Der Autor des folgenden Textes ist Rechtsanwalt. Er lebt in Bonn. Er hat sich in seinem Beitrag Gedanken über die in der allgemeinen Diskussion um die Gründung einer Partei durch Sahra Wagenknecht eher unterbelichteten rechtlichen Herausforderungen und Probleme von Parteigründungen in Deutschland gemacht. Ein Schwerpunkt des Textes ist die Personalrekrutierung und Mitgliederaufnahme. Philipp Bender hat dabei auch das wichtige Problem beachtet, was zu tun wäre, um möglichst eine Unterwanderung der neuen Partei zu vermeiden. Es folgt der Text von Philipp Bender.
Gründet sie oder gründet sie nicht? Seit Monaten dürfte das E-Mail-Postfach von Sahra Wagenknecht überlaufen vor Nachrichten enthusiastischer, neugieriger und zunehmend nervöser Anhänger, deren Hufescharren selbst während der Sommerpause auch im beschaulichen Saarland zu vernehmen sein wird. Kein Interview und keine Podiumsdiskussion mit der Noch-Linkspartei-Politikerin, ohne dass es früher oder später zu der wohl aktuell spannendsten Frage der Berliner Republik kommt: Gründet Wagenknecht „ihr eigenes“ Parteiprojekt oder lässt sie es bleiben?
Routiniert antwortet die Polit-Ikone, dass es in Deutschland nicht leicht sei, eine neue Partei ins Leben zu rufen – jedenfalls, wenn sie erfolgsversprechend sein soll. Man könne dies schon gar nicht allein bewältigen, sondern nur mit vielen engagierten Mitstreitern, vor allem mit fleißigen und ein Stück weit selbstlosen Organisatoren, die über ein hinreichendes Zeitbudget verfügen. Nicht zuletzt brauche es auch populäre Köpfe, die Strahlkraft mitbringen. Insgesamt muss ein gutes und möglichst reibungslos zusammenwirkendes Gründungsteam her. Und allein das Zusammentrommeln der Leute und das koordinierte Ins-Werk-Setzen will eben als gut’ Ding seine Weile haben, spätestens noch – so verkündet es Sahra Wagenknecht – bis Ende dieses Jahres. Ein Flopp dürfe ein solches Vorhaben jedenfalls nicht werden, so warnt die seit dem Sammlungsprojekt „Aufstehen“ aus dem Jahr 2018 leidgeprüfte, aber auch erfahrungsgesättigte Politikerin. Wer wollte das alles bestreiten? Das Wählerpotenzial ist da – aber die großen und kleineren Herausforderungen und Probleme eben auch.
Wie in Deutschland häufig der Fall, sind auch die rechtlichen Hürden für eine neue Partei nicht zu unterschätzen und als erfolgreicher Gründer muss man vor allem auf die Stolpersteine achtgeben, die das Parteien- und Wahlrecht, über den bloßen Gründungsakt hinaus, bereithalten. Passieren hierbei Fehler und Flapsigkeiten, werden die Stolpersteine plötzlich zu Fallstricken, die das Aus einer jungen politischen Kraft bedeuten können. Und zwar, bevor diese auch nur den ersten Wahlkampf hätte bestreiten können. Um dieses in der aktuellen Diskussion unterbelichtete, jedoch keineswegs „trockene“ Thema soll es in diesem Beitrag – schlaglichtartig – gehen. Zur Erleichterung des Leseflusses soll auf Paragraphenangaben und juristische Begriffshuberei verzichtet werden, soweit nicht für das Verständnis erforderlich.
Der Rechtsbegriff „Partei“
Maßgebliche Rechtsgrundlage für eine junge Partei ist vor allem das Parteiengesetz (PartG), das von folgendem Begriff ausgeht:
„Parteien sind Vereinigungen von Bürgern, die dauernd oder für längere Zeit für den Bereich des Bundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluß nehmen und an der Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag oder einem Landtag mitwirken wollen, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse, insbesondere nach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, nach der Zahl ihrer Mitglieder und nach ihrem Hervortreten in der Öffentlichkeit eine ausreichende Gewähr für die Ernsthaftigkeit dieser Zielsetzung bieten.“
Damit ist bereits vieles gesagt und auf die wichtigsten Elemente werden wir eingehen. An den Parteibegriff knüpfen sich Rechtsfolgen, die einerseits Rechte (z.B. Anspruch auf Finanzierung), aber auch Verpflichtungen (z.B. Rechenschaftspflicht) politischer Parteien bestimmen. Zusammengefasst könnte man sagen: Entscheidendes Kriterium für die Zuerkennung der Parteieigenschaft ist, dass es sich dabei um eine Vereinigung von Bürgern handeln muss, die ihr Verfassungsrecht auf Volkssouveränität ausüben wollen.
Am Anfang steht der Verein
„Vereinigung“ meint dabei, es muss sich um einen körperschaftlich organisierten Zusammenschluss natürlicher Personen handeln. Aktiengesellschaften und sonstige Unternehmen können niemals Parteimitglied sein – das wäre ja noch schöner! Ganz überwiegend besteht diese Vereinigung in der Rechtsform des eingetragenen Vereins (e.V.) nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch, für dessen Gründung es zunächst nicht mehr braucht als sieben (volljährige) Mitstreiter, eine beschlossene und unterzeichnete Satzung mit gewissen Mindestbestimmungen, einen gewählten Vorstand sowie ein Gründungsprotokoll, in dem all das festgehalten wird. Satzung und Protokoll müssen sodann von einem Notar beglaubigt werden, der auch meist den Registereintrag beim Amtsgericht beantragt. So weit, so einfach.
Eine genaue Regelung über die Mitgliedsbeiträge muss die Satzung übrigens noch nicht enthalten, sondern lediglich die Grundsatzentscheidung, ob überhaupt Beiträge von den Mitgliedern zu leisten sind. Das Nähere kann später noch in einer Beitragsordnung festgehalten werden. Das ist insbesondere praktisch, wenn zu der wichtigen Frage der Mitgliedsbeiträge noch Diskussionsbedarf besteht.
Augen auf bei der Namensgebung: Es klingt im Grunde nach einer einfachen Übung, jedoch sollte bei der Namensfindung penibel darauf geachtet werden, dass der einzutragende Vereins- und damit auch Parteiname sich von anderen, bereits existenten Vereinen deutlich unterscheidet und nicht „irreführend“ daherkommt. Dass man hier schon auf die Nase fallen kann, bewies 2016 der AfD-Aussteiger Bernd Lucke, der seine neugegründete Parteiformation zunächst „Allianz für Fortschritt und Aufbruch (Alfa)“ taufte, was ihm jedoch durch Gerichtsurteil (ausgerechnet!) der Verein „Aktion Lebensrecht für alle“ – ebenfalls „Alfa“ abgekürzt – streitig machte. Schließlich musste sich die Lucke-Truppe umbenennen.
Ernsthaftigkeit der politischen Willensbildung und Volksvertretung in Parlamenten
Inhaltlich muss sich die Partei vor allem selbst dazu bekennen, eine dauerhafte und längerfristige politische Betätigung anzustreben. Damit sollen bewusst kurzlebige Gelegenheitsbildungen politischer Gruppierungen, etwa projektbezogene, vor allem lokale Bürgerinitiativen, nicht als Partei im Rechtssinne zählen.
Wenig überraschend, ist der Wille zur Einflussnahme auf die politische Willensbildung die Kernaufgabe einer politischen Partei. Diese muss jedoch Ausdruck finden in der Teilnahme an Wahlen mit eigenen Wahlvorschlägen. Die frühere Möglichkeit, die eigenen Parteimitglieder als Wahlvorschläge auf Listen anderer Parteien zu platzieren, ist mittlerweile durch das Bundeswahlgesetz ausgeschlossen.
Eine Vereinigung verliert ihre Rechtsstellung als Partei erst dann, wenn sie sechs Jahre lang weder an einer Bundestagswahl noch an einer Landtagswahl mit eigenen Leuten teilgenommen hat – es bleibt also genügend Zeit zum sorgfältigen Aufbau einer jungen Partei. Auch wenn das Parteiengesetz bloß von Bundes- und Landtagen spricht, so dürfte ebenso die Teilnahme an Wahlen zum Europäischen Parlament „statuserhaltend“ sein. Nicht erforderlich ist jedoch irgendeine Form von Wahlerfolg, also bleiben auch 0,0-Prozent-„Wahlsieger“ im Genuss der Parteieigenschaft. Dabei sein ist alles.
Das Kriterium der ausreichenden Gewähr der „Ernsthaftigkeit“ ist nicht so ernst, wie es zunächst klingt. Gefordert ist keine Inhaltskontrolle auf Ernsthaftigkeit im Sinne von Seriosität, denn auch Spaß- und Satireparteien können bekanntlich rechtlich als Parteien gelten. Es muss aber das Bestreben bestehen und nach außen sichtbar sein, jedenfalls ernstlich an Willensbildung und Wahlen mitwirken zu wollen. Maßgeblich ist das tatsächliche Gesamtbild: Existiert ein Parteiprogramm, das den Namen zumindest halbwegs verdient hat? Gibt es eine (besser: mehrere) eingerichtete Geschäftsstelle(n)? Hat die Partei nach einer gewissen Gründungsphase mehr als sieben Mitglieder? Sind mehrere Landesverbände ins Leben gerufen worden? Gibt es ein praktisches „Parteileben“, eine minimal gefestigte Organisation nach innen und verfügt die Vereinigung über eine rudimentäre finanzielle Ausstattung?
Hier setzen die eigentliche Kärrnerarbeit und die berüchtigten „Mühen der Ebene“ ein. Sind bei Satzungs- und Programmdiskussionen noch alle freudig dabei, bis die Köpfe rauchen, so sieht das im fordernden Organisationsalltag oft anders aus. Dieser ist aber notwendig, wenn die kleine Parteigruppierung nicht im buchstäblichen Hinterzimmer versauern will.
Die Partei und ihre Mitglieder: Drum prüfe, wer sich bindet
Vor diesen Herausforderungen stellt sich die Aufgabe der Schaffung einer vitalen, motivierten Mitgliederbasis. Das Kapitel „Die Partei und ihre Mitglieder“ ist gerade in der Gründungsphase wohl das spannendste, aber in der Umsetzung auch das kniffligste.
Findet man sich plötzlich in Mitgliedertreffen wieder, wo ein Parteifreund dem anderen die Ohren volllabert über die real-existierende Chemtrail-Bedrohung und ein anderer über die segensreichen Vorteile der Sklaverei von der Antike bis zur Neuzeit schwadroniert, dann ist schnell Schluss mit lustig – und zwar sowohl innerparteilich als auch in der Außenwirkung. Ein nicht zu unterschätzendes Kernproblem vieler Parteineubildungen, insbesondere wenn sie prominent daherkommen, ist die Frage, wem und unter welchen Umständen die „Voll-Mitgliedschaft“ in der Partei zukommen soll. Wie umgehen mit ernsthaft problematischen (weil etwa extremistischen, aggressiven, psychopathischen) Interessenten und Mitgliedschaftsbewerbern? Das kann sich für ein fragiles neues Projekt, das unter der schlechtmeinenden Beobachtung der politischen Konkurrenz sowie auch von Teilen der tonangebenden Medien steht, schnell zur Existenzgefahr auswachsen. Jede wirre Äußerung und jeder steindumme Social-Media-Post von Extremisten und Grenzdebilen wird gnadenlos aufgespießt und breitgewalzt werden, während sich engagierte Parteimitglieder frustriert abwenden.
Bekanntermaßen ist es jedoch vonseiten der Partei enorm schwierig, eine bestehende Parteimitgliedschaft aufzukündigen bzw. zu annullieren, wie etwa die Fälle Sarrazin (versus SPD) und Kalbitz (versus AfD) zeigen. Das Parteiengesetz erlaubt den Ausschluss eines Mitglieds nur dann, wenn es vorsätzlich gegen die Satzung oder erheblich gegen Grundsätze oder Ordnung der Partei verstößt und ihr damit schweren Schaden zufügt. Oftmals folgen parteiinterne wie -externe, für alle Beteiligten quälend lange Gerichtsverfahren mit ungewissem Ausgang, ganz zu schweigen von dem damit einhergehenden Imageschaden.
Wohlgemerkt: Von Polit-Abenteurern, Glücksrittern, Dummschwätzern und Karrieristen konnte sich noch niemals eine Partei freihalten. Es wäre, nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer grundsätzlichen Nicht-Diskriminierung, vermessen, an die Mitgliedschaft (in spe) überzogene Maßstäbe anzulegen. Eine gewisse Gelassenheit und toleranter Gleichmut sind einzuüben. Gleichwohl ist es nicht verboten, sich über ein „Design“ mit einer gewissen Vorfilterfunktion Gedanken zu machen.
„Kaderpartei“ mit Vorfeldbewegung – warum denn nicht?
Gesucht wird eine Formation, die sowohl Partei-Bonzentum und Elitismus nach Möglichkeiten Einhalt gebietet, ohne aber nach allen Seiten hin undicht zu sein und in überzogenen, realitätsfremden Erwartungen an basisdemokratische Mitgestaltung zu zerfließen. Man erschrecke nicht gleich und sehe mir die bewusste Provokation nach, wenn ich an dieser Stelle den Begriff der „Kaderpartei“ klingeln lasse. Der eine oder andere Leser mag sogleich an die Horrorvision des Typus (vor allem) marxistisch-leninistischer Staatsorganisationen für eine versnobte Nomenklatura denken, doch steckt nach zeitgemäßem Verständnis mehr dahinter, was hier freilich nur gerafft vorgestellt werden kann. Die Rede ist von einer Partei, die den zentralen, organisatorischen und „arbeitenden“ Kern einer breiteren politischen Bewegung bildet, straff verfasst und diszipliniert ist sowie effektiv wirken kann, weil sie einigermaßen schlank und wendig bleibt, ohne gleich zum manövrierunfähigen Tanker zu verkommen und bürokratisch zu verkrusten. Eine Partei der Klasse statt Masse. Massenparteien sind ohnehin als Phänomene des 20. Jahrhunderts längst von gestern.
Um den Nukleus der Partei herum ist eine Bewegung als klar zugehörige Vorfeldorganisation aufzubauen und zu pflegen, die für die politische Wirkmächtigkeit mindestens ebenso bedeutsam ist. Zwischen Partei und Bewegung müsste also kein Verhältnis der Über-/Unterordnung entstehen, sondern eine Symbiose. In Letzterer finden sich politisch interessierte Menschen zusammen, die nicht gleich Parteimitglied werden können bzw. wollen, aber dennoch schlagkräftig in Erscheinung treten können. Selbstverständlich können Aktive der Bewegung auch – ohne selbst Mitglied zu sein – auf der Liste der Partei für Wahlen nominiert werden.
Gleichzeitig kommt diesem organisierten Vorfeld eine gewisse Vorfilteraufgabe zu, indem sich Engagierte für die eigentliche Parteimitgliedschaft empfehlen und bewähren. Dem wohnt ein meritokratischer Anspruch inne, ohne jedoch den stromlinienförmigen Apparatschik heranzüchten zu wollen. Die Vorfeldbewegung wird zur „Kaderschmiede“, während die Partei ihre Rolle als zugeneigter Dienstleister und Förderer ausfüllt und gleichzeitig eine Offenheit für Neumitglieder lebt.
Weitreichende Entscheidungsfreiheit über die Aufnahme neuer Parteimitglieder
Obwohl die Partei beim Ausschluss von Mitgliedern rechtlich stark eingeschränkt ist, gilt dies nicht für die Aufnahme: Mit Blick auf ihre verfassungsrechtlich garantierten Rechte darf die Partei die Aufnahmepraxis weitgehend frei gestalten. Zwar haben auch Individuen prinzipiell das Recht, in eine Partei einzutreten und dort zu verbleiben, weshalb etwa kein genereller Aufnahmestopp erlassen werden darf. Zudem sollte der Parteibeitritt ohne allgemeine Diskriminierung („keine Frauen“) grundsätzlich möglich sein. Ansonsten räumt das Parteiengesetz den Parteien eine sehr weitreichende Entscheidungsfreiheit über die Aufnahme neuer Mitglieder ein. Die Ablehnung eines Aufnahmeantrags muss nicht einmal begründet werden.
Völlig legitim ist es ferner, dass eine Partei ihre Überzeugungshoheit nach außen und ihre sogenannte „Tendenzreinheit“ nach innen bewahren darf und sich deshalb gegen den Beitritt von Personen zur Wehr setzen kann, die eine andere politische Ausrichtung herbeiführen wollen.
Nicht zu unterschätzender positiver Effekt des skizzierten Konstrukts: Die angesprochenen ungewollten Elemente sind nicht gleich Parteimitglieder mit sämtlichen Rechten und damit schwer wieder loszuwerden, sondern man schaut sich im Rahmen der locker gestalteten Bewegung an, wer da potenziell zur Partei stößt. Wen man aus triftigen Gründen (!) nicht aufnehmen kann, der wird einfach aus E-Mail-Verteilern gestrichen und nicht mehr zu Veranstaltungen eingeladen – klingt hart, beugt aber der Unterwanderung der Partei durch Querulanten, Extremisten und veritable Psychos vor.
Eine so gestaltete Partei von Wagenknecht und Co. könnte auf die nach wie vor bestehenden Strukturen von „Aufstehen“ zurückgreifen – oder jedenfalls auf die damit gemachten Erfahrungen.
Wer entscheidet eigentlich über die Eigenschaft als Partei?
Es gibt keine zentrale (bundes-)staatliche Stelle, die allgemeinverbindlich und letztgültig die Parteieigenschaft als „Gütesiegel“ zuspricht oder versagt. Dies können auch nicht die Bundes- bzw. Landeswahlleiter, wie jedoch landläufig angenommen wird. Die Prüfung sowie die Bejahung oder eben Verneinung des Parteistatus obliegt der jeweils zuständigen Behörde in Eigenregie.
Insbesondere: Die Teilnahme an der Wahl zum Europäischen Parlament 2024
Regelmäßig wird darüber spekuliert oder sogar empfohlen, dass eine in naher Zukunft neugegründete Partei als nächste bundesweit stattfindende Wahl diejenige zum Europäischen Parlament im Juni 2024 für die Teilnahme nutzen könnte. Doch warum gerade die Europawahl?
Anders als der Begriff und die selbstverliehene Aura des „Europaparlaments“ suggerieren, ist die Europawahl eine Parlamentswahl gemäß dem jeweiligen mitgliedstaatlichen, also nationalen Wahlrecht zwischen rein nationalstaatlichen Parteien. Sowohl ein europäisches Wahlrecht als auch wahrhaft europäische Parteien existieren nur in Grundzügen und können in diesem Beitrag ausgeklammert bleiben. Jedenfalls müsste eine neugegründete Partei keine „europäische“ Partei sein und keinem transnationalen Parteienzusammenschluss angehören, um sich zur Europawahl zu stellen.
In der Vergangenheit sah das deutsche Europawahlrecht Sperrklauseln für die Zuteilung von EU-Parlamentssitzen vor, wie dies auch für den Bundestag und die Landtage als Fünf-Prozent-Klauseln geläufig ist. Durch zwei Urteile des Bundesverfassungsgerichts aus den Jahren 2011 und 2014 wurden deutsche Sperren für die Europawahl jedoch jeweils gekippt. Aktuell werden Gesetzentwürfe diskutiert, die eine Hürde von nicht weniger als zwei Prozent vorsehen, wobei allerdings unklar ist, ob die Bundesrepublik sie bereits bei der kommenden Europawahl 2024 anwenden kann.
Der Zugang zu Mandaten im EU-Parlament ist also einfacher möglich als bei Bundestags- oder Landtagswahlen mit ihren Fünf-Prozent-Hürden. Das ist für eine neugegründete Partei, die sich noch im Aufbau und im Prozess des Bekanntmachens befindet, komfortabler. Gleichzeitig wäre ein möglichst erfolgreicher Parlamentseinzug bei einer bundesweiten Wahl ein bedeutsames psychologisches Momentum für weitere Entwicklungs- und Wahlerfolge.
Fazit und Ausblick
Zurück zu einer vielleicht (vielleicht auch nicht) entstehenden Partei von Sahra Wagenknecht und ihren Mitstreitern – die garantiert nicht „Liste Wagenknecht“ getauft werden wird. Nach alldem, was in diesem Beitrag nur auswahlmäßig behandelt werden konnte, tun die Planer gut daran, mit einem neuen Parteiprojekt nichts zu überstürzen. Laut Demoskopie kann man sich eines ansehnlichen Wählerzuspruchs erfreuen und auch eine Zwei- oder gar Fünf-Prozent-Sperrklausel bei Wahlen erscheint händelbar.
Doch neben der zu bewältigenden Kärrnerarbeit bei der Suche nach einem Gründungsteam und des Organisationsaufbaus gilt es, nicht zu unterschätzende rechtliche Hindernisse zu identifizieren und zu überspringen. Vor allem der Problemkreis der Personalrekrutierung und Mitgliederaufnahme bedarf einer pfiffigen Idee, denn es steht zu erwarten, dass eine solche Parteineubildung Interessenten aus vielen, durchaus divergenten weltanschaulichen Strömungen anziehen wird. Schwadroneure, Karrieristen, Polit-Abenteurer, aber auch ernsthaft gefährliche Extremisten und Zwielichtige werden sich auf die Partei schmeißen wie Fliegen auf den Dung. Wird hier keine institutionelle Vorsorge getroffen, kann eine solche Partei leicht zu dem Flopp werden, den alle vermeiden wollen.
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