Spiegel online mit einer wirklichen Lachnummer, der Analyse von „Promi-Halbwissen zur Euro-Krise“
Eines muss man der Redaktion von Spiegel online zugestehen: Sie hören manchmal das Gras wachsen. Also haben sie sensibel wahrgenommen, dass im Rest der kritischen Öffentlichkeit immer mehr erkannt wird, wie unaufklärerisch und voll gepumpt mit Vor- und Fehlurteilen Spiegel und Spiegel online die Finanzkrise begleiten. Also hat sich die Redaktion an das Prinzip „Haltet den Dieb erinnert“ und anderen, Politikern und Schauspielern Halbwissen vorgeworfen und deren angebliches Halbwissen analysiert. Wir haben diese Texte von Spiegel online kommentiert. Albrecht Müller.
Dabei zitieren wir Original die Texte der Opfer von Spiegel online und immer unter der Einleitung „Fakt ist:“ die Bewertung von Spiegel online.
Übrigens fällt auf, dass Spiegel online dieses Projekt auch nutzt, um ihre Lieblinge auf der Regierungsseite zu schonen und das Milieu Links von Schwarz-gelb zu attackieren. Einer unserer Leser hat ausgerechnet: 25 % regierungsnahe Person stehen 75 % der anderen Seite gegenüber.
Wenn Sie unsere Kommentierung hilfreich finden, dann verbreiten Sie doch bitte diese Kurzdokumentation unter Spiegel- und Spiegel online-Lesern. In diesem Bereich gibt es einen unendlichen Bedarf an Aufklärung.
- Angela Merkel: “Wir können nicht eine Währung haben, und der eine kriegt ganz viel Urlaub und der andere ganz wenig. Das geht auf Dauer auch nicht zusammen.”
Fakt ist: Arbeitnehmer in südeuropäischen Ländern machen nicht mehr Urlaub als deutsche. So liegt etwa Griechenland mit durchschnittlich 23 bezahlten Urlaubstagen pro Jahr unter dem europäischen Durchschnitt. Deutschland belegt mit 30 Urlaubstagen dagegen einen Spitzenplatz. Außerdem hat die Anzahl der Urlaubstage herzlich wenig mit dem Auseinanderdriften der wirtschaftlichen Entwicklung in den Euro-Ländern zu tun.
Kommentar AM: Gegen diese Kritik an Angela Merkel ist nichts einzuwenden. Auch in einem gemeinsamen Währungsraum sind die Menschen in den verschiedenen Teilen nicht gezwungen, ihre Gewohnheiten anzugleichen. Das galt auch schon in DM-Zeiten. Die katholischen Landesteile hatten mehr Feiertage, die Kölner nehmen nicht alles so bierernst wie die Ostwestfalen – im Zweifel verdienen sie ein bisschen weniger, als sie könnten. Auch in einem Euro-Raum Europa kann es verschiedene Sitten und Gebräuche geben. Zum Beispiel auch den Wunsch eines Volkes, mit 60 in Rente zu gehen. Oder den Wunsch einen ausgeprägten öffentlichen Sektor zur Versorgung mit Gütern für die Daseinsvorsorge.
- Sigmar Gabriel: “Diese Bewertungen von europäischen Mitgliedstaaten durch US-Rating-Agenturen sind höchst fragwürdig. Sie spekulieren heute gegen Griechenland, morgen gegen Spanien, jetzt gegen Italien.”
Fakt ist: Rating-Agenturen geben nur Bewertungen über die Kreditwürdigkeit von Staaten und Unternehmen ab. Sie spekulieren nicht mit Staatspapieren. Das können nur die Anleger – und von denen machen es weniger als allgemein vermutet.
Kommentar AM: Hier ist Gabriel bewusst missverstanden worden. Ihm kam es ja nicht auf die Behauptung an, dass die Rating-Agenturen spekulieren, sondern darauf, dass auf der Basis ihrer Ratings Spekulationen angeheizt werden. Der letzte Satz der SPON-Bewertung soll eine Beruhigungspille sein. Übrigens ohne Beleg. Dass Spekulation stattfindet, ist ja wohl nicht zu bezweifeln. Und dass es offensichtlich genügend so genannte „Anleger“ gibt – einen Begriff den man in Gänsefüßchen setzen sollte, was Spiegel online selbstverständlich nicht tut -, um die Zinsbelastung kleinerer Länder hoch zu treiben, dadurch dass gegen ihre Staatspapiere spekuliert wird. Fazit: Eine rund um oberflächliche und den Rating-Agenturen zugetane Anmerkung von Spiegel online. Zum Problem der Rating-Agenturen siehe auch den Beitrag von Werner Rügemer.
- Jürgen Trittin: “Wenn Weidmann gemeinsame Euro-Anleihen als zu teuer ablehnt, liegt er völlig falsch. Die höheren Zinsen für Euro-Bonds muss man mit den Kosten für die Rettungsschirme gegenrechnen. Dann sieht jeder, dass Euro-Bonds günstiger sind.”
Fakt ist: Ob gemeinsame Anleihen der Euro-Staaten für Deutschland wirklich günstiger sind, ist offen. Bislang haben die Rettungsschirme die Bundesregierung kein Geld gekostet. Dass das nicht so bleiben wird, ist absehbar. Die Höhe der Kosten aber lässt sich derzeit nur schätzen – genauso wie der mögliche Zinssatz von Euro-Bonds.
Kommentar AM: Das fundamentale Anliegen – die Ausschaltung der Spekulation bei der öffentlichen Finanzierung in einem gemeinsamen Währungsraum – wird ausgeklammert. Es ist nämlich überhaupt nicht einzusehen, dass auf Dauer hoch spekulative „Märkte“ über die Kosten der Finanzierung öffentlicher Ausgaben entscheiden. Dabei ist es wegen des Interessenzusammenhangs ziemlich egal, ob die 15 %, 12 % oder 10 % Zinsen von den griechischen Steuerzahlern oder von den Deutschen gezahlt werden. Wir kommen als deutsche Steuerzahler dann glimpflich davon, wenn wir den Griechen die Chance geben, die Rückzahlung ihrer Schulden zu erarbeiten. Das wird immer schwieriger, wenn die Zinslast immer höher wird. Insofern sind wir aus diesen realen Gründen auch interessiert an einer möglichst preiswerten Finanzierung der öffentlichen Ausgaben und der dafür zur Zeit aufgenommenen Gelder, auch in Griechenland. Mit Euro-Bonds wird es billiger als bisher. Und mit direkter Finanzierung der öffentlichen Ausgaben durch die Europäische Zentralbank sowieso. Siehe dazu den Beitrag von Jens Berger.
- Sahra Wagenknecht: “Diese Staatsschulden entstehen ja nicht dadurch, dass die Ausgaben so hoch sind.”
Fakt ist: Eine Regierung, die mehr ausgibt als sie einnimmt, muss Schulden machen. Die Lücke kann sie durch höhere Steuern schließen. Wenn das Haushaltsdefizit allerdings zu groß ist, wird kaum eine Regierung um Kürzungen bei den Ausgaben umherkommen.
Kommentar AM: Hier gibt Spiegel online das übliche Promi-Halbwissen wieder. Ausgabenkürzungen führen zur Reduzierung von Haushaltsdefiziten, das ist der gängige Kinderglaube. Diese halbwissenden Promis in Politik, Medien und Wissenschaft haben aber noch nicht einmal begriffen, dass für einen Staat nicht unbedingt gilt, was für das einzelne Wirtschaftssubjekt gilt. Die Sparabsicht reicht nicht zum Sparerfolg. Das konnten wir bei uns sehen, das konnten wir in den Neunzigern in den USA sehen, das können wir jetzt in Griechenland sehen. Wenn die Konjunktur kaputt gespart wird, dann wird trotz ehrenwertem Sparwillen am Ende weniger gespart als wenn die Konjunktur und damit Steuereinnahmen befördert worden wären.
Bei uns ist übrigens durch die Regierungen Kohl und Schröder und ihre ständigen Steuersenkungen zu Gunsten der Wirtschaft und der Bessergestellten bewiesen worden, dass Staatsschulden vor allem auch durch Steuersenkungen entstehen. Nicht allein, aber auch damit. Der beste Beleg für die Richtigkeit der Aussage von Sahra Wagenknecht sind die unendlichen Milliarden für den Bankenrettungsschirm. Diese Milliarden, die die Verschuldung des Staates bei uns unglaublich angeheizt hat, sind ja keine normalen Staatsausgaben. - Andrea Nahles: “Wir sollten überlegen, ob man Vorkehrungen schafft, die es erlauben, Länder, die sich unter einem Rettungsschirm befinden, vorübergehend aus dem Bewertungssystem der Agenturen zu nehmen.”
Fakt ist: Europäische Politiker werden den US-Rating-Agenturen kaum verbieten können, sich Urteile über Länder zu bilden. Sie könnten höchstens beschließen, die Ratings bei ihren Entscheidungen zu ignorieren. Doch das könnte die Verunsicherung der Anleger eher vergrößeren als verringern.
Kommentar AM: Bei Spiegel online wieder die übliche Fixierung auf die Märkte und die Anleger, im übrigen teilweise ja auch bei Andrea Nahles. Peter Bofinger, Mitglied des Sachverständigenrates, hat die sachlich richtige Position in der Süddeutschen Zeitung vom vergangenen Wochenende klar formuliert: „In der Hand von neurotischen Investoren.“ Deshalb müsse sich die Politik „dringend aus der Abhängigkeit von den Finanzmärkten lösen.“
Wörtlich zum Thema Griechenland und Italien:
„Wenn die Mitgliedsländer des Euroraums weiterhin auf sich allein gestellt ihre Finanzierung über die Finanzmärkte sichern müssen, liegt die Zukunft der Währungsunion und damit zugleich die der europäischen Integration in den Händen kurzsichtiger, hoch neurotischer Investoren. Setzt sich der Teufelskreis im Falle Italiens fort, wäre das Schicksal des Euro besiegelt. Die Abhängigkeit von Märkten und Ratingagenturen ist die entscheidende Erklärung dafür, dass es der Politik so schwer fällt, eine vernünftige Lösung für Griechenland zu finden.“
Und weiter:
„Ähnlich wie bei der Finanzkrise im Herbst 2008 ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, bei dem die Politik die Initiative des Handelns gegenüber den Finanzmärkten zurückgewinnen muss. Das ist nur zu erreichen, wenn man die Mitgliedsländer aus der unberechenbareren Abhängigkeit von privaten Investoren und Ratingagenturen befreit.“
Die Erkenntnisse der „halbwissenden“ Spiegel online-Redaktion sind meilenweit von den Erkenntnissen Bofingers entfernt. Man merkt in jeder Zeile, dass Spiegel und Spiegel online eng mit der Finanzwirtschaft zusammenhängen und deren besonders lukrative Geschäftsfelder – Spekulation und Investmentbanking – hochhalten.
- Frank Schäffler, langjähriger Berater des Finanzdienstleisters MLP (1997-2010) und FDP-Finanzpolitiker, zur Frage, worin eine Altersvorsorge in Zeiten der Euro-Krise bestehen könnte.: “Gold, Grundbesitz und in der Freundschaft zu einem Landwirt.”
Fakt ist: Europa leidet unter einer Schuldenkrise – so wie die USA und Japan auch. Dass einer der größten Wirtschaftsräume der Welt komplett zusammenbricht, bis auf Gold und Immobilien alle Vermögen ihren Wert verlieren und es in Zukunft weder Brot und Butter noch Eier zu kaufen gibt, ist allerdings extrem unwahrscheinlich.
Kommentar AM: Die Einlassung des FDP-Finanzpolitiker ist eine Zumutung. Aber die Anmerkung von Spiegel online ist dies nicht minder. Das von Spiegel online hier wie auch sonst und von vielen anderen gebrauchte Wort „Schuldenkrise“ ist der Prototyp von Halbwissen. Wir haben eine Krise, die durch folgendes gekennzeichnet ist: konjunkturelle Schwäche und Arbeitslosigkeit in vielen Volkswirtschaften, völliges Versagen der Makroökonomie, Auseinanderentwickeln der Wettbewerbsfähigkeit der einzelnen Staaten in der Eurozone, bedingt durch divergierende Entwicklung der Lohnstückkosten, Deregulierung und Ausdehnung der Kapitalmärkte mit neuen Finanzprodukten und unfassbarer Spekulation, Orientierung der unternehmerischen Politik am Shareholder Value, Rettung der Spekulanten durch die Politik, dadurch und durch das Versagen der makroökonomischen Politik weiter bedingte Verschuldung der Staaten, etc. – Die Staatsverschuldung war jedenfalls nicht der Anfang. Schon deshalb macht es keinen Sinn, von „Schuldenkrise“ zu sprechen.
- Hermes Hodolides, griechischer Wirt aus der “Lindenstraße”, über die Geldflüsse in seiner Heimat: “Das Geld, was wir jetzt kassieren, das geht nicht an griechische Taschen, das geht gleich an die Zinsen, bei uns bleibt nichts haften.”
Fakt ist: Mit den Krediten der Euro-Länder und des Internationalen Währungsfonds werden nicht nur die Zinsen Griechenlands bezahlt. Auch staatliche Leistungen werden damit finanziert.
Kommentar AM: Nun gut, wenn es so ist. Aber Halbwissen kann man dem Wirt aus der Lindenstraße deshalb nicht vorwerfen. Das ist kleinlich und lächerlich.
- Alexis Passadakis, Attac-Aktivist und Politikwissenschaftler, über die Zukunft der Geldpolitik:
“Verschuldete Staaten sollten ihre Gelder in Zukunft ohne Umwege über die Banken direkt von der EZB bekommen. Dann werden die Rating-Agenturen außen vor gelassen.”Fakt ist: Banken sind im Wirtschaftssystem dazu da, Risiken zu bewerten und unter Umständen auch einzugehen. Würde die Europäische Zentralbank den Staaten direkt Geld leihen, würde sie alle Risiken alleine schultern. Zudem beruft sich die EZB bislang selbst auf Ratings.
Kommentar AM: Es ist schleierhaft, wie man angesichts eines Bankenrettungsschirmes allein in Deutschland von rund 480 Milliarden € und angesichts der Tatsache, dass alleine an die Münchner HRE mindestens schon 80 Milliarden geflossen sind und der Staat die Commerzbank mit 18,2 Milliarden und die Industrie Kreditbank mit ungefähr 10 Milliarden retten musste, niederschreiben kann, Banken seien im Wirtschaftssystem dazu da, Risiken zu bewerten und auch einzugehen. Im übrigen hat die Öffentlichkeit zur Rettung der Banken schon mehr geschultert, als sie zur Absicherung der Europäischen Zentralbank je schultern müsste. Der letzte Satz – zudem beruft sich die EZB bislang selbst auf Ratings – zeigt die Dümmlichkeit der Analyse von Spiegel online.
Wahrscheinlich hat Spiegel online den Auftrag für diese Dokumentation von einer PR Agentur bekommen, die im Auftrag der Ratingagenturen und Investmentbanken arbeitet.