Die Cum-Ex-Affäre ist noch nicht zu Ende. Ende Mai wurde der Steueranwalt und Cum-Ex-Strippenzieher Hanno Berger zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Im Juni hat die Hamburger Finanzverwaltung Strafantrag gegen die Finanzbeamtin Daniela P. (im Buch Svenja Pannhusen genannt) gestellt. Auch gegen den SPD-Politiker Johannes Kahrs wird ermittelt. Und im September muss sich der Mitinhaber der Privatbank M.M. Warburg & Co, Christian Olearius, vor dem Landgericht Bonn verantworten. All dies sind maßgebliche Akteure im Hamburger Cum-Ex-Skandal, und all dies bedeutet für Bundeskanzler Olaf Scholz nichts Gutes. Denn nach wie vor steht die Frage im Raum: Hat Scholz als Erster Bürgermeister Hamburgs Einfluss auf das Cum-Ex-Steuerverfahren genommen – zu Gunsten des Warburg-Bankers Olearius, eines mutmaßlichen Steuerkriminellen? Eine Rezension von Thomas Trares.
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Falls Sie sich in dem Politkrimi Cum-Ex auf den neuesten Stand bringen wollen, dann sei Ihnen das Buch „Die Akte Scholz – der Kanzler, das Geld und die Macht“[1] der beiden Investigativ-Journalisten Oliver Schröm und Oliver Hollenstein empfohlen. Erschienen ist es im vergangenen Jahr im Ch.Links Verlag. Drei Themenkreise werden darin ausgeleuchtet: das politische Wirken von Olaf Scholz, die Cum-Ex-Verwicklungen der Hamburger Warburg Bank und die internen Abläufe in den Hamburger Finanz- und Steuerbehörden. Das Buch ist im Grunde ein schriftliches Protokoll der Cum-Ex-Affäre und überdies ein hochinteressantes Zeitdokument, denn es gewährt seltene und detaillierte Einblicke in die Mechanismen der Macht.
Scholz kann sich nicht erinnern
Im Kern geht es um folgenden Sachverhalt: Im Jahr 2016 hatte das Hamburger Finanzamt von der Warburg Bank zunächst 47 Millionen Euro aus illegalen Cum-Ex-Geschäften zurückgefordert. Dann aber setzte bei den Steuerbeamten ein Sinneswandel ein. Das Geld wurde nicht eingetrieben, die Steuerrückforderung verjährte. Damit war Hamburg das einzige Bundesland, das auf seine Cum-Ex-Millionen verzichtete. Das Pikante dabei: Zuvor hatte es insgesamt drei Treffen zwischen Olaf Scholz und dem Warburg-Banker Olearius gegeben, an deren Inhalt sich Scholz heute nicht mehr erinnern kann oder will. Aus den Tagebüchern von Olearius, die später bei einer Razzia beschlagnahmt wurden, geht aber hervor, dass Scholz dem Banker riet, ein Verteidigungsschreiben an den damaligen Hamburger Finanzsenator Peter Tschentscher zu schicken, der dieses wiederum an die Steuerverwaltung weiterleitete.
Schröm und Hollenstein beschreiben diesen zentralen Vorgang wie folgt:
„Scholz fordert den Bankier jetzt auf, das Dokument ‚ohne weitere Bemerkung‘ an Finanzsenator Tschentscher zu schicken. Damit ist – nach inzwischen etlichen Insiderinformationen und Ratschlägen der Finanzbeamtin Pannhusen an die Warburg-Bank – eine neue Ebene erreicht: Der Bürgermeister hat den mutmaßlichen Steuerbetrüger Christian Olearius diesmal nicht nur empfangen und angehört, sondern ihm auch persönlich den Weg gewiesen, auf wessen Schreibtisch die Verteidigungsschrift der Warburg-Bank landen soll. Hier hilft also der Chef, und er schickt Olearius mit seinem Schreiben nicht etwa zur Fachkraft im zuständigen Amt. Olaf Scholz verweist den Bankier an die politische Spitze der Hamburger Steuerverwaltung, an den Finanzsenator selbst, der eigentlich nicht damit befasst ist, Entscheidungen des Finanzamts für Großunternehmen zu fällen.“ (S. 94)
Das Buch als Kriminalakte
Das Buch „Die Akte Scholz“ macht auch rein formal seinem Namen alle Ehre, denn es liest sich weniger wie ein klassisches Sachbuch, sondern tatsächlich wie eine Kriminalakte. Es gibt keinen durchgängigen Erzählstrang, der Text ist vielmehr eine chronologisch geordnete Abfolge von Ereignissen und Begebenheiten. Das Ganze beginnt am Montag, dem 9. November 2009, mit dem Landesparteitag der Hamburger SPD, auf dem Scholz zum Landesvorsitzenden gewählt wurde, und endet am Mittwoch, dem 29. Juni 2022, mit einer Verfügung der Kölner Staatsanwaltschaft. Darin geht es um die Ermittlungen gegen die SPD-Politiker Johannes Kahrs und Alfons Pawelczyk sowie gegen die Finanzbeamtin Daniela P. (Svenja Pannhusen). Die drei werden der Begünstigung und Beihilfe zur Steuerhinterziehung verdächtigt.
Das Bild, das Schröm und Hollenstein in ihrem Buch vom Kanzler zeichnen, ist das eines klassischen Politkarrieristen, eines Politarbeiters. Alles Tun und Handeln ist auf Gewinn und Erhalt von Macht ausgerichtet, politische Inhalte zweitrangig. Die Autoren schreiben:
„Scholz ist kein begeisternder Redner, seine politische Karriere verdankt er nicht einem ungewöhnlichen Charisma, sondern seinem Fleiß und seiner unerschütterlichen Zielstrebigkeit. Scholz erarbeitet sich Macht. Er kennt alle Argumente zu den wichtigen Themen der Stadt, hat immer eine Antwort auf Gegenpositionen parat. Weil er die entscheidenden Akten gelesen hat. Weil er die entscheidenden Leute gesprochen hat. Er kann Positionen in prägnante Worte fassen. Und er ist penibel auf seine öffentliche Wirkung bedacht, macht nie etwas, ohne über die Folgen nachzudenken. Ein politischer Profi, seit Jahrzehnten im Geschäft.“ (S.7)
Langeweile ist kalkuliert
Selbst die Langeweile, die Scholz ausstrahlt, wird gezielt eingesetzt. Dazu heißt es:
„Alle Wahlkampfveranstaltungen sind maximal nüchtern gehalten. Ohne Luftballons, Einmarschmusik, Videoinstallationen. Scholz präsentiert sich genau so, wie die Menschen ihn ohnehin sehen. Scholz kann – ganz der oft verspottete Scholzomat – viel reden, ohne irgendetwas zu sagen. Das wird von vielen politischen Beobachtern als Schwäche interpretiert. Das ist es nicht. Scholz weiß genau, wann es hilfreich ist, sich nicht festzulegen. Und er kontrolliert genau, wann er mit einem Satz im Gedächtnis bleiben will.“ (S. 27).
Auch die Erinnerungslücken hinsichtlich der Treffen mit Olearius sind genau kalkuliert: Scholz ist Jurist und weiß, dass er mit Aussagen wie „Ich kann mich nicht erinnern“ in Vernehmungen auf der sicheren Seite ist. Damit hat er „formal nicht gelogen, nichts beschönigt oder weggelassen“, schreiben die Autoren. (S. 312)
Die gleiche Methode wendet auch die Finanzbeamtin Daniela P. (Svenja Pannhusen) in Vernehmungen an. Auch sie ist Juristin und eine Schlüsselfigur in der Hamburger Cum-Ex-Affäre. Sie ist im Hamburger Finanzamt für Großunternehmen für die Warburg Bank zuständig und überdies maßgeblich für die Kehrtwende in dem Cum-Ex-Verfahren verantwortlich. Die ermittelnde Kölner Staatsanwältin Anne Brorhilker schrieb später über sie: Pannhusen sei „in auffälliger Weise bereit“, die „Interessen der MMW bei den Entscheidungen des Finanzamts Hamburg zu berücksichtigen“. Brorhilker wunderte sich, dass „die Beamtin nicht nur die Argumente ihrer Mitarbeiter vom Tisch gewischt hat, sondern auch die Urteile von Gerichten und die Prüfungsberichte für die BaFin“. (S. 273) Inzwischen hat Pannhusens eigener Behördenleiter Strafantrag gegen sie gestellt.[2]
Olearius aktiviert sein Netzwerk
Dass der Cum-Ex-Skandal ausgerechnet in Hamburg derart eskalierte, hat freilich auch mit der besonderen Persönlichkeit von Christian Olearius zu tun. Dazu schreiben Schröm und Hollenstein:
„Andere Banker haben sich in der Cum-ex-Affäre herausgekauft, indem sie frühzeitig eine Einigung mit den Behörden suchten und fanden. Ein Deal ist für beide Seiten vorteilhaft: Für die Banken gibt es einen klaren Schnitt ohne weitere Risiken, der Staat spart sich ein kostspieliges Verfahren. Doch Olearius will sich nicht mit dem Finanzamt einigen. Stattdessen aktiviert er sein politisches Netzwerk.“ (S. 45)
So hat er die Anwaltskanzlei Linklaters mit einem Gutachten beauftragt. Das Ergebnis: Die Bank ist unschuldig. Und nicht zuletzt hat Olearius auch „seine Helfer aus der SPD“ aktiviert: Alfons Pawelczyk und Johannes Kahrs. Kahrs sollte auf Bundesebene lobbyieren, Pawelczyk sich um Olaf Scholz kümmern.
Nun steht Olearius im September in Bonn vor Gericht. Das Verfahren birgt enormen politischen Sprengstoff. Es ist gut möglich, dass für Olaf Scholz weitere unangenehme Details an die Öffentlichkeit kommen. Was die beiden Autoren jedoch über Scholz denken, dazu haben sie sich in ihrem Buch nicht geäußert. Vielmehr haben sie sich darauf reduziert, die bislang bekannten Fakten und Sachverhalte zusammenzutragen. Auf einer Veranstaltung des Ost-West-Forums Gut Gödelitz jedoch hat Schröm, der jahrelang zu Cum-Ex recherchierte, kürzlich seine persönliche Meinung kundgetan: Er hält die Indizienkette für erdrückend, er glaubt, dass Scholz gelogen hat.[3]
Titelbild: photocosmos1 / Shutterstock
[«1] aufbau-verlage.de/ch-links-verlag/die-akte-scholz/978-3-96289-177-0
[«2] tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/cum-ex-finanzamt-hamburg-100.html
[«3] Sächsische Zeitung, Döbeln: „Kanzler Scholz und der Steuer-Skandal“, 15. Mai 2023, Seite 7