„Tagesschau“-Chefredakteur: Kritiker „konstruieren Skandale“

„Tagesschau“-Chefredakteur: Kritiker „konstruieren Skandale“

„Tagesschau“-Chefredakteur: Kritiker „konstruieren Skandale“

Tobias Riegel
Ein Artikel von: Tobias Riegel

Als Reaktion auf den Vorgang um eine als zufällige Passantin dargestellte WDR-Mitarbeiterin teilt Marcus Bornheim, der Chefredakteur von „ARD Aktuell“, aus: Manche Medienkritiker seien darauf aus, Skandale zu „konstruieren“. Auch spricht er von einem „Geschäftsmodell“ von „bestimmten Verlagen“, dabei werde versucht, Klickzahlen hochzutreiben. Die Äußerungen Bornheims lassen tief in die öffentlich-rechtliche Selbstwahrnehmung und Kritikfähigkeit blicken. Ein Kommentar von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Der Vorgang um eine in der „Tagesschau“ als zufällige Passantin vorgestellte Mitarbeiterin des WDR wurde inzwischen von zahlreichen Medien beschrieben, bei „Focus“ wird er etwa hier geschildert. In diesem Zusammenhang hat der Chefredakteur von „ARD Aktuell“, Marcus Bornheim, in einem aktuellen Interview mit dem Deutschlandfunk eine meiner Meinung nach sehr bemerkenswerte Haltung gegenüber Kritikern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) offenbart. Bornheim ist seit Oktober 2019 als Nachfolger von Kai Gniffke Erster Chefredakteur von ARD-aktuell, der ARD-Gemeinschaftsredaktion für Tagesschau und Tagesthemen.

Eine Verschwörung von Medienkritikern und „bestimmten Verlagen“?

Die kritische Überprüfung von Produktionen des ÖRR wird von Bornheim beschrieben als ein „Scannen“, um dann daraus nach Möglichkeit einen Skandal „zu konstruieren“. Diese Themen aufzugreifen, wird in die Nähe von „Clickbaiting“ gerückt. Es sei „ein gut funktionierendes Geschäftsmodell“. Indirekt deutet Bornheim eine angebliche Arbeitsteilung an zwischen Medienkritikern auf Twitter einerseits und „bestimmten Verlagen“ andererseits – das könnte man glatt in die Nähe von Verschwörungstheorien rücken. Erst als der Moderator angemessen kritisch nachfragt, schwenkt Bornheim um.

Ich finde die in dieser „Verteidigung“ vorgebrachten Anschuldigungen gegen Kritiker der eigenen Produktionen (und die Haltung, die durch diese Anschuldigungen ausgedrückt wird und was sie über die eigene Kritikfähigkeit aussagt) mindestens ebenso problematisch wie den Vorgang um die angeblich wegen eines bedauerlichen „Fehlers“ nur „verwechselte“ Mitarbeiterin selber.

Das ganze Interview findet sich in diesem Beitrag des Deutschlandfunks, die hier besprochenen Zitate kommen ab Minute 2:48. Auf die Feststellung des Moderators, dass der Vorgang vor einigen Jahren nicht in dieser Art aufgefallen wäre und das Publikum nun genauer hinsehe, folgt die Frage: „Sie müssten sich über so viel Schwarm-Intelligenz-Korrektiv freuen, oder?“ Darauf entgegnet Bornheim:

„Ja, wir beobachten das natürlich auch mit einer sehr professionellen Brille. Es gibt ja – das wissen wir natürlich auch – ich sag mal eine Handvoll, vielleicht auch zwei Handvoll von Accounts, die vor allen Dingen jetzt bei ‚X‘ früher bei Twitter unterwegs waren und ganz konsequent unsere Angebote, die wir erstellen (…), scannen und immer danach suchen, um daraus nach Möglichkeit einen Skandal zu konstruieren. Und wenn dieser Skandal im Social-Media-Bereich einen entsprechenden Reflex auslöst, wissen wir natürlich auch, dass es aus bestimmten Verlagen den Wunsch gibt, diese Welle mitzunehmen. Und dann setzen diese Verlage natürlich auf dieses Clickbaiting, setzen das Wort „Tagesschau“ in die Überschrift und hoffen, dass sie so eine möglichst große Reichweite haben. Das ist also ein gut funktionierendes Geschäftsmodell. Das wissen wir, das kennen wir. Und deswegen hat das jetzt auch im Prinzip wieder diesen Fall genau so erreicht. Damit müssen wir ein Stückweit umgehen.“

Immerhin – der Moderator bringt darauf einen berechtigten Einwand: „Aber es ist ja die Realität. Es ist ja, ich möchte das jetzt mal positiv formulieren, die harte Schule, durch die Sie gehen müssen.“ Darauf antwortet Bornheim:

„Absolut! Nein, das ist ja auch… Wenn wir Fehler machen, ist das überhaupt gar kein Problem, dass wir zu diesen Fehlern stehen. Transparenz erhöht unsere Glaubwürdigkeit. Und Glaubwürdigkeit ist das Beste, was wir anbieten können. Ich bin ein absoluter Verfechter von dieser Korrekturenseite, ich bin ein absoluter Verfechter davon, dass wir zu unseren Fehlern dann eben auch stehen und es auch erklären. So wie wir das jetzt auch gemacht haben.“

Nur ein „saublöder Fehler“?

Zuvor hatte bereits der Chefredakteur Aktuelles beim WDR, Stefan Brandenburg, den Vorgang als „saublöden Fehler“ bezeichnet, wie Medien berichten. Ob die Schilderungen Brandenburgs jedoch glaubwürdig erscheinen und ob die Bezeichnung „Fehler“ bei dem Vorgang wirklich angemessen ist, können unsere Leser beurteilen. Brandenburg schrieb:

„Die Kollegin ist zufällig nach ihrer Frühschicht in der Umfrage angesprochen worden. Sie hat dem Reporter, der sie nicht kannte, sinngemäß gesagt: ‘Ich komme gerade vom WDR-Radio.’ Wegen Nebengeräuschen im Supermarkt habe der Reporter die Aussage missverstanden als ‘ich habe es im WDR-Radio mitgekriegt’.“

Ein Tweet des Nutzers ArgoNerd des nun „X“ genannten Kurznachrichtendienstes hatte die Sache vor einigen Tagen bekannt gemacht, der Beitrag findet sich hier. ArgoNerd hat auch auf die aktuellen Äußerungen Bornheims hingewiesen, in diesem Tweet. Auf die im „Tagesschau“-Beitrag thematisierte Penny-Aktion ist bereits Jens Berger in diesem Artikel eingegangen.

Zum Abschluss eine allgemeine Anmerkung: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sollte meiner Meinung nach nicht abgeschafft werden! Dass das Prinzip eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks verteidigt werden sollte, dass aber diese Verteidigung wegen der massiven inhaltlichen Verfehlungen der öffentlich-rechtlichen Sender selten so schwer war wie heute, haben wir hier beschrieben. Eine rein private Medienlandschaft wäre nicht besser: Einige der nun „Skandal“ rufenden Journalisten von großen privaten Medien sind (je nach Thema) mutmaßlich ebenfalls in Meinungsmache verstrickt.

Titelbild: Sharaf Maksumov / Shutterstock

Rubriken:

Audio-Podcast Medienkritik

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