Nico Lange, seines Zeichens Senior Fellow der „Zeitenwende-Initiative“ der Münchner Sicherheitskonferenz und zuvor unter Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK) umstrittener „Leiter des Leitungsstabes im Bundesministerium der Verteidigung“, erklärte am 16. August via Twitter, dass sich „die Balance des Krieges“ zugunsten der Ukraine verschiebe. Als Beleg für seine Einschätzung verweist er auf einen t-online-Artikel. Dieser zitiert allerdings nur einen einzigen „Sicherheitsexperten“ – ihn selbst. Von Florian Warweg.
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Der Fall ist geradezu ein Lehrstück über die aktuelle Verfasstheit der „etablierten“ Ukraine-Berichterstattung und der Rolle, die dort oft selbsternannte „Sicherheitsexperten“ spielen.
Nico Lange, der als Intimus von AKK gilt und von dieser, ohne jegliche vorherige Behördenerfahrung vorweisen zu können, 2019 zum Leiter des Leitungsstabes im Verteidigungsministerium ernannt wurden war, hat bisher laut Medienberichten bei fast all seinen Tätigkeiten verbrannte Erde hinterlassen. Der Spiegel kolportiert in diesem Zusammenhang einen Witz, der sich im Verteidigungsministerium über seine dortige Rolle breitgemacht haben soll:
„Management by Jeans. An den entscheidenden Stellen Nieten.“
Nach der Wahlniederlage der CDU wechselte er im Juli 2022 zur „Zeitenwende-Initiative“ der Münchner Sicherheitskonferenz. Vor April 2022 hatte Lange, wie aus seiner Veröffentlichungsliste nachweislich hervorgeht, keine einzige Veröffentlichung zu sicherheitspolitischen Themen publiziert und auch innerhalb der CDU nicht diesen Ruf.
Das hinderte ihn aber nicht daran, sich mit Beginn des Ukraine-Krieges, der zeitlich mit seinem eigenen politischen Bedeutungsverlust koinzidierte, als „Sicherheitsexperte“ medial zu verkaufen – eine Selbsterfindung, die von Medien wie t-online auf der verzweifelten Suche nach „Experten mit Haltung“ gerne aufgegriffen wurde. Gewisse Parallelen zu Toni Hofreiter und dessen Transformation zum Bellizisten und „Waffenexperten“, nachdem er bei der Verteilung von Ministerposten leer ausgegangen war, sind unverkennbar.
Jener Nico Lange verkündete nun diese Woche via Twitter mit Verweis auf einen t-online-Artikel:
„Die Ukraine kommt voran, wenn auch langsam. Die letzten zwei Wochen zeigen – die Balance des Krieges verschiebt sich langsam zugunsten der Ukraine.“
Die Ukraine kommt voran, wenn auch langsam. Die letzten zwei Wochen zeigen – die Balance des Krieges verschiebt sich langsam zugunsten der Ukraine. https://t.co/xzDgpFZImj
— Nico Lange (@nicolange_) August 16, 2023
Liest man sich den Artikel mit dem Titel „Die Ukraine kommt voran – wenn auch langsam – So ist die militärische Lage an der Front“ (später ohne weitere Kennzeichnung geändert in „Ukrainische Strategie – Wenn sie das schaffen, haben sie auch mehr Erfolg“) durch, fällt auf, dass dieser zwar eingangs im Plural von „…wie Experten beobachten…“ spricht, aber dann ausschließlich die Einschätzung eines einzigen „Sicherheitsexperten“ wiedergibt – jene des dem Leser schon bekannten Nico Lange.
Das heißt, der zum Sicherheitsexperten mutierte CDU-Politiker (2018-2019 Vize-Bundesgeschäftsführer der CDU Deutschland) hat tatsächlich die Chuzpe, seine These zur Frontentwicklung im Ukraine-Krieg mit einem Artikel „zu belegen“, in dem lediglich er selbst zu Wort kommt.
Fragen stellen sich aber nicht nur hinsichtlich des Vorgehens von Lange. Mindestens ebenso fragwürdig ist das journalistische Vorgehen der t-online-Redakteurin. Der Artikel ist ein typisches Beispiel für die strukturell einseitige Berichterstattung zum Krieg in der Ukraine. Als Grundlage für den Artikel dient ein einziges Gespräch mit einem hochtendenziösen „Experten“ wie Nico Lange, der auf Twitter & Co. offensiv als Agitator und nicht als sachlicher Analyst agiert, sowie copy/paste-Material von der deutschen Nachrichtenagentur dpa. Die wiederum zitiert namentlich ausschließlich ukrainische Regierungsquellen, im konkreten Fall die stellvertretende Verteidigungsministerin Hanna Maljar sowie den Sprecher der ukrainischen Armeegruppe Ost, Serhij Tscherewatyj.
Glaubt die fragliche t-online-Redakteurin ernsthaft, dass sie auf dieser Quellengrundlage ihre Leserschaft auch nur im Ansatz objektiv über den Kriegsverlauf informieren kann?
Man könnte ja auch mal in der t-online-Redaktion – ich weiß, sehr verwegen – nicht-westliche Sicherheitsexperten befragen, die oft einen ganz anderen Blick auf die militärische Lage in der Ukraine haben und folglich auch zu ganz anderen Rückschlüssen kommen. Verwiesen sei etwa auf den ehemaligen pakistanischen General Asad Durrani, der die Führungsakademie der Bundeswehr durchlaufen hat und später Botschafter seines Landes in Deutschland wurde.
Titelbild: Screenshot @nicolange_