Vor unser aller Augen läuft die größte, ungenierte Erhöhung der Rüstungsausgaben seit Gründung der Bundesrepublik bei gleichzeitigem Kürzen im sozialen Bereich, während viele einfache Bürger im Land um den Erhalt von Mindeststandards kämpfen bis hin zum Erhalt von Leistungen und Angeboten der zahlreichen Tafeln in der Bundesrepublik. Diese Einrichtungen, ihre Mitarbeiter und schließlich die Bedürftigen geraten mehr und mehr in Bedrängnis. Die Lage bei den Tafeln, wie zum Beispiel beim Verein Arbeitsloseninitiative (ALI) im Vogtland, ist angespannt. Zehn Tafel-Ausgabestellen betreibt der Verein ALI dort. Deutschlandweit gibt es über 960 Tafeln. Die stehen vor der mathematisch nicht zu lösenden Aufgabe, mehr und mehr Menschen trotz allem würdevoll zu versorgen, und das bei abnehmenden Spenden und Zuwendungen. Von Frank Blenz.
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Löhne gehören nicht zum Penny-Experiment
Gerade stieg ein Lebensmittelkonzern von seinem hohen Thron, um dem Volk mit einem Experiment (Jens Berger schreibt in seinem aktuellen NDS-Artikel „Pennys „wahre Kosten“ – Zynismus in Reinkultur“ darüber) zu zeigen, wie hoch eigentlich die Preise für Lebensmittel sein müssten. Das Experiment ist nicht ganz vollständig, ist anzumerken, denn wahre (also höhere, faire) Löhne für die einst langanhaltend beklatschte Mitarbeiterschaft hat der Konzern in der PR-Aktion nicht eingepreist.
Ganz andere Sorgen haben dagegen Tag für Tag die Mitarbeiter der bundesdeutschen Tafeln, der sozialen Einrichtungen, die wirtschaftlich schwache Menschen aufsuchen, weil die sich die Waren in den Supermärkten auch ohne Experimente-Preise nicht so einfach oder mitunter gar nicht leisten können. Die Waren sind ganz ohne „wahre Kosten“ für sie schon teuer, die „Inflation“ als undurchsichtige Naturgewalt wird von den Anbietern vorgeschoben, um noch mehr Profit zu generieren. Und es kommt noch dicker.
Im Vogtland kämpft der Verein ALI und muss sich doch mit weniger Spenden begnügen
Der Verein ALI hat wackere, tapfere, zuverlässige Mitstreiter. Einer von ihnen ist Mike Steinert. Von Beruf Fahrer. Der Pausaer fährt für die vogtländische Tafel seit fünf Jahren in der gesamten Region Spendenstellen an und sammelt Lebensmittel und Waren des täglichen Bedarfs, die er wie seine anderen fünf Kollegen und weitere Unterstützer an die Suppenküchen und zehn Ausgabestellen des Vogtlands liefert. Dort werden die Waren sortiert, gesäubert, verarbeitet, für Warenkörbe und für das Mittagessen in den Suppenküchen. „Die Aufgabe macht mir wirklich Laune, ich weiß, sie ist wichtig. Ganz anders als früher, da war ich Kurierdienst“, erzählt er, während er seinen Transporter (mit Kühlung) fit für den nächsten Tag, die nächste Fahrt zu den Supermärkten und zu anderen Spendern macht.
Mike Steinert macht sich Sorgen. „Was wir bekommen, das wird weniger. Vor Corona hat man uns viel vor den Markt gestellt, auch gute Ware, gerade abgelaufene oder sogar noch nicht abgelaufene Lebensmittel. Dann kam die Pandemie, da wurde es mit einem Schlag weniger. Und nun? Es hat sich etwas stabilisiert, doch glaube ich, das wird nicht mehr besser oder so wie vor der Pandemie“, sagt Fahrer Steinert. Vor allem bei gesunden Waren, bei Obst und Gemüse zeigt die Kurve nach unten, langsam, aber nach unten, so der Vogtländer. „Mitunter bekommen wir echt nur noch den Rest, der dann von unseren Leuten in den Ausgabestellen aussortiert und für die Warenkörbe ausgabefähig gemacht wird.“ Es stimmt schon, dass Lebensmittel nicht verschwendet werden sollen, es ist zu beobachten, dass die Märkte ganz anders bestellen. Die Folgen spüren die Tafeln, die auf Spenden angewiesen sind und eben keine Lebensmittelzuweisungen erhalten als Ersatz im Fall ausbleibender Waren von den Märkten.
Supermärkte bieten jetzt selbst billige Restwaren an
Vor Jahren stellten die Filialen der Lebensmittelkonzerne die Spendenware teils recht üppig vor die Lagertür. „Wir Fahrer konnten das Zeug einpacken und es war gut. Heute holen die Märkte teils selbst noch was aus den Resten heraus. Sie bieten dann Warenbeutel mit Sachen an, die wir früher verwenden konnten, um zu helfen. Die Beutel kosten fünf Euro, am späten Nachmittag werden die präsentiert. Es wird damit halt Geld verdient“, sagt Mike Steinert nüchtern.
„Die vogtländischen Tafeln der ALI werden nach wie vor gebraucht, man schaue sich nur mal die Zahlen des vergangenen Jahres an“, sagt Mike Steinert. In der Statistik liest sich das so: 2022 haben die Tafel-Leute 37.440 Warenkörbe (Waren des täglichen Bedarfs) an Bedürftige verteilt, schätzungsweise 113.000 Menschen wurden versorgt. Die Suppenküche im Tagestreff Plauen kochte 14.448 Portionen Mittagessen, menschliche Wärme, Gemütlichkeit, soziale Kontakte, Austausch und Gespräche inklusive. Und es bleibt nicht beim Essen. Im Sozialen Kompetenzzentrum der ALI in Plauen wird die Kleiderkammer, eine Art „Sozialkaufhaus“, rege genutzt. Man braucht dafür eine Berechtigung, 1.735 Bürger haben sich diese geholt. Der Verein registrierte genau 26.025 Bekleidungsstücke, die für wenig Geld an Bedürftige verkauft worden sind. Weiter betreibt der Verein eine Möbel- und Textilbörse. Vom Bett bis zur Küche, vom Kühlschrank bis zum Sofa gibt es dort Waren, die gern und dankbar angenommen werden. 2023 setzt sich der Trend fort, die Nachfrage lässt nicht nach, bei nachlassendem Angebot seitens der Spendenstellen.
Warenkörbe sind nun einen Euro teurer
Fünf Euro kostete der Warenkorb für eine Familie pro Woche bisher. Nun musste der Verein den Betrag um einen Euro anheben, denn die Kosten steigen auch für die Arbeitsloseninitiative (ALI). „Beim Benzin haben wir das bis heute schmerzlich erlebt. Zeitweise haben wir eines unserer vier Autos stehenlassen und mit den drei anderen die Routen abgedeckt. Auch sind wir nach Tschechien rübergefahren zum Tanken, weil es dort nicht so teuer war. Doch haben wir das gelassen, weil wir buchhalterisch das beim Amt nicht durchbekommen“, erzählt Mike Steinert. Dass die Erhöhung des Korb-Preises nicht für Jubel gesorgt hat, kann man sich vorstellen, ergänzt der Mitarbeiter.
Alte Helfer hören auf, junge, neue Helfer zu finden, ist schwer, und noch andere Sorgen
ALI-Chefin Konstanze Schumann nahm vor einiger Zeit am Bundestafeltreffen teil. Sie hörte von den Kollegen ähnliche Sorgen und Probleme wie die eigenen. „Unsere Helfer und Mitarbeiter werden älter, manche können auch nicht mehr. Für sie Nachfolger zu finden, das gestaltet sich schwierig. Wir leisten zwar eine wichtige, eine gute, eine ausfüllende Arbeit, doch melden sich nicht gerade offensiv viele Bürger bei uns, mitzuhelfen“, stellt Schumann fest. Sie kritisiert auch die Haltung der Politik, bei der der Rotstift zuerst im sozialen Bereich angesetzt werde: „Ich sage nur aktive Arbeitsmarktpolitik, Freiwilligendienst, Förderungen – alles wird zusammengestrichen.“
Die Mitarbeiter der Tafeln sehen sich einer steigenden Zahl Bedürftiger und Anspruchsberechtigter gegenüber. Seit Kriegsbeginn in der Ukraine strömten verstärkt Menschen aus diesem Land zu den Tafeln. Auch im Vogtland. „Wir hatten zeitweise lange Schlangen vor unserer Tafel in Plauen. Und doch die gleiche Menge an Lebensmitteln wie vorher. Es war nicht zu meistern. Wir haben uns da auch allein gefühlt, denn die Menschen kamen zu uns, weil die Leute aus dem Landratsamt sie zu uns schickten. Unterstützung, mehr Waren vom Landratsamt organisiert – Fehlanzeige. Die vom Amt denken, wir seien allein dafür zuständig, als wären wir eine Behörde“, sagt Fahrer Mike Steinert.
Dem nicht genug, auch die fordernde, teils arrogante Haltung ukrainischer Flüchtlinge gegenüber den Ehrenamtlichen und angestellten Mitarbeitern der ALI stieß und stößt auf. „Beim Bundestafelkongress war das ebenfalls ein Thema, wobei wir uns kaum getraut haben, das anzusprechen“, sagt Konstanze Schumann, die sich Sorgen macht: Die Zahl der Flüchtlinge aus vielen Ländern steigt, die Zahl der Bedürftigen in Deutschland steigt ebenso, ein Fünftel der Bevölkerung gilt als arm (das sind also mehr als 20 Millionen), mittlerweile ist jedes vierte Kind von Armut betroffen, sagen staatliche Statistiken trocken aus.
Wie geht es weiter?
Fahrer Mike Steinert und seine Kollegen steigen weiter täglich auf den Bock und kurven kreuz und quer durch die vogtländische Region, um Spenden einzusammeln. „Es hilft ja nix, es muss weiter gehen. Wir können leider nicht mehr so große, üppige Warenkörbe verteilen, ja, so ist das. Also müssen wir zusammenrücken und uns einschränken“, sagt der Vogtländer. Am besten wäre ja, wenn es keine Bedürftigkeit gäbe, sinniert er. Danach sieht es aber nicht aus, schlimmer noch, die Zahl der Menschen, die gerade beim Essen sparen müssen, steigt.
Ab und an freuen sich die ALI-Mitstreiter umso mehr, wenn ihnen unverhofft und überraschend Hilfe von außen zuteilwird, ihnen, deren Job ist, zu helfen. Eine alte Dame hat ihr Erspartes dem Verein gespendet, an die 2.000 Euro.
Vor einigen Jahren sorgte ein großes Plakat der Welthungerhilfe für einen Moment zum Nachdenken: Ein Teller mit Reis war zu sehen. Mit sehr, sehr wenig Reis. Und man konnte einen Satz lesen: „Weniger ist leer“.
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