Der Brandstifter und die Biedermänner
Politik und Medien gaben sich sehr überrascht, als offenbar wurde, dass die Terroranschläge in Norwegen von einem bekennenden „Konservativen“ verübt wurden. Diese Überraschung ist aber schlussendlich nur ein Beleg für Blindheit auf dem „rechten“ Auge. In den letzten Jahren hat sich der rechte Rand merklich radikalisiert. Anstatt diese Radikalisierung zum Thema zu machen und auf die Gefahren hinzuweisen, haben Politik und vor allem die Medien sie stattdessen in unverantwortlicher Weise angeheizt. Wer Wind sät, wird Sturm ernten. Gerade auch Deutschland ist nicht vor einem Terrorismus von rechts gefeit. Von Jens Berger
Als der damalige RTL-Star Thomas Gottschalk im Jahre 1992 den Republikaner-Vorsitzenden Franz Schönhuber in seine Late-Night-Show eingeladen hatte, war dies noch ein handfester Skandal. Auch Erich Böhmes Versuch, den österreichischen Rechtspopulisten Jörg Haider in seiner Talkshow zu demontieren, erregte acht Jahre später immer noch öffentliche und mediale Kritik. Die Zeiten, in denen zumindest der mediale Kompass noch halbwegs funktionierte sind vorbei. Heute werden Rechtspopulisten ohne Berührungsängste hofiert. Thilo Sarrazin darf sein verquastes Gedankengut per Vorabdruck in BILD und SPIEGEL unter das Volk bringen und ist gerngesehener Gast in den Talkshows der Republik. Der Rechtspopulist Henryk M. Broder darf seine undifferenzierte Hetze im SPIEGEL, der WELT oder dem Tagesspiegel verbreiten. Rechtspopulistisches Gedankengut ist heute gesellschaftsfähig.
Gegen Muslime und Gutmenschen
Wer wissen will, wie die Botschaft von sich als Biedermänner aufspielenden Brandstiftern wie Broder und Sarrazin von Teilen des Volkes aufgenommen wird, sollte einmal einen Blick in die Online-Kommentare von Springers Flaggschiff werfen oder sich besser gleich eines der stark frequentierten rechtspopulistischen Blogs anschauen. Wer glaubt, dass der Hass, der dort aus jeder Zeile trieft, nicht irgendwann in irgendwelchen Köpfen zu Gewaltausbrüchen führt, muss schon ziemlich naiv sein. Diese „neue Rechte“ hasst nicht nur Muslime, sie hasst auch Linke und Liberale, die in ihrem Jargon „Gutmenschen“ sind – ein Begriff, der auch von ihren Vorbildern Broder und Sarrazin gerne benutzt wird.
Das 1.500 Seiten starke „Manifest“, mit dem der Terrorist Anders Behring Breivik seine Verbrechen erklären wollte, liest sich wie ein Potpourri aus Artikeln und Kommentaren rechtspopulistischer Blogs wie „Politically Incorrect“. Die Namen Geert Wilders, Theo van Gogh und Henryk M. Broder tauchen an jeweils mehr als einem Dutzend Stellen im Text auf. Unter der Überschrift „Die Vergewaltigung Europas“ bekommt Broder sogar ein ganzes Kapitel, in dem Breivik seiner Argumentation, dass die Westeuropäer sich lieber dem Islam unterwerfen würden, als gegen ihn zu kämpfen, als Mosaikstein in sein Hassgebilde einpasst.
Die Saat geht auf
Wenige Tage nach solch schrecklichen Terroranschlägen stellt man sich unweigerlich die Frage nach dem „Warum?“. Warum tötet ein bisher strafrechtlich nicht auffällig gewordener junger Mann kaltblütig über neunzig Unschuldige? Dieser kaltblütige Massenmord erscheint unfassbar. Im Wahn, in der Schattenwelt der rechtspopulistischen Hetze, findet sich jedoch eine Erklärung, was zu dem Verfolgungswahn beigetragen haben dürfte. In Breiviks „Manifest“ geht exakt die Saat auf, die von populistischen Brandstiftern über Jahre gesät wurde – nicht nur in rechtsextremen Blogs, sondern auch in konservativen Zeitungen und Zeitschriften.
Wer glaubt, dass die als Biedermänner getarnten Brandstifter nun in sich gehen und endlich einmal über die möglichen Folgen ihrer Worte ins Grübeln kämen, hat sich jedoch getäuscht. „Ich würde es heute wieder genau so sagen […] Das einzige, worüber ich mir Sorgen mache, ist, woher ich Ersatzteile für meinen Morris Traveller aus dem Jahre 1971 bekomme. Sogar in England werden die Teile knapp“, ließ Henryk M. Broder gestern die Öffentlichkeit wissen. Als Gipfel des Zynismus publizierte er sogar eine der Stellen des „Manifests“, in der er namentlich genannt wird, unkommentiert unter dem Titel „Me and The Manifesto“ auf seinem Blog. Anstatt zumindest einen Augenblick betroffen innezuhalten, gefällt sich Broder einmal mehr in der Rolle des zynischen Provokateurs . Natürlich dauerte es nicht lange, bis seine Dreistigkeit in rechtspopulistischen Blogs als „gesunde Einstellung“ gefeiert wurde. Was muss eigentlich noch passieren, dass die geistigen Brandstifter ein wenig Empathie zeigen?
Wehret den Anfängen!
Es ist leider auch unwahrscheinlich, dass bei den einschlägigen Medien ein Lern- oder Umdenkungsprozess einsetzen wird. In unserer schnelllebigen Aufmerksamkeitsökonomie wird es nach einer kurzen „Pietätspause“ weiter gehen mit der Hetze gegen Muslime und gegen die „Gutmenschen“. Die geistigen Brandstifter werden nicht etwa geächtet, sondern sogar mit Medienpreisen überhäuft. Politik und Medien sind auf dem rechten Auge blind. Bereits an diesem Wochenende suchte man den Auslöser für den schrecklichen Terroranschlag lieber in „Killerspielen wie World of Warcraft“ (O-Ton ntv) oder Breiviks Mitgliedschaft in einem Schützenverein, aber nicht in dem geistigen Fundament, auf dem der Terrorist sein Gebäude aus Hass errichtete.
Dabei wäre es gar nicht so schwer, mittels Zivilcourage und einer Neuausrichtung der roten Linien des politischen Diskurses eine Brandmauer gegen Hass und Gewalt einzuziehen. Keine Toleranz gegenüber der Intoleranz, müsste gegen Hassprediger jeglicher Couleur gelten, gerade auch wenn sie als Biedermänner daher kommen. Rassismus und Hass gegen Minderheiten zu schüren liegt außerhalb der gesellschaftlich tolerierbaren Meinungspluralität. Das hat nichts mit Denktabus oder Political Correctness zu tun, sondern ist Grundvoraussetzung für ein friedliches Zusammenleben. Wenn schon die gesellschaftlichen Eliten diese rote Linie nicht ziehen wollen, dann müssen die Menschen rechtem Gedankengut die rote Karte zeigen – nicht nur bei Naziaufmärschen sondern auch gegen die Medienauftritte solcher Brandstifter.
Anders Behring Breivik ist sicherlich ein Extremfall, in dessen Leben so einiges schief gelaufen ist. Hoffentlich muss man nicht befürchten, dass schon morgen einer dieser „Schreibtisch-Großmäuler“, für die das Netz ein Ventil für ihren Hass ist, sich von diesem schrecklichen Terroranschlag anstiften lässt. Der Terroranschlag in Norwegen ist jedoch nur die Spitze eines Eisbergs, der sich unter der Wasserlinie als alltägliche Fremdenfeindlichkeit und Hass gegen Andersdenkende präsentiert. Auch in Deutschland finden jeden Tag zwei bis drei rechtsmotivierte Gewalttaten statt, pro Monat ereignen sich drei bis vier antisemitisch motivierte Gewaltdelikte.
Insgesamt 149 Todesopfer rechter Gewalt wurden seit der Wiedervereinigung 1990 registriert.
Sie gelangen nicht ins öffentliche Bewusstsein, weil sie an verschiedenen Orten stattfinden und zeitlich auseinander liegen. Wer möchte also die Hand dafür ins Feuer legen, dass es nicht auch in Deutschland einen rechtsextremistisch motivierten Terroranschlag geben könnte? Auch dies sind die Folgen der jahrelangen Tabubrüche gegen die Grundwerte des Grundgesetzes. Die Würde des Menschen ist unantastbar, heißt es dort und nicht die Würde der Deutschen. Wehret den Anfängen – nicht mit Verboten, sondern mit Aufklärung, Menschlichkeit und Empathie.