US-Schuldenstreit – Das Spiel mit dem Feuer
Das unwürdige Blockadepoker des parlamentarischen Arms der Tea-Party-Bewegung erreicht an diesem Wochenende seinen bisherigen Höhepunkt. Sollte es zu keinem überparteilichen Kompromiss bei der Anhebung der Schuldengrenze kommen, wird US-Präsident Obama wohl dazu gezwungen, mit „Notstandsvollmachten“ am Kongress vorbei zu regieren. Andererseits würde nicht nur den USA, sondern der gesamten Welt ein wohl irreparabler Schaden drohen. Der ideologische Fundamentalismus der Tea-Party-Bewegung treibt bereits heute ein gefährliches Spiel mit dem Feuer und es besteht kein Grund zur Hoffnung, dass sich die Krise im Präsidentschaftswahljahr 2012 entspannen könnte.
Von Jens Berger.
Der aktuelle Streit um die Neuaufnahme von Schulden in den USA zeigt, zu welch abstrusen Folgen eine gesetzlich verankerte Schuldenbremse führen kann. Die US-Regierung darf laut Gesetz keine neuen Anleihen platzieren, wenn dadurch die Gesamtverschuldung der USA die Marke von 14.300 Milliarden US$ übersteigen würde. Ohne frisches Fremdkapital sind die USA jedoch – je nach Angaben – zwischen dem 2. und dem 15. August zahlungsunfähig. Diese Insolvenz ist keinesfalls mit der Verschuldung europäischer Staaten wie Griechenland oder Irland zu vergleichen. Die USA könnten ohne weitere Probleme zu einem der günstigsten Zinssätze der Welt Anleihen auf dem Kapitalmarkt platzieren und würden dafür auch Käufer finden.
Das System der Checks & Balances zwischen Senat und Repräsentantenhaus im Kapitol hat dazu geführt, dass die USA den Großteil ihrer Geschichte de facto von einer Großen Koalition regiert wurden. Das funktionierte so lange relativ gut, bis mit dem Tea-Party-Flügel der Republikaner Abgeordnete in die Parlamente einzogen, die sich in ihrem Antietatismus jedem Kompromiss verweigern. Die drohende Zahlungsunfähigkeit der USA hat überhaupt nichts mit volkswirtschaftlichen oder finanzwirtschaftlichen Fragen zu tun – die aktuelle Schuldenkrise ist eine rein politische Krise.
Was verspricht sich die Tea-Party-Bewegung eigentlich von ihrer Totalblockade? Um diese Frage zu beantworten, muss man sich zunächst vergegenwärtigen, welchen ideologischen Hintergrund diese Bewegung hat. Weltanschaulich ist die Tea-Party-Bewegung am ultrakonservativen Rand zu verordnen – sie ist fundamentalchristlich geprägt, fremdenfeindlich und gesellschaftspolitisch reaktionär. Von klassischen rechten Bewegungen unterscheidet sie sich jedoch diametral, wenn es um die Rolle des Staates geht. Hier ist die Tea-Party-Bewegung libertär, sie fordert einen Minimalstaat, der möglichst wenig Steuern erhebt und sich aus fast allen Bereichen, die über die administrativen Kernaufgaben hinausgehen, zurückzieht. Bereits die rudimentären sozialstaatlichen Errungenschaften der USA sind für sie „Sozialismus in Reinkultur“. Dabei knüpft die Bewegung an die Gründungszeit der USA an, in der die Einwanderer vor den ihre Vorfahren oft (religiös) unterdrückenden „starken Staaten“ der alten Welt flohen und in der neuen Welt ihr Glück suchten, wobei sie sich nicht auf den Staat, sondern auf ihr Gottvertrauen verließen. Die Tea-Party-Bewegung stellt ein buntes Sammelbecken dar, dass von ultrarechten Milizbewegungen, konservative „Wutbürger“ bis zu den radikalen Anarchokapitalisten der österreichischen Schule reicht. Da es in Europa keine entsprechenden politischen Bewegungen gibt, existiert auch in der deutschen Sprache kein passender Begriff für die politische Ausrichtung der Tea-Party-Bewegung – passender als der häufig verwendete Begriff „rechtsextrem“ erscheint hier jedoch der Begriff „paläolibertär“.
Während die Welt den Schuldenstreit sorgenvoll betrachtet, reibt sich die Tea-Party-Bewegung die Hände. Sie kann durch den Streit nur gewinnen und dafür nimmt sie sogar maximale „Kollateralschäden“ in Kauf. Sollte – wovon keinesfalls auszugehen ist – Obama tatsächlich gezwungen sein, die Zahlungsunfähigkeit zu erklären, müsste er genau die Maßnahmen einleiten, die zur politischen Agenda der Tea-Party-Bewegung zählen – er müsste Staatsbedienstete entlassen, die staatlichen Wohlfahrtsprogramme streichen, den rudimentären Sozialstaat privatisieren und “sein” Medicare-Programm endgültig beerdigen. Die Tea-Party-Bewegung würde dies als politischen Sieg verkaufen. Dass sie damit die Armen, Alten und Schwachen der Gesellschaft auf ihrem weltanschaulichem Altar opfert, stellt für sie dabei kein Problem dar. Eine echte Krise – so die perfide Berechnung – treibt den Extremisten weitere Anhänger zu.
Durchaus möglich ist jedoch, dass die politische Blockade der Tea-Party-Bewegung zu einer Spaltung der Republikanischen Partei führen könnte. Schon heute wedelt bei den Republikanern der Schwanz mit dem Hund. Auch wenn die radikalen Thesen der Bewegung bei den gemäßigten Republikanern keineswegs auf Gegenliebe stoßen, würde ein staatstragender Kompromiss des gemäßigten Parteiflügels von der Tea-Party-Bewegung als Verrat empfunden werden. Dies wäre dann wohl der Zusammenbruch der „Grand Old Party“. Sollten die gemäßigten Republikaner die Tea-Party-Bewegung nicht zu einem Kompromiss bewegen können, droht die Fortsetzung der Totalblockade und damit die Zahlungsunfähigkeit der amerikanischen Administration.
Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass Präsident Obama sein Land sehenden Auges in den Abgrund stürzen lässt. Die US-Verfassung sieht vor [PDF – 35.9 KB] , dass der Präsident im Ernstfall mit einer Notstandsregelung am Kongress vorbei regieren kann. Es wäre noch nicht einmal ungewöhnlich, dass ein US-Präsident von dieser Möglichkeit Gebrauch macht. Zwischen 1976 und 2001 wurde insgesamt 32-mal der Staats- bzw. Verfassungsnotstand [PDF – 146 KB] erklärt. Auch Obama machte bereits mehrfach von dieser Möglichkeit Gebrauch, als er z.B. die Notstandsgesetze, die von George W. Bush 2001 als Reaktion auf die 9/11-Terroranschläge umgesetzt wurden, verlängerte. Es ist jedoch umstritten, ob Obama einen drohenden Zahlungsausfall als Begründung für einen Verfassungsnotstand anführen kann. Darüber müsste dann der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten entscheiden. Eine solches Gerichtsverfahren käme mitten im Präsidentschaftswahljahr 2012 jedoch vor allem der Tea-Party-Bewegung zu gute, vertritt sie doch ohnehin die Position, dass die Politik des derzeitigen Präsidenten nicht verfassungskonform sei.
Der „mächtigste Mann der Welt“ steckt in einer Zwickmühle. Entweder er beugt sich einmal mehr der immer weiter nach rechts driftenden Kongressmehrheit oder er regiert am Kongress vorbei und muss ich dann womöglich mitten im Wahlkampf einen Verfassungsbruch für schuldig vorhalten lassen. Die dritte Option, die Zahlungsunfähigkeit zu erklären, ist nach allen Regeln der Vernunft keine ernsthafte Wahlmöglichkeit. Es kann jedoch auch sein, dass Obama mit Hilfe der Fed eine vierte Option findet, die momentan noch kein Beobachter so richtig auf dem Schirm hat. Wenn man der FED eine Sache nicht vorwerfen kann, dann ist dies mangelnde Kreativität.
Der Schuldenstreit verdeutlicht einmal mehr die Machtlosigkeit des Präsidenten. Seit seiner Inauguration ließ sich Obama von den Republikanern treiben. Nach den Kongresswahlen im November 2010, in denen die republikanische Mehrheit auch noch mit zahlreichen Tea-Party-Kandidaten angereichert wurde, ist Obama nur mehr ein Getriebener, der das Heft des Handelns schon lange aus der Hand geben musste. Er konnte noch nicht einmal die angekündigte Streichung der Steuergeschenke für Spitzenverdiener, die in der Ära Bush gemacht wurden, umsetzen. Wenn Obama sich auf einen Kompromiss mit den Republikanern einlassen würde, müsste er möglicherweise sogar den Spitzensteuersatz von 35% auf – historisch einmalig niedrige – 25% senken. Wie man die Verschuldung mittels einer Senkung der Steuern abbauen will, „wissen“ wahrscheinlich nur die Ökonomen der Tea-Party-Bewegung. Dass die Steuergeschenke Bushs die amerikanische Wirtschaft vorangebracht hätten, ist jedenfalls nicht bekannt.
Der Schuldenstreit wird wohl nicht an diesem Wochenende beigelegt werden können – egal ob es zu einem Kompromiss kommen wird oder nicht. Ziel der Republikaner ist es, die Schuldengrenze gegen Konzessionen der Demokraten nur so weit zu erhöhen, dass es im nächsten Sommer – in der heißen Wahlkampfphase – zu einer Neuauflage des Schuldenstreits kommt. Als Folge der aktuellen Zuspitzung ist es – völlig unabhängig davon, wie der Streit gelöst wird – sogar möglich, dass die Ratingagenturen den USA ihr AAA-Rating entziehen werden. Welche Auswirkungen diese Neubewertung haben wird, ist ungewiss. Anders als Griechenland oder Irland können die USA, die in ihrer eigenen Dollar-Währung verschuldet sind, auch ganz einfach die Druckerpressen in den Kellern der FED anwerfen und das Geld schöpfen, was sie zur Tilgung ihrer Schulden benötigen. US-Anleihen sind und bleiben die sichersten Schuldverschreibungen, die es im modernen Finanzkapitalismus gibt, nicht weil die amerikanische Wirtschaft so stark wäre und die Wirtschaftsdaten solide wären, sondern weil bei einem Staatsbankrott der USA auch alle anderen weltweit ausgestellten Anleihen ausfallsbedroht wären.
Dass die Einschätzungen der Ratingagenturen in einer solchen Situation kaum Bedeutung haben, beweist das Beispiel Japan. Moodys und Standard and Poors entzogen Japan im Jahre 2002 das heißbegehrte AAA und ordneten die Bonität somit zwischen der Botswanas und der Estlands ein. Neun Jahre später kann sich Japan immer noch für weniger als 1% refinanzieren. Es gibt keinen Grund anzunehmen, warum dies bei den USA anders sein sollte.
Eine böse Überraschung könnten jedoch Anleger erleben, die den Schuldenstreit ausnutzen, um mit Gold Spekulationsgewinne einzufahren. Um sich Zeit zu erkaufen könnte Obama auch einen Teil der 8.133 Tonnen Gold verkaufen, die in den Kellern von Fort Knox und unter Manhattan lagern. Der damit verbundene Kurssturz würde besonders den Anhängern der Tea-Party-Bewegung gar nicht gefallen, die von ihren Idolen in die Goldfalle gelockt wurden. Wie heißt es so schön – Rache ist süß.