Der Kinofilm „Die drei Tage des Condor“ gehört zu meinen liebsten US-amerikanischen Werken. Regisseur und Schauspieler Sydney Pollack schuf den schockierenden Streifen in den Jahren 1974/ 75 und klagte darin überaus kunstvoll den unersättlichen, ungebremsten, schamlosen und straffreien Machtmissbrauch der Geheimdienste im Dienst der Regierung an. Immer mal wieder wird dieser beeindruckende, nachdenklich stimmende Film auch bei uns im „Öffentlich-Rechtlichen“ gezeigt. Mir wirkt die aktuelle Platzierung bei 3sat vor dem Hintergrund des regen Treibens der USA hier, in Europa und weltweit wie ein Seitenhieb seitens womöglich kritischer Programmmacher, die statt Rambo I, II oder III mit dem regierungskritischen Agentenfilm beim kritischen Publikum punkten. Ein Zwischenruf von Frank Blenz.
„Der hat ja gar nichts an“, sagt einzig der kleine Junge im Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ beim Anblick des am Volk vorbeistolzierenden, beinah nackten Herrschers. Und ja, die Großen sehen es auch und sagen nichts. In „Die drei Tage des Condor“ sieht das Publikum ebenfalls, dass der im Film gezeigte Missbrauch von Macht durch das Establishment und die Gefolgschaft offensichtlich und doch für die Täter folgenlos ist. Der Film erinnert mich an die Jungenaussage im Märchen. Auf der Hand Liegendes wie das Treiben der Mächtigen bleibt im Öffentlichen verborgen, die Macht behält eine „reine weiße Weste“. Und doch weiß jeder Bescheid, was gespielt wird.
Die große Schnüffelei, getarnt als Literaturinstitut
Im wahren Leben kommt es mir ähnlich wie im Film vor, wir befinden uns in einer schizophrenen Situation. Im Film kommt die größte Macht der Welt schlecht weg, vor und nach dem Film sieht das Leben um uns dagegen aus, als wäre die USA das beste Land der Welt, die Regierung die beste und so weiter, so wird es gerade durch meinungsführende Medien und wichtige Politiker immer und immer wieder vorgekaut. Die Mächtigen können sich sogar erlauben, solche kritischen Filme nicht auf den Index zu setzen, herrscht doch schließlich Meinungsfreiheit.
Man könnte meinen – der Film stammt aus dem Jahr 1975 –, darin Erzähltes sei Schnee von gestern. Die Geschichte, sicher für den Film frei erfunden (und nach einem Roman bildlich umgesetzt), lässt einen indes den Atem anhalten, was in einer zivilisierten Gesellschaft alles möglich ist. Gut getarnt als Team eines Literaturinstituts durchforsten Agenten eines amerikanischen Geheimdienstes die schriftliche Welt weltweit. Märchen, Geschichten Ideen, Konzepte, Briefe, Texte rund um den Globus suchen, durchforsten, auswerten, um darin gefundene potenzielle Ansätze für die Macht, die Interessen, die Strategien der USA, für deren Kriege, für deren Aktionen gegen den Feind zu verwenden, darauf muss man erstmal kommen.
Im Film wird gezeigt, was passiert, wenn – wehe dem – jemand wie die lesenden Agenten (wenn auch unbeabsichtigt) seinen Auftraggebern auf die Spur kommt: Es wird kurzer Prozess gemacht, die Literaturagenten werden mit Unterstützung bestellter Killer umgebracht. Der Einfluss der Dienste reicht weit, die Medien von New York berichten über einen Anschlag auf der Straße ganz anders als tatsächlich geschehen. Und die Reinigungskolonne der Täter macht den Tatort sauber. Nur einer kommt dank eines glücklichen Zufalls zunächst lebend davon: Condor, gespielt vom legendären Robert Redford. Doch ist er nun Gejagter, Ausgestoßener. Seine Chefs haben ihn im Visier und machen aus ihm, dem Opfer, einen Täter. Turner, Codename Condor, wird diffamiert, in der Lagebesprechung mit Vertretern der Regierung und der Dienste wird die persönliche Würde des bisher gelobten Agenten voller Zynismus in den Dreck gezogen – seine Tage sind gezählt.
Kritiker werden verfolgt – im Film werden Mitwisser neutralisiert
Im wahren Leben, also gerade jetzt, werden Leute, die den Machthabern in die Quere kommen, in Einzelhaft genommen – siehe Julian Assange, fällt mir ein. Im Film mäht ein Killerkommando die zu viel Wissenden über den Haufen. In der Realität erledigen solche „Mähjobs“ schon mal Helikopter-Besatzungen, deren Treiben aber durch Journalisten in die Öffentlichkeit gerät. Der Veröffentlicher wird, weil die Staatsräson, die nationale Sicherheit bedroht ist, zum Staatsfeind erklärt. Nicht nur in den USA, sondern weltweit: Julian Assange. Man bedenke, er handelt als Journalist, ein Beruf, der weltweit in allen Demokratien und in vielen Verfassungen verbrieft geschützt ist. Statt ihn aber zu schützen, um unser aller Willen, um unser aller Demokratien, für Meinungsfreiheit, für Pressefreiheit – missachten westliche Länder von den USA, Schweden, Großbritannien bis Deutschland diese Rechte, die Errungenschaften, die Vierte Gewalt.
In Literaturtexten zu suchen, ist eine Spielart, was wird nicht alles im Auftrag der Regierungen anderes erforscht, im Verborgenen getrieben? Moderne Foltermethoden, Verhörmethoden, Verfolgungstaktiken, die totale Überwachung, digital, medial, analog, deren Verschleierung und Verharmlosung mittels PR-Kampagnen, die ständige Beeinflussung der Bürger auf allen Kanälen, mächtiger Lobbyismus für Wenige zum Nutzen, Thinktanks, Denkfabriken, wohin das Auge blickt.
Und der engste Freund hört mit. Zur Erinnerung, weil die Geschichte wundersam vergessen scheint: Vor ein paar Jahren meinte die damalige Kanzlerin, dass das gar nicht ginge, als sie erfuhr, dass ihr Mobiltelefon von befreundeten amerikanischen Diensten abgehört wurde. Doch, Frau Altkanzlerin, das geht. Von den endlosen Möglichkeiten der Macht zeugt auch der Film von Sydney Pollack.
In „Die drei Tage des Condor“ „entdeckt“ Agent und Literaturexperte Turner, dass in Arabien und in Lateinamerika was am Laufen ist. Ohne die Folgen zu ahnen, was er da „entdeckt“ hat, wird er zur Gefahr. Der Zuschauer erfährt: Turner alias Robert Redford (und seine Kollegen) stehen Plänen einer möglichen Invasion der USA im Nahen Osten und in Venezuela im Weg. Die angestellten, kleinen Agenten wissen zu viel… 1975.
Solche Filme braucht es auch heute
Wir schreiben das Jahr 2023. Irgendwie kommt einem das Treiben rund um Öl und Macht bekannt vor. Ich bedauere, dass kein Sydney Pollack weit und breit zu sehen ist, gerade jetzt bräuchte es Filme seines Kalibers, mit künstlerischen, dokumentarischen, bürgerschaftlich engagierten Mitteln den Mächtigen auf die Finger zu schauen und ihrem Treiben Einhalt zu gebieten. Gut, es gibt sehr wohl engagierte, unbequeme, nicht auf Quote und Einnahmen schielende Künstler. Dagegen gibt es viele, zu viele (?), die den Trott der Mittelmäßigkeit, Angepasstheit, Bequemlichkeit, des Opportunismus mitmachen – und lieber die pinke Geschichte von Barbie verfilmen.
Der grandiose, alte Film über Condor gerät erfreulicherweise immer mal wieder auf den Schirm, gerade eben bei 3sat. Als Filmfreund kommt man auf Gedanken, was in neuen Filmen so alles zu besprechen wäre: geheime Operationen in der Ostsee, in Syrien, in Afrika, weltweit. Überall brennt es – nicht nur in Wäldern. Nächsten Monat jährt sich der Putsch gegen Salvadore Allende in Chile zum 50. Mal. Für US-Regisseur Sydney Pollack ist die Geschichte von Condor sicher eine spannende, lohnende, auch gefährliche gewesen – wie denn die Geheimdienste seines Landes, die Denker und Lenker aus Washington oder aus den damals noch stehenden Twin Towers in New York heraus Strategien entwickeln und umsetzen ließen, um die Spitzenstellung, den Anspruch der Führung als das Heilige Römische, pardon, Amerikanische Reich der Welt zu erhalten.
Pressefreiheit? Selbst die berühmte New York Times ist nicht frei
Agent Turner überlebt seit dem Anschlag auf seine Kollegen den dritten Tag. Er schafft es, vor dem Hauptgebäude der Zeitung New York Times zu stehen und sich mit seinem Widersacher, einem mächtigem Geheimdienstboss zu treffen. Turner droht diesem, seine Geschichte der Redaktion der NYT vorzulegen. Der Geheimdienstboss fragt mit einem feinen, entlarvend hämischen Lächeln: Ob die das auch veröffentlichen?
Der Film ist bis zum 28. Juli in der 3sat-Mediathek verfügbar.