Leserbriefe zu „Über die Lern-Un-Fähigkeit der Politik, dargestellt am Beispiel der Altersvorsorge“

Ein Artikel von:

In diesem Beitrag weist Albrecht Müller u.a. darauf hin, „wie wenig rational und stattdessen getrieben von Interessen und begleitet von Manipulationen die gesellschaftspolitische Debatte um die Altersvorsorge in den letzten Jahrzehnten verlaufen ist“. Die Debatte habe in den 1970er Jahren mit der „abstrusen und nie begründeten Behauptung“ vom „sterbenden Volk“ begonnen. Sie sei „das Vorspiel für eine 1997 im Vorfeld des Bundestagswahlkampfes 1998 gestartete Anzeigenkampagne der Finanzwirtschaft“ gewesen. Die ergänzende Privatvorsorge sei propagiert und dann mit der Riester-Rente, der Rürup-Rente und der staatlich geförderten betrieblichen Altersvorsorge begonnen worden. Die drei Produkte hätten sich als „teure Flops“ erwiesen. Nun soll die sogenannte Aktienrente die Altersvorsorge der Mehrheit der Menschen verbessern. Die gesetzliche Altersvorsorge arbeitet jedoch im Vergleich dazu um vieles produktiver und es stehe die Frage im Raum: Ist die Politik, sind Staat und Gesellschaft nicht lernfähig? Wir haben hierzu interessante E-Mails erhalten. Es folgt eine Auswahl der Leserbriefe. Christian Reimann hat sie für Sie zusammengestellt.


1. Leserbrief

Lieber Herr Müller,

“Angesichts dieser Erfahrungen, steht angesichts der geplanten Aktienrente die Frage im Raum: Ist die Politik, sind Staat und Gesellschaft nicht lernfähig?”

Bei dieser Frage gehen Sie stillschweigend davon aus, dass die Politik ihre Aufgabe im Sinne des Grundgesetzes ernst nimmt und lernen will, zum Wohle der Gesellschaft zu wirken. Das tut sie aber nicht, sondern handelt im Auftrag der Lobbyisten der Finanzindustrie. Und die ist lernfähig, wenn es darum geht, auch noch das Letzte zu privatisieren, für den Profit zu opfern und die Gesellschaft auszuquetschen. Dafür muss die Politik nicht einmal lernen, sie führt nur Aufträge aus.

Und der Staat? Der ist die Politik (Baerbock, Scholz et al.). Und die Gesellschaft? Die steckt den Kopf in den Sand, ist so orientierungslos wie seit 1848 nicht mehr.

Herzlichen Gruß,
Rolf Henze


2. Leserbrief

Sehr geehrter Herr Müller,

das von Ihnen angesprochene Thema und die seinerzeit hoch gepriesene Strategie der privaten Altersvorsorge hat meiner Ansicht nach noch einen Aspekt, der mir angesichts der aktuellen Politik unserer Regierung durchaus erwähnenswert erscheint. Es reicht ein Blick auf die Verhältnisse beim großen Bruder USA, um zu erkennen, was langfristig bei solchen Ansinnen auch noch auf dem Spiel stehen könnte.

Um sich dort einigermaßen für das Alter abzusichern, muss der Bürger z.B. rechtzeitig in vielversprechende Aktien investieren. Mehr oder weniger fatal ist es dabei, wenn dabei viele Bürger auf die gut gehenden und vielversprechenden Papiere des militärisch-industriellen Komplexes setzen  – …oder eben auf eine Gewinn versprechende  und mglw. umstrittene Ressourcenerschließung im Ausland (z.B. Agrarland, darunter auch Ukraine, Äthiopien usw.)

Eine funktionierende Alterssicherung hängt damit u.U. hochgradig auch vom langfristigen Wohlergehen dieser Branchen ab. Es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, welchen Einfluss solche Entwicklungen auf die Politik haben, sei es durch Druck seitens zahlloser Lobbyisten, die militärische Bedrohungssituationen und Verdachtsmomente  zu „verkaufen“ suchen (s.a. Stichwort „war machine“) wo gar keine sind – und/oder durch das  resultierende Wahlverhalten der Bürger, die ihre Aktienbündel natürlich gut angelegt wissen wollen.

Ein Teufelskreis, wie er noch nicht im Buche steht!

Am Ende steht vielleicht auch bei uns plötzlich das Gespenst eines überbordenden Militarismus (…Panzer senden)  im Raum und/oder der „Mafia-Staat“ (frei nach Chris Hedges), wie er uns gerade von den USA vorgeführt wird.

Mich beschleicht das Gefühl, dass u.U. alles viel schlimmer ist, als es auf den ersten Blick aussieht!

MfG
W. Raab


3. Leserbrief

Moin liebes NDS-Team,
moin Herr Müller,

das Umlageverfahren ist unbestritten das Beste. Bei all der Diskussion darüber, ob man die Arbeiter nun länger schaffen läßt, damit ein etwaiger Demographiewandel abgemildert wird oder ob man sich verschuldet (diese wollen ja -theoretisch- auch irgendwann zurückgezahlt werden), wird leider das Solidarprinzip außer Acht gelassen:

Je mehr jemand an Gehalt erhält (“verdient” ist eine andere Sache), desto höher sind auch die -ungedeckelten!- Beiträge. Leistungsloses Einkommen muß ebenso versteuert werden und in die Rentenkasse einfließen. Obergrenzen darf es nicht geben, sonst verschwindet der obszöne Reichtum nie aus der Welt, mit dem man sich ganze Staaten kaufen kann (siehe auch in Bezug auf Ihre Frage weiter unten).

Es ist aus meiner Sicht ein Unding, ja, ein politischer Affront gegen jeden, der sich bis zu 45 Jahre oder sogar länger sprichwörtlich buckelig geschafft hat, daß die ohnehin schon arg geschmälerte Rente auch noch teilweise unter Zusatzabgaben zu leiden hat. Wer sich den Mist ausgedacht hat, der kann niemals von irgend einem Lohn finanziell abhängig gewesen sein.

Weiters sollte jedem vernünftig denkenden Menschen klar sein, daß Aktien, Fonds oder was auch immer so an der Börse gerade handelbar ist, hochgradig spekulativ sind. Einen garantierten Gewinn gibt es nicht, und was des Einen Gewinn ist, das ist des Anderen Verlust.

Über genau diese Verlustmöglichkeit muß jeder Versicherungsvertreter aufklären und dies entsprechend dokumentieren, sonst ist er regreßfähig. Schon allein aus diesem Aspekt verbietet sich dieses Modell. Nichts kann Gelder besser garantieren als der Staat selbst, der sie tagtäglich einnimmt. Sie müssen nur entsprechend verteilt — und auch eingenommen — werden.

Was die Spekulation mit Aktien etc. anrichten kann, das hat Christian Kreiß mit den Mieten in seinem jüngsten Artikel sehr schön herausgearbeitet (zahlt ein Mieter bei Vonovia dann einen Teil seiner Rente selbst?). Ähnliche Mechanismen greifen auch bei beispielsweise Lebensmitteln, was den Welthunger auf dieser Welt hält. So ein System will der Staat auch noch aktiv unterstützen? Damit wird der einfache Staatsbürger zur Verfügungsmasse von Geldverwaltungen wie BlackRock & Co.; fehlt nur noch, die übrigen Sozialsysteme wie Sozialversicherungen und Pflegeversicherungen auch in Aktien-basierte Modelle umzustellen. Wer dann keine Rente kriegen kann, weil die Aktie gerade im Keller ist, der hat vielleicht bei der Sozialversicherung Glück. Nicht? Upsi…

Auch eine alleinige Produktivitätsverbesserung ist nicht ausreichend, da die Einführung des Niedriglohnsektors mit den Hartz-Gesetzen, dessen Namensgeber wegen Untreue verurteilt wurde, aus Deutschland einen Niedriglohnsektor machte, wie sich Ex-Kanzler Schröder nicht entblödete, dies auch noch öffentlich kund zu tun:

bundesregierung.de/breg-de/service/bulletin/rede-von-bundeskanzler-gerhard-schroeder-792094

Bezeichnenderweise findet sich die Rede vor dem WEF (!) im Jahr 2005 auf einer offiziellen Regierungsseite. Nichts für schwache Nerven. Daran sieht man deutlich, wie sehr die Wirtschaft mit der Politik verflochten ist (auch: siehe die Frage unten).

Die dadurch entstandene Lohn-Differenz haben sich die (multinationalen) Konzerne natürlich schön in den eigenen Säckel gesteckt. Man könnte diese Unsitte auch noch problemlos auf die Zeitarbeitsfirmen & sogenannte “Minijobs” ausdehnen. Alleinverdiener-Vollzeit war gestern, Nebenjob(s) heute.

Davon soll man noch auskömmliche Renten im Umlageverfahren, geschweige denn über private Aktien bezahlen können? Von welchem Gehalt, bitte? Dessen Höhe spielt bei der Höhe der Rente ja auch eine entscheidende Rolle.

Aber:
Wenn man Riester/Rürup/Aktienrente komplett rückverstaatlichte in ein Umlagesystem (inklusive Rückführung der bisher eingezahlten Beiträge, und zwar mit den aktuellen Gewinnmargen!), dann hätte man immer noch ein höheres Rentenniveau als jetzt. Ob das Finanzsystem dann zusammenbräche, wie 2008, wenn man die ganze Kohle aus den “Aktienmärkten” abzöge?

Sie fragen:

“Ist die Politik, sind Staat und Gesellschaft nicht lernfähig?”

Doch, die Politik und der Staat schon, indem sie nun nicht mehr den Bürger fragen oder auf seine öffentliche Stimme hören, wenn sie die Interessen der Privatwirtschaft in Gesetze gießen. Deren Vorgehen wird immer dreister, weil dies die Verschmelzung von wirtschaftlicher mit politischer Macht bei zeitgleicher Fragmentierung der Bevölkerung erlaubt.

Proteste seitens der Gesellschaft sind seit dem (auch staatlichen!) Niederknüppeln öffentlicher Gegenmeinungen seit “Corona” kaum noch zu erwarten; nicht, bevor ein Großteil der Bürger kapiert oder am eigenen Leib erfährt, was hier an Wohlstandsvernichtung abgeht. Gelder werden an vielen Baustellen abgezogen: Miete, Ackerland, Energiekosten, sinnfreie CO2-Umlagen (selbst mit Luft wird dem Bürger das Geld aus der Tasche gezogen), Renten…

Mit freundlichen Grüßen,
Michael Schauberger


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