Mit einer skandalösen Bürgerbeschimpfung bei einer Wahlkampfveranstaltung am Freitag hat Olaf Scholz einmal mehr seinen Status als Bundeskanzler der Spaltung bekräftigt: Dieser kalkulierte „Wutausbruch“, der auch noch radikale religiöse Bilder beschwor, reißt alle Brücken zu Andersdenkenden ab. Das Motiv ist klar: Kritiker zu Abgesandten des Teufels zu erklären, macht es einfach für die Verlängerer des Krieges – Argumente von Höllen-Kreaturen muss man nicht entkräften. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
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Bundeskanzler Olaf Scholz hat bei einer kürzlichen Wahlkampfrede in München anwesende Kritiker des Kurses der Bundesregierung schwer beleidigt, wie Medien berichten. Im Laufe der Rede sagte Scholz an die Bürger gewandt, die für Waffenstillstand und Verhandlungen im Ukrainekrieg eintreten:
„Und die, die hier mit Friedenstauben rumlaufen, sind deshalb vielleicht gefallene Engel, die aus der Hölle kommen, weil sie letztendlich einem Kriegstreiber das Wort reden.“
In diesem Screenshot eines Videos der FAZ sind einige dieser „Höllen-Kreaturen“ zu sehen. Sie fordern etwa „Verhandeln statt Schießen!“ und setzen sich für „Waffenstillstand und Friedensverhandlungen“ ein:
Der infame Auftritt des Bundeskanzlers ist in Ausschnitten in dem FAZ-Video zu sehen:
All die Phrasen vom demokratischen Meinungskampf
Der Auftritt von Scholz ist einem Bundeskanzler völlig unangemessen. Die inakzeptable Beleidigung von Andersdenkenden ist nicht neu, aber sie ist immer wieder scharf zurückzuweisen. All die Phrasen vom demokratischen Meinungskampf werden durch solche Äußerungen noch hohler. Denn die Bundesregierung ist in der politischen Auseinandersetzung massiv bevorzugt: Sie verfügt über zahlreiche eigene Kanäle der Meinungsmache. Gleichzeitig verstehen sich weite Teile der hiesigen Medienlandschaft nicht mehr als Prüfstein für die Regierungspolitik, sondern als deren Verteidigungsring gegen den Unmut in der Bevölkerung.
Andersdenkende Bürger dagegen haben diese Kanäle und die folgsamen Journalisten nicht. Der Protest bei Veranstaltungen der Bundesregierung ist eine der ganz wenigen medienwirksamen Formen, mit denen Bürger Aufmerksamkeit für ihre Anliegen erzeugen können. Das ist legitim.
„Entgleisung“ ist eigentlich nicht der richtige Begriff für den Scholz-Auftritt: Die Szene war ein (meiner unbelegten Vermutung nach) kalkulierter und geprobter „Wutausbruch“. Solche (meiner Vermutung nach) mit dem eigenen Pressestab abgestimmten „Wutausbrüche“ gehören zum Werkzeugkasten vieler Politiker. Im konkreten Fall aber empfinde ich das Stilmittel als besonders verstörend und vergiftend. Die vom Kanzler gewählte Form, um Kritiker massiv zu diffamieren, geht noch über bisherige (bereits inakzeptable) Beleidigungen von Kritikern der Kriegsverlängerung etwa als „Lumpenpazifisten“ hinaus. Die Rede von Olaf Scholz ist auch bezüglich vieler anderer Themen irreführend, hier soll sich aber auf die Kriegsfrage konzentriert werden.
In den heutigen „Hinweisen des Tages“ weist eine Leserin auf die Orwell’schen Verdrehungen bei der Kriegsfrage hin. Der von Scholz gewählte religiöse Bezug soll (wie bei Corona oder bei der Klimadebatte) bei der Frage der Kriegsverlängerung Andersdenkende als „Leugner“ einer angeblich völlig eindeutigen Moral erscheinen lassen.
Verrohung „von Oben“
Der Auftritt von Scholz ist auch ein weiteres Beispiel für die Verrohung der Gesellschaft „von Oben“. Diffamierungen von der ganz großen Kanzel des Kanzlers herab wirken gesellschaftlich selbstverständlich viel gravierender als Online-Hass vonseiten radikaler Bürger. Zusätzlich wird diese Online-Bürger-Wut durch solche Sprüche wie von Scholz nun doch massiv angefacht – und angesichts der maßlosen Sprache des Kanzlers wäre das auch, wenn auch nicht zu begrüßen, so doch nachvollziehbar, solange sie nicht Paragrafen wie Volksverhetzung, Beleidigung usw. erfüllt.
Bürgerkritik ist nach meinem persönlichen Eindruck oft erheblich anständiger formuliert als die harschen Reaktionen vonseiten der Regierung, ihnen gewogenen Journalisten und Teilen der „Zivilgesellschaft“. Das Phänomen kennt man auch von der Kampagne gegen Kritiker der Corona-Politik: Mit hasserfüllter Sprache wurde auch angemessene und sachlich formulierte Kritik als „Hass und Hetze“ bezeichnet. Wohlbegründete Tabus im öffentlichen Umgang werden von oben abgeräumt, anstatt sie zu verteidigen.
Die sprachliche Eskalation zeigt aber auch die große inhaltliche Schwäche der Kriegsverlängerer. Der Auftritt von Scholz hat darum auch etwas Verzweifeltes. Dazu kommen die merkwürdigen, von ihm genutzten Formulierungen, die sogar auf die Beschwörung radikaler religiöser Bilder zurückgreift. Auf den Aspekt der Verrohung „von Oben“ sind wir unter anderem im Artikel Die Hasssprache im Mainstream: Menschen sind „Ratten“, „Dünger“, „Schweine“ eingegangen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat kürzlich ebenfalls (einmal mehr) Tendenzen in dieser Richtung gezeigt, wie wir im Artikel Der „Spiegel“, Steinmeier und die AfD: Wer ist hier eigentlich der „Verfassungsfeind“? beschrieben haben.
Mit Höllen-Kreaturen muss man nicht mehr reden
Bürgerbeschimpfung durch mächtige Politiker vertieft die gesellschaftlichen Gräben zusätzlich. Über welche Brücke sollte ein Bürger noch gehen, den der Kanzler als Ausgeburt der Hölle bezeichnet? Dass gleichzeitig immer wieder der Zusammenhalt und ein gelogenes „Wir“ beschworen wird, erscheint vor dem Hintergrund solcher (meiner Meinung nach kalkulierter) Ausfälle infam. Es ist auch ein Moment der Klarheit: Versöhnung ist nicht gewünscht, die Spaltung wird von „ganz oben“ zusätzlich zementiert.
Das Motiv dafür ist klar – Kritiker zu Abgesandten des Teufels zu erklären, macht es einfach für die Verlängerer des Krieges: Mit Höllen-Kreaturen muss man nicht mehr reden – dadurch fällt dann die eigene argumentative und moralische Schwäche bei der Frage der Kriegsverlängerung nicht mehr ganz so stark auf.
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Titelbild: Screenshot FAZ