Leserbriefe zu „Parteigründungen in Deutschland – Rechtliche Vorgaben, Stolpersteine und Fallstricke“

Ein Artikel von:

Vor dem Hintergrund einer möglichen Parteigründung durch Sahra Wagenknecht thematisiert Philipp Bender in diesem Beitrag die in der allgemeinen Diskussion „eher unterbelichteten rechtlichen Herausforderungen und Probleme von Parteigründungen in Deutschland“. Die Personalrekrutierung und Mitgliederaufnahme ist ein Schwerpunkt. Um möglichst eine Unterwanderung der neuen Partei zu vermeiden, sei „eine Bewegung als klar zugehörige Vorfeldorganisation aufzubauen und zu pflegen“. Diesem organisierten Vorfeld käme „eine gewisse Vorfilteraufgabe“ zu. Wir haben hierzu interessante E-Mails bekommen. Danke für alle Leserbriefe. Hier nun eine Auswahl, die von Christian Reimann zusammengestellt worden ist.


1. Leserbrief

Liebes NDS Team,

endlich mal eine Abhandlung über die Schwierigkeiten aber auch die Chancen einer Parteigründung in Deutschland.

Mit großem Interesse habe ich diesen Artikel von Philipp Bender gelesen. Denn, wie Philipp Bender schreibt, ein Flop darf es nicht werden!

Warum nicht ein vorläufiges kompetentes Gründungsteam zusammenstellen, welches sich intensiv mit dieser Frage beschäftigen kann. Die Fragen die unbedingt bearbeitet werden müssen hat Philipp Bender ja schon zum Teil aufgezählt. Wichtig wäre für mich, dass Erfahrungen auch von ausländischen Parteien mit berücksichtigt werden sollten z.B der gerade dieses Jahr erfolgten Neugründung von Sumar in Spanien, der KPÖ in Graz und Salzburg sowie der belgischen Arbeiterpartei.

Alle mit erstaunlichen Erfolgen bei den letzten Wahlen.

Sicherlich gibt es in Deutschland und gerade bei den Nachdenkseiten Leser genügend Leute, welche sich mit dem Thema einer Parteigründung und den Zielen einer solchen neuen Partei kompetent auseinandersetzen könnten. Diese Arbeit muss wenigstens gegenwärtig nicht unbedingt nur von Teilen der Linken gemacht oder angeführt werden.

Dies würde die gegenwärtige Arbeit Linker Mandatsträger erleichtern, d. h. sie wären zunächst mal außen vor.

Es würde mich freuen, wenn diese Diskussion auch auf der Basis des Artikels von Philpp Bender weitergeführt würde!

Reinhard Klingler


2. Leserbrief

Liebe Nachdenkseiten,

kurze Bemerkung zum Artikel “Parteigründungen in Deutschland”.

Die dort vorgebrachten Gründe, die es geboten erscheinen lassen, bei einer Parteigründung behutsam ans Werk zu gehen und gewisse Fallstricke zu beachten, sind durchaus nachvollziehbar.

Aber: es drängt!

Wer sich umhört und weiss, wie erzürnt die Menschen teilweise über die Politik der Ampelregierung sind, wird vielleicht schon das Argument gehört haben, dass man denen da oben bei den nächsten Wahlen auf jeden Fall einen Denkzettel verpassen möchte.

Und nur die wenigstens Menschen sind bereit oder zeitlich in der Lage, sich intensiv mit Parteien und Parteiprogrammen zu beschäftigen, sodass man ihnen mit wenigen Sätzen schon gefasste Entscheidungen wieder austreiben kann. Da hat die AfD leichtes Spiel, was um so übler ist, weil dort der rechts-nationalistische Flügel an Fahrt gewinnt. Wer die deutsche Geschichte kennt, wird nicht umhin kommen zu sehen, dass da dunkle Wolken am Horizont aufziehen.

Und wenn man dann gefragt wird, welche Partei man denn bei einer der nächsten Wahlen zur Wahl empfehlen würde, kommt man leicht ins Stocken, weil einem im aktuellen Spektrum gerade keine wirkliche, alternative Wahlempfehlung einfällt. Nur die wenigsten kann man damit beruhigen, indem man darauf verweist, man möge doch bitte darauf achten, was sich in  den nächsten Monaten tut. Das Zeitfenster, das im Hinblick auf kommende Wahlen zur Verfügung steht, wird sich schneller schließen, als wie man es sich wünscht und vorstellen kann.
Und dann noch im Hintergrund das Damokles-Schwert des eskalierenden Krieges in der Ukraine – ohne aktuell auch nur eine einzige Partei mit Ausstrahlung, die sich kompromisslos dafür einsetzt, dass aus Deutschland zur Eskalation keine weiteren Waffen mehr geliefert werden sollten.

Also nicht ganz so hasenfüßig!

Ich denke, entsprechende Persönlichkeiten aus Gewerkschaftsbewegung, Friedensbewegung, aus der auseinanderbrechenden LINKEN und, wenn man Glück hat, vielleicht sogar der/die ein- oder anderer aus SPD und GRÜNEN, sollten aufgrund der Entwicklung und ihren Erfahrungen bereit stehen, um an zentralen Stellen lokal, regional und bundesweit Verantwortung zu übernehmen.

Mit freundlichen Grüßen
Peter Rohleder


3. Leserbrief

Liebe Nachdenkseiten,

der Artikel von Philipp Bender war für mich recht aufschlussreich, da er die Möglichkeit der „Kaderpartei“ positiv beleuchtet.

Allerdings vermag er dennoch nicht meine Zweifel an der Tauglichkeit des deutschen Parteiensystems im Rahmen einer als „repräsentativ“ etikettierten Demokratie zu zerstreuen. Die „Vorschaltung“ eines Kaders mag schlichte geltungsbedürftige Gemüter hemmen, aber qualifizierten Einflussagenten und ihren Auftraggebern verlangt er lediglich etwas Geduld ab.
Die in den Parlamenten vertretenen Parteien bringen kein für gesellschaftliche und politische Führungspositionen geeignetes Personal hervor und das vermag m. E. auch ein Kader nicht zu verändern. Im Bundestag erkenne ich nur zwei Ausnahmen, wobei die wirtschaftspolitische Linie der einen vollkommen meiner Auffassung widerspricht.

Das Verhalten der Parteifunktionäre auf „Spitzenposten“ und deren Wasserträgern in den Parteinahen Stiftungen zeugt von skrupellosen Charakteren. Bösartiger Narzissmus scheint mir eine wesentliche Zugangsvoraussetzung zu sein.

Da zweitklassiges (intellektuell und charakterlich ungeeignetes) Personal auf Leitungsposten nur dritt- und minderklassige Mit- und Zuarbeiter duldet, ist die Qualität aller Staatsgewalten auf einem Niveau angelangt, das eine Kurskorrektur im Rahmen der etablierten Verfahren nicht mehr zulässt. Und dort, wo man qualifizierte und charakterstarke Beamte nicht schnell kalt stellen kann, werden (aber nicht nur hier) Steuergelder an willfährige „Berater“ und „Experten“ veruntreut.

Ich empfinde große Wertschätzung und Bewunderung für Frau Wagenknecht. Und ich wünsche uns, aber in erster Linie Frau Wagenknecht und auch Oskar Lafontaine – sofern sie die Kraft und den Optimismus aufbringen wollen weiter zu kämpfen – dass sie einen Weg finden, der es ermöglicht, nicht von dem Sumpf, den das deutsche politische System entwickelt hat, verschlungen zu werden.

Vielleicht gibt es eine Alternative zur Parteiengründung?

Mein Gedanke ist die Koordinierung und damit Stärkung der zahlreichen Demokratie- und Friedensbewegungen in Deutschland, wie zum Beispiel (alle hier aus Platzgründen nicht erwähnten, bitte ich um Vergebung):

Die einzelnen Bewegungen und Aktivitäten entwickeln nicht die Macht, um die etablierten Strukturen zu erschüttern. Der vielgestaltige Idealismus bedarf einer Instanz, die einen Gemeinschaftsgeist erzeugt und alle auf ein gemeinsames Ziel hinarbeiten lässt.

Ich wünsche mir eine Volksbewegung, die den Blick nicht auf schwächerer Teile der Bevölkerung richtet und hier die Schuldigen sucht, sondern eine Bewegung, die den Blick auf die richtet, die seit Ende des 2. Weltkriegs an der Fassade von Demokratie und Rechtsstaat gebastelt haben, für die die „soziale Gesellschaft“ nur ein vorübergehendes Instrument für die Beseitigung der Kriegsschäden und des Wiederaufbaus war und deren aktuelle Nachfolger sich berufen sehen, im Interesse der US-dominierten Hochfinanz unsere Gesellschaft zu Grunde richten und dabei ihre Pfründe zu sichern.

Mein Vorschlag ist, anstelle einer Parteigründung, auf eine starke Volksbewegung hin zu arbeiten, die den Grundsätzen der Menschenwürde, der unmittelbaren Demokratie, des Rechts (im Sinne von Radbruch) und eines starken Gemeinschaftsgeistes Geltung verschafft. Eine Volksbewegung, die eine politische Strategie hervorbringt, die Frieden innerhalb unserer Gesellschaft und auch mit den Nachbarn zum Ziel hat.

Abwarten, bis die Armut einen erheblichen Anteil der Bevölkerung in noch größere Verzweiflung treibt und die Wut zum Ausbruch bringt, wie es die französische Revolution gezeigt hat und auch heute wieder in Frankreich akut ist, ist kein tragfähiger Ansatz. Die etablierten Parteien und ihre Lohnschreiber und -Schwätzer scheinen das jedoch in Kauf zu nehmen und verlassen sich auf die bewaffneten Kräfte der Staatsgewalten.

Mein Bedenken: Eine neue Partei, die zuerst Hoffnung weckt und doch scheitert, wird – mit zeitlicher Verzögerung – dasselbe Ergebnis hervorbringen.

Wir sollten uns nicht mehr am etablierten politischen System, seinen Parteien, Medien und an den von ihnen okkupierten Staatsgewalten abarbeiten. Die Fragmente der hiesigen Demokratie erlauben es – noch – uns abzuwenden und etwas Neues zu beginnen.

Mit herzlichem Dank für Ihre mutige Arbeit und Grüßen aus Brandenburg!
Von unserem Leser M.K.


4. Leserbrief

Sehr geehrtes Nachdenkseiten-Team,

leider hinterließ die fast arrogante wie teils abwegige Argumentation zum Thema Parteigründung in Deutschland des Autors Philipp Bender nur ein sehr ausgeprägtes Stirnrunzeln bei mir. Als hätten drei Jahre Pandemie und ein von den sogenannten westlichen Wertegemeinschafts-Demokratien angefachtes Armageddon um die noch nicht unter US-amerikanischer Verwertungshoheit stehenden russischen Rohstoffvorkommen den Wert unseres politischen Systems nicht schon selbst in Frage gestellt. Die für jeden sichtbare Erosion des politischen Systems auf allen gesellschaftlichen Ebenen zeitigt sich nicht erst seit diesen auf planetaren Niveau verlaufenden Krisen.

Auf welche politischen Selbstheilungskräfte möchte der Autor in Anbetracht der jüngeren Geschichte denn in der BRD setzen? Wie sieht er seine Partei-Rekrutierungsmethoden im Sinne einer pathologisch anmutenden gesinnungsethischen Gewissensprüfung im Nachklang der Phase des kalten Krieges? Was soll ein dahingesagter Partei-Kaderschwur Wert sein? Wie tief möchte dieser sein Gegenüber ausloten, um nicht selbst einer überbordenden Radikalität überführt zu sein?

Ein so zentriertes Weltbild muss scheitern, weil es ideologisch überfrachtet ist. Und weil es ein idealisiertes gesellschaftliches Szenario unterstellt, aus dem das menschliche Bewußtsein eines jeden nur mit der richtigen Methodik befreit werden muss. Messianischer Eifer hilft nicht aus diesem Dilemma – auch nicht mit verdeckter religiöser Rhetorik.

Mit H. Kohl scheiterte endgültig die neue-alte Republik und der darin eingebettete, vom Kapital korrumpierte Parlamentarismus. Mit dem Duo Schröder-Fischer wurde die politische Transformation zur Fassadendemokratie gemäß des US-Politsystems endgültig Wirklichkeit und eigentlich für jeden spürbar. Wie soll also diese parlamentarische Demokratie, die eigentlich nur noch Makulatur ist, über eine abgenutzte, verbrauchte Idee hinaus wirkmächtig durch eine politische Bewegung und Gründung eben dieser schwammig umrissenen Parteineugründung Aufbruchstimmung in eine neue gesellschaftliche Ordnung schaffen?

Am Schluß bleibt nur zu konstatieren: Warum hat es die Aufklärung – im tiefsten Feudalismus geboren – nicht geschafft, die Fesseln der Knechtschaft der Massen abzulegen und ein stabiles gesellschaftliches System zu ermöglichen, welches Ideologen und deren Anhängern die Tür weist?  Die Soziologie und Psychologie weiß die Antworten um das nachweislich angebrochene (und angezählte) Anthropozän und dessen unwiderruflichen Ausgang.

Danke für Eure mühevolle Aufklärungs-Arbeit.

Es grüßt
Arnold Perstat


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