Anlass für diesen Beitrag ist ein Gespräch von Roland Kern mit Albrecht Müller. Ein Schlüsselsatz in der Einleitung zum Gespräch lautet: „Städtepartnerschaften sind wichtig, gerade in schwierigen Zeiten wie heute.“ In der Friedensstadt Osnabrück wird darüber anders geurteilt: Aufgrund des Angriffskrieges Russlands ruht die Städtepartnerschaft mit Twer. Das ist beunruhigend und angesichts des historischen Anspruchs der Stadt äußerst fragwürdig. Von Christian Reimann.
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Osnabrück, der Westfälische Frieden und das russische Twer
Die Stadt Osnabrück, im südwestlichen Niedersachsen an Nordrhein-Westfalen angrenzend gelegen, war zusammen mit Münster Teil des Westfälischen Friedens von 1648. Das für die Stadt so wichtige Ereignis wird bereits in der Unterstufe vermittelt. Alle städtischen Grundschüler erhalten im Herbst der vierten Klasse im Rahmen des traditionellen Steckenpferdreitens vom Oberbürgermeister persönlich bzw. in seinem Namen eine Brezel überreicht. Selbst Wikipedia berichtet über diesen Brauch, der an die Beendigung des Dreißigjährigen Kriegs erinnert.
Die Städtepartnerschaft mit der russischen Stadt Twer geht auf das Jahr 1973 zurück und begann mit einer Studienfahrt des Osnabrücker Stadtjugendrings in die Sowjetunion, welche nach Moskau, Wladimir und Kalinin (das frühere und heutige Twer) führte. Die Stadt Osnabrück weist auf ihrer Homepage auf Probleme zu Beginn der Städtepartnerschaft hin. So sei ein „Vertrag über die Annäherung beider Städte“ zunächst an den politischen Verhältnissen gescheitert. Aber: „Mit den neuen Ost-West-Beziehungen der Staaten lockerten sich auch die bis dahin existierenden Einschränkungen für die Kontakte zwischen Städten und ihren Einwohnern. Es folgten mehrere offizielle Besuche, und am 22. August 1986 kam es, ermöglicht durch Gorbatschows „Perestrojka“, zu einer Rahmenvereinbarung für die Beziehungen zwischen beiden Städten.“ Die Bemühungen waren schließlich von Erfolg gekrönt: „Am 11. Mai 1991 wurde daraus ein Partnerschaftsvertrag, am gleichen Tag unterzeichnet wie der Freundschaftsvertrag mit Evansville.“
Der große politische Rahmen hat die Bemühungen auf kommunaler Ebene in Osnabrück also nicht angestoßen, sondern lediglich gefördert. Aktuell gibt es seitens der Stadt Osnabrück offensichtlich kein oder zu wenig Bemühen, die deutsch-russische Partnerschaft zu fördern. Das ist zumindest irritierend und höchst fragwürdig. Sind z.B. die Bedrohungen während des Kalten Krieges in Vergessenheit geraten? Oder werden sie als harmloser als das Eindringen des russischen Militärs in die Ukraine wahrgenommen? Auch als die sowjetische Armee in Afghanistan war, ist das Anliegen der Städtepartnerschaft niemals ernsthaft in Frage gestellt worden.
Das fragwürdige Ruhen der Städtepartnerschaft
Das verhält sich heutzutage völlig anders. Nicht nur die geopolitische Situation und das deutsch-russische Verhältnis haben sich inzwischen gravierend verändert und gleichen einem neuen Kalten Krieg immer mehr. Auch das Bemühen auf offizieller kommunaler Ebene ist – anders als früher – nicht erkennbar. Die Osnabrücker Oberbürgermeisterin, Katharina Pötter von der CDU, hat offenbar im Alleingang entschieden und den Stadtrat darüber informiert, dass die Städtepartnerschaft zum russischen Twer ruhe. Begründet worden sein soll das – so ein Ratsmitglied per E-Mail – mit dem Nichtreagieren des Oberbürgermeisters der Stadt Twer auf ein Schreiben von Frau Pötter gleich nach dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine. Im Stadtrat soll nach Aussage eines weiteren Ratsmitglieds per E-Mail dem Ruhen der Partnerschaft nicht widersprochen worden sein. Das würde bedeuten, dass auch Mitglieder der früher im Bereich Frieden und Völkerverständigung aktiven Grünen, SPD und auch der Linkspartei nicht widersprochen haben. Insbesondere einzelnen Mitgliedern der SPD-Stadtratsfraktion scheint das Prinzip „Wandel durch Annäherung“ in Vergessenheit geraten zu sein. Das wird deutlich, wenn die per E-Mail gestellte Frage „Wer hat das entschieden – der Stadtrat, ein Ausschuss oder die Oberbürgermeisterin?“ von einem Ratsmitglied mit SPD-Parteibuch ebenfalls per E-Mail so beantwortet wird:
„De facto der OB von Twer, der auf das Schreiben von Frau Pötter gleich nach Kriegsbeginn nicht reagiert hatte. Daher ruht die Partnerschaft, weil der Kontakt seitens Twer abgebrochen wurde. Das bedeutet aber kein Ende, sondern faktisch eine Unterbrechung.“
Offensichtlich soll die Städtepartnerschaft so lange ruhen, bis der Oberbürgermeister der russischen Partnerstadt Twer auf den Brief seiner Osnabrücker Amtskollegin reagiert. Eigenes Bemühen, Kontakt mit Repräsentanten in Twer herzustellen, ist nicht zu erkennen – weder in dieser E-Mail-Antwort noch auf anderen öffentlichkeitswirksamen Wegen.
Eine Randnotiz: Wenn der Twerer Oberbürgermeister, wie behauptet, wirklich nicht reagiert hat, dann würde Frau Pötter ja mal am eigenen Leibe erleben, wie es ist, wenn Schreiben ignoriert werden. So geschehen gegenüber dem Offenen Dialog Osnabrück.
Kurz nach dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine im Februar 2022 hat die Oberbürgermeisterin der Stadt Osnabrück einen Brief geschrieben, den zumindest auch Medien vor Ort erhalten haben. Abgesehen von den üblichen Floskeln, die der öffentlichen Erzählung über den Ukrainekrieg folgen (z.B. durch das Weglassen der Vorgeschichte der NATO-Osterweiterung und der Entwicklungen in der Ukraine ab dem Jahr 2014) – hat sie doch noch recht wohlwollend auch Folgendes formuliert:
„Keiner vermag im Moment zu sagen, wann dieser Krieg zu Ende sein wird. Aber irgendwann wird er zu Ende sein. Und dann brauchen wir die deutsch-russischen Städtepartnerschaften, damit die Menschen unserer Länder sich wieder treffen und miteinander sprechen können. Um der friedlichen Zukunft willen hoffe ich also, dass unsere Partnerschaft Bestand hat und diese Zeit, in der Waffen Fakten schaffen sollen, überstehen wird.“
Es scheint nicht überprüft worden zu sein, ob der Brief der Osnabrücker Oberbürgermeisterin ordnungsgemäß abgeschickt bzw. gesendet worden und ob er tatsächlich bei dem Amtskollegen in Twer angekommen ist. Anderweitige Bemühungen um einen Kontakt seitens der Stadt Osnabrück und/oder ziviler Persönlichkeiten in dieser Stadt sind öffentlichkeitswirksam nicht zu beobachten.
In der breiteren Öffentlichkeit ist über das Ruhen der Städtepartnerschaft jedoch erst über ein Jahr später berichtet worden. Der Grund hierfür ist kurios. So berichtet der NDR am 21. Juni 2023 unter der Überschrift „Osnabrück informiert über russische Städtepartnerschaft“, dass geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer die Städtepartnerschaft zwischen Osnabrück und Twer kritisiert hätten. Um Missverständnisse zu verhindern, hätte die Stadt danach die Schilder auf dem Platz der Städtepartnerschaften um den Satz „Aufgrund des Angriffskriegs Russlands ruht die Städtepartnerschaft mit Twer.“ ergänzt. Hier stellt sich – nebenbei bemerkt – die Frage, wie gut die ukrainischen Flüchtlinge sich in Deutschland allgemein und in der Stadt Osnabrück im Besonderen integriert haben. Offensichtlich passen sich zumindest einige Flüchtlinge aus der Ukraine nicht den Gegebenheiten hierzulande an, sondern die Stadt Osnabrück geht auf diese von wenigen Flüchtlingen aus der Ukraine geäußerten Erwartungen/Wünsche ein.
Ähnlich liest sich auch die Argumentation auf der Homepage der Stadt Osnabrück – ebenfalls vom 21. Juni 2023. Sie enthält allerdings auch einen Satz, der den oben erwähnten Angaben von Ratsmitgliedern widerspricht:
„Als am 24. Februar 2022 russische Truppen in die Ukraine einmarschierten, beschloss die Stadt Osnabrück umgehend, die Partnerschaft mit der 400.000-Einwohner-Stadt Twer in Zentralrussland bis auf Weiteres ruhen zu lassen.“
Demnach ist die Antwort des Oberbürgermeisters der Stadt Twer nicht abgewartet worden, um zur Entscheidung zu gelangen, die Städtepartnerschaft ruhen zu lassen. Es stellt sich jedoch die Frage, wer genau für die Entscheidung verantwortlich ist – der Stadtrat, ein Ausschuss oder die Oberbürgermeisterin. Sollte es eine einsame Entscheidung der Oberbürgermeisterin gewesen sein bzw. sollte der Rat dies ohne Widerspruch abgesegnet haben, wäre das ein großer Skandal.
Wirklich bedenklich ist obendrein das, was die Oberbürgermeisterin noch betont hat: „Wir sind in dieser Frage nicht etwa neutral, sondern stehen ohne Wenn und Aber auf der Seite der von Russland angegriffenen Ukraine.“ Abgesehen davon, dass unklar ist, wer genau mit „wir“ gemeint sein könnte, folgt sie damit – mal wieder – dem Narrativ des medialen und politischen Mainstreams, und das ist insbesondere vor dem geschichtlichen Hintergrund der Stadt Osnabrück nicht nur undiplomatisch, sondern verantwortungslos und deutet auf ein mangelndes Friedens- und Geschichtsbewusstsein hin. Bereits zum jährlichen Stadtfest, der Maiwoche 2022, hatte die Oberbürgermeisterin die Ausladung von Twer zu rechtfertigen versucht – wegen des Ukraine-Kriegs. Von einem Ruhen der Städtepartnerschaft ist jedoch keine Rede gewesen.
Historischer Anspruch und aktuelle Realität
Das Vorgehen der Osnabrücker Oberbürgermeisterin ist bemerkenswert und der Hinterfragung würdig, denn die Stadt Osnabrück feiert in diesem Jahr das Jubiläum des Westfälischen Friedens:
„In Osnabrück ist bereits vor der Verkündigung des Westfälischen Friedens am 25. Oktober 1648 etwas Großartiges geschehen: Ehemalige Kriegsgegner reichten sich die Hand und vertrauten einander. Am 6. August 1648 bestätigten die Vertragsparteien in Osnabrück mit Handschlag, dass sie an dem ausformulierten Text, der den Dreißigjährigen Krieg beenden sollte, nichts mehr verändern würden. Als „Osnabrücker Handschlag“ ging diese Versicherung zwischen dem Kaiser, den deutschen Fürsten und Schweden in die Geschichte ein. Anschließend wurde der Vertrag in Münster unterschrieben und am 25. Oktober in Osnabrück verkündet.“
Auf Plakaten ist im Rahmen dieses Jubiläums z.B. auch die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Alena Buyx, zu sehen. Ihr Foto wird von der Aussage „Im Gespräch bleiben – es geht nur zusammen“ begleitet.
All diese positiven historischen und aktuellen Aktivitäten und Äußerungen haben die führenden Entscheidungsträger und Repräsentanten der Stadt Osnabrück offensichtlich nicht wirklich gelernt und verinnerlicht oder bereits vergessen.
Wie sonst ist es zu erklären, dass an das Handreichen der ehemaligen Kriegsgegner und deren Vertrauen ineinander vor 375 Jahren erinnert wird, aber diese so wertvollen Eigenschaften in der gegenwärtigen gefährlichen Situation vollkommen ignoriert werden?
Die Stadt Osnabrück ist somit lediglich auf dem Papier und durch Ereignisse in der Vergangenheit eine Friedensstadt. Aber in der aktuellen Situation fügt sie sich in die politischen Rahmenbedingungen ein und verhält sich einer Friedensstadt unwürdig. „Von wegen Friedensstadt“, könnte Oberbürgermeisterin Pötter und den anderen Mitgliedern des Stadtrates der Stadt Osnabrück zugerufen werden.
Für Frieden muss „gerade in schwierigen Zeiten wie heute“ aktiv geworben werden. Das bedeutet nicht abwarten, bis die Repräsentanten der russischen Partnerstadt die Initiative ergreifen und sich die politischen Rahmenbedingungen positiv verändern. Gerade die Vertreter einer Stadt, die für sich immer noch in Anspruch nimmt, Friedensstadt sein zu wollen, sollten vorbildlich agieren und permanent Schritte zur Verständigung und Vertrauensbildung unternehmen.
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Titelbild: ©Stadt Osnabrück, Arne Köhler