Niger ist arm – warum? Kinder-TV klärt darüber nicht wirklich auf – bei den Kleinen ist es so wie bei den Großen – ja nicht hinterfragen

Niger ist arm – warum? Kinder-TV klärt darüber nicht wirklich auf – bei den Kleinen ist es so wie bei den Großen – ja nicht hinterfragen

Niger ist arm – warum? Kinder-TV klärt darüber nicht wirklich auf – bei den Kleinen ist es so wie bei den Großen – ja nicht hinterfragen

Ein Artikel von Frank Blenz

„Das ist gerade in Niger los“, steht über einer Fotoserie der Internetpräsenz der ZDF-Kindersendung logo!. Die kleinen Zuseher bekommen mit sieben Bildern und darunterstehenden Texten einen Einblick in das afrikanische Land präsentiert, das sich in einer schweren Krise befindet. Was für Kinder beim Anblick der Nachrichten aus der logo!-Redaktion ausreichend, informativ und logisch erscheint, klar, die Sendung heißt logo!, ist bei kritischer Betrachtung eher fragwürdig. Dem Erwachsenen kommt das Weglassen, Auslassen, Richtung vorgeben in den Beiträgen bekannt vor. Wahre Gründe, Ursachen beispielsweise bleiben wie immer schön im Hintergrund. Das ist ein beschämender Zustand, findet man als Erwachsener und Elternteil. Ein Zwischenruf von Frank Blenz.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Kinder wie Erwachsene erschrecken sicher, wenn sie davon lesen, wie arm ein Land, wie arm Menschen eines Landes sein können. Die Nachrichtenleute der ZDF-Kindersendung logo! berichten gerade vermehrt über das afrikanische Land Niger. Kleine und große Zuseher und Leser erfahren, dass das westafrikanische Niger eines der ärmsten Länder der Welt ist, dass die Bevölkerung sehr, sehr jung ist, dass es zudem viele, viele Flüchtlinge gibt, dass es sehr heiß ist – was Wunder, zwei Drittel der Fläche ist Sahara-Wüste – und dass das Land seinen Namen vom gleichnamigen Fluss Niger hat. Mit Bildergalerien wird ebenfalls informiert, allein die Fotos sind lediglich halbwegs überzeugend, vielmehr eher so la la, die Unterschriften geraten hingegen durchweg fade und vieldeutig, wage, unvollständig. Sieben kommentierte Fotos veröffentlichte logo! und diese Zeilen darunter:

Bildergalerie aus einem reichen armen Land

Proteste in der Hauptstadt

Was geht denn bitte gerade in dem Land Niger ab? Auf diesem Foto seht ihr, wie sich tausende Menschen versammeln, um zu protestieren – aber warum die ganze Aufregung?

Plötzlich Ex-Präsident

Um ihn geht’s hier bei der ganzen Sache: Präsident Mohamed Bazoum. Naja, Ex-Präsident. Ende Juli hat er seine Macht im Land verloren, denn…

Er ist der Neue!

…er hier hat sich selbst zum neuen Machthaber erklärt. Hä, einfach so? Nein nicht ganz, er ist nicht irgendwer! Das ist Abdourahmane Tchiani. Er hat einen wichtigen Job beim Militär.

Macht, Macht, Macht.

Die Militärchefs haben schon immer großen Einfluss auf die Politik. Sie behaupten, der alte Präsident habe seinen Job nicht gut gemacht. Deswegen haben sie ihn aus dem Amt vertrieben.

Proteste

Seitdem ist die Situation in dem Land sehr unsicher. Einige Menschen finden es gut, dass das Militär nun an der Macht ist, andere sind dagegen. Es kommt seitdem immer wieder zu Gewalt.

Schnell weg!

Viele Menschen wollen deswegen das Land Niger schnell verlassen. Dieses Flugzeug bringt etwa 500 Menschen nach Paris. Die meisten, die hier sitzen, kommen aus anderen Ländern…

Und jetzt?

…viele Einheimische haben aber gar nicht die Möglichkeit, das Land zu verlassen. Niger ist nämlich eines der ärmsten Länder der Welt. Wie es dort weitergeht, kann niemand sicher sagen. (Quelle: zdf.de)

Sicher, eine Bildergalerie kann nicht die ganze Story erzählen. Doch die Serie hätte weitere gute (!) Fotos und inhaltsreiche Erläuterungen verdient. Der Galerie fehlen indes schlicht wichtige, kraftvolle Informationen.

Etwas Wohlstand darf schon sein

Zunächst erfährt das junge und das ältere Publikum in weiteren Beiträgen von logo!, dass die grassierende Armut in Niger schlimme Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen habe, was zur Folge hat, dass sie durchschnittlich 20 Jahre früher sterben als Menschen in Deutschland. Gerade einmal die Hälfte der Nigrer und Nigrerinnen verfügt über den Zugang zu sauberem Trinkwasser. Bei all der Not: In Niger werden viele Kinder geboren, im Schnitt haben Frauen sieben Kinder. Was aber fehlt, sind Schulen. Lediglich die Hälfte der Kinder des Landes gehen zur Schule, viele Mädchen und Jungen müssen arbeiten, damit die Familie über die Runden kommt. Weitere Probleme sind: Hunger, fehlendes Wasser, enorme Flüchtlingsströme in und durch das Land.

Der Präsident, also der Ex-Präsident, hatte ein bisschen was Gutes geplant, wird lobend erwähnt: mehr Schulen bauen. Etwas Wohlstand darf schon sein. Dafür, so berichtet logo!, gab es Unterstützung aus Deutschland und Europa. Wenigstens etwas.

zdf.de/suche?q=Niger&synth=true&usePartnerContent=true&syntheticProfile=large&sender=ZDFtivi&from=&to=&attrs=&abName=ab-2023-08-14&abGroup=gruppe-b

Ursachen der Armut? Wer hat Interesse an Niger und warum? Fragen über Fragen

Beim Durchlesen von logo!-Texten wie auch Texten bei den Erwachsenen (z.B. Tagesschau) finde ich weiter keine angemessene, zufriedenstellende Antwort auf die Frage, was die Ursachen für die Armut im Land sind.

Das kleine und große Publikum erfährt in späteren Absätzen, dass Niger viele Bodenschätze zu bieten hat: Uran, Erdöl oder Gold. Diese Schätze werden an andere Länder geliefert. Eine zaghafte Kritik dazu lautet: „Nur wenige Menschen verdienen daran Geld.“ Man ahnt, dass hinter dem Wort Bodenschätze das Wort Ursache stehen könnte. Das sagt logo! nicht und führt dazu auch nicht weiter aus.

Vom Kinder-TV wären aber (siehe Bildungsauftrag und Eigenanspruch) Aufklärung und das ganze Bild zu erwarten, zum Beispiel, dass viele ausländische Akteure mitmischen, und das nicht etwa, weil sie für die Menschen in Niger Gutes wollen, sondern weil sie vielmehr von ihnen Gutes wollen. Nicht von irgendwoher kommt, liebe Kinder, das Wort Kolonialismus. Einer der heutigen, starken Partner und „Kümmerer“, Frankreich, hatte das Land Niger früher mal ganz und gar in Besitz, die aktuelle Amtssprache ist nicht zufällig Französisch. Und bis heute hat sich bis auf das Wort „Kolonialismus“ nicht viel geändert, was das Interesse Frankreich am eigentlich unabhängigen Niger betrifft. Den Zusammenhang zwischen Uran aus Niger und Atomenergie in Frankreich herzustellen, hätte übrigens auch die eingangs erwähnte Fotogalerie aufgewertet. Aber lieber nicht so viel hinterfragen…

NachDenkSeiten-Chefredakteur Jens Berger schreibt in seinem Beitrag für Erwachsene:

Seit über 50 Jahren schürft der französische Staatskonzern Areva in Niger das berüchtigte Yellow Cake, ein Uranerz, das man als Rückgrat der französischen Atomenergie bezeichnen könnte. Rund ein Viertel der Uranimporte der EU kommen aus Niger.

Auch wir Deutschen, liebe kleine und große Leute, sind Teil der Ursachen für die Armut von Niger. Jens Berger führte für die Erwachsenen in seinem obigen Beitrag aus, dass unsere Außenministerin Annalena Baerbock im letzten Jahr den Niger besucht und dabei eine Menge Spaß hatte, deren Getue wurde von der deutschen Presse herzerwärmend bejubelt: „Außenministerin zum Anfassen“. Die deutsche Ministerin äußerte voller Freude, dass sie Niger als „eine junge Demokratie erlebte, deren Bürger hoffnungsvoll in die Zukunft geblickt“ hätten. Was für eine Heuchelei. Es ist vielmehr so: Was Erwachsene wie Kinder nicht offenbart bekommen, ist: Auf dem geopolitischen Schachbrett ist der Niger für Europa vor allem ein Uranlieferant und ein Bollwerk zur Flüchtlingsabwehr. Jens Berger beschreibt trocken, dass Teile des nigrischen Militärs die „junge Demokratie“ weggeputscht haben und dabei offenbar großen Rückhalt in der Bevölkerung bekämen. Warum wohl? Die Antwort könnte lauten, dass die armen Nigrer die Nase voll haben, ihrer Schätze beraubt zu werden und Teil einer Schmierenshow zu sein, die da „junge Demokratie in fairer Zusammenarbeit mit Europa und der Welt“ heißt. Viele hoffen, dass die Militärs sich nicht die Butter vom Brot nehmen lassen wollen und damit auch Niger einen Weg aus der Armut findet. Da aber die an Nigers Reichtum interessierten Kräfte nicht lockerlassen, wird heftig gezündelt: Im schlimmsten Fall droht dem bettelarmen Land und der gesamten Region ein Stellvertreterkrieg zur Wahrung und Festigung europäischer und auch amerikanischer Interessen.

Bei der ARD-Tagesschau denkt man sogar noch weiter, auf dass es zu einer Zusammenarbeit zwischen den Putschisten und Frankreich kommen könnte. Ganz kommentarlos und so, als wäre das eben normal und akzeptabel, wird von wirtschaftlichem Druck, von Sanktionen gesprochen:

Möglicherweise sind die Einnahmen aus dem Uran-Vertrag aber auch ein Grund für die Putschisten, den Vertrag weiter zu erfüllen, was Frankreich weiter einen gewissen Einfluss in Niger verschaffen würde. Frankreichs Außenministerin Catherine Colonna verurteilte zwar den Putsch, äußerte zugleich aber die Hoffnung, dass die Situation noch „nicht endgültig“ sei. Präsident Emmanuel Macron machte deutlich, dass er Sanktionen gegen die Junta unterstütze, also auf wirtschaftlichen Druck setzt. (Quelle: tagesschau.de)

Klein und Groß dürfen aufgrund der kriegerischen Aussichten mit sorgenvoller Miene gespannt sein, welche Fotoserie demnächst bei logo! präsentiert wird. Als Stichworte könnten beispielsweise dienen, dass die großen Spieler auf dem geopolitischen Schachbrett wie Frankreich knallhart egoistische Ziele verfolgen.

Man stelle sich vor, Frankreich hat keine einzige Goldmine, dafür aber 2.436 Tonnen Goldreserven. Das kritisierte jüngst der EU-Parlamentsabgeordnete Martin Sonneborn. Ein Interview mit dem deutschen Politiker (Die Partei) in Brüssel, das wäre für logo! doch mal interessant, oder? Anfang August schrieb Martin Sonneborn einen Aufsatz, der anklagt. Seine Worte für Kinder aufbereitet, das wäre eine anspruchsvolle Aufgabe. Für Erwachsene sind sie deutlich, ernüchternd und lösen Empörung aus:

Die letzte seiner 210 Uranminen hat Frankreich im Jahr 2001 geschlossen. Seither werden alle mit dem umwelt- und gesundheitsschädlichen Uranabbau verbundenen Probleme, einschließlich der Gefahren radioaktiver Verstrahlung, vorsorglich nach woanders exportiert. Aus dem westafrikanischen Niger stammen etwa ein Viertel der europäischen und ein Drittel der Uranimporte Frankreichs, das mit 56 Kernkraftwerken einen (ausbaufähigen) Spitzenplatz unter den Atomstromexporteuren der Welt belegt. Beschafft wird deren betriebsnotwendiger Brennstoff vom staatlichen Nukleargiganten Orano (ehemals Areva), der den höchsten und (passenderweise auch) schwärzesten Granitbau unter den Wolkenkratzern des Pariser Kapitaldistrikts La Défense besitzt, in geheimen Geheimverträgen z.B. aus Niger, wo der Konzern sich drei gewaltige Uranminen sowie die Mehrheitsbeteiligung an Nigers Staatsunternehmen für Uranaufbereitung (Somaïr) unter den Nagel gerissen hat.
Die (ehemals) französische Kolonie Niger verfügt über die hochwertigsten Uranerze Afrikas und ist der siebtgrößte Uranproduzent der Welt, aber der Weltbank zufolge sind 81,4% seiner Bürger noch nicht einmal ans Stromnetz angeschlossen. 40% leben unterhalb der Armutsgrenze, ein Drittel der Kinder ist untergewichtig, die Analphabetenquote liegt bei 63 Prozent. Nur die Hälfte der Einwohner hat Zugang zu sauberem Trinkwasser, nur 16 Prozent sind an eine angemessene Sanitärversorgung angeschlossen.
Das gesamte Staatsbudget Nigers, eines Landes mit der dreifachen Fläche der Bundesrepublik, ist mit rund 4,5 Mrd. Euro nicht größer als der jährliche Umsatz des französischen Atomkonzerns. Trotz seiner Uran- und Goldvorkommen lag der Niger im Entwicklungs-Index zuletzt auf Platz 189 von 191 erfassten Staaten. (Quelle: facebook.com)

Nochmal zum Auf-der-Zunge-zergehen-Lassen: „Das gesamte Staatsbudget Nigers, eines Landes mit der dreifachen Fläche der Bundesrepublik, ist mit rund 4,5 Mrd. Euro nicht größer als der jährliche Umsatz des französischen Atomkonzerns. Trotz seiner Uran- und Goldvorkommen lag der Niger im Entwicklungs-Index zuletzt auf Platz 189 von 191 erfassten Staaten.“ Liebe logo!-Redaktion, man fragt sich: Warum liegt das junge, reiche, von Europa so unterstützte und von der deutschen Außenministerin so für seine Demokratie gelobte Niger so weit hinten? Warum gibt es so viele Länder, die hintere Plätze belegen, anstatt in Statistiken allesamt auf den Sonnenplätzen zu sein?

Titelbild: Postmodern Studio / Shutterstock