Kalendereintrag nur der Option Erinnerungslücke diente, falls die Treffen aufgedeckt werden würden. De Masi kommt in einer Stellungnahme gegenüber den NachDenkSeiten zu dem Schluss, dass das Verhalten von Scholz sowohl politische wie strafrechtliche Konsequenzen haben muss, und hält den Kanzler für nicht mehr tragbar:
„Man kann keinen Termin bestätigen, der nicht im Kalender steht ohne aktive Erinnerung. Dies war also eine kalkulierte Strategie. Wer die Öffentlichkeit so bewusst belügt, hat etwas zu verbergen. Und zwar den Einfluss auf ein Steuerverfahren zu Gunsten von Wirtschaftskriminellen und den Verzicht auf Tatbeute. Denn das Motto „Reden ist Silber, Schweigen ist Scholz“ macht nur Sinn, wenn der Bundeskanzler sich stärker mit den kriminellen Cum-ex-Deals befasst hat als zulässig. Damit ist dies nicht nur eine politische, sondern auch eine strafrechtliche Angelegenheit. Der Kanzler ist nicht mehr tragbar.“
Titelbild: Shutterstock / photocosmos1